19. Juni 2012

News 30 - Aus der Presse

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Ausstellung / Preis der deutschen Schallplattenkritik / 2012


Tim Caspar Boehme- Musikalischen Aufbruch sichtbar machen
Thomas Mauch - aus: Heftige Ansprache
Broecking/Franzen/Laurentius - FMP Ausstellung


Tim Caspar Boehme
Musikalischen Aufbruch sichtbar machen
Eine Ausstellung in der Köpenicker Galerie Grünstraße zeigt Fotos, Plattencover und Plakate
des 1969 gegründeten Musikerkollektivs Free Music Production,
das zur Institution des Free Jazz wurde.

Eigentlich schien mit der großen Retrospektive-Box des Labels FMP von 2010 schon alles gesagt. Nach 41 Jahren Pionierarbeit für den freien Jazz Europas mit rund 300 Veröffentlichungen verabschiedete sich die Berliner Free Music Production endgültig aus dem aktiven Geschäft. Jetzt hat sich Jost Gebers, Mitgründer des 1969 gegründeten Musikerkollektives und späterer Produzent des Plattenlabels, für einen weiteren Schritt in Richtung Historisierung entschieden: In der Galerie Grünstraße im Zentrum der Köpenicker Altstadt bietet eine Ausstellung mit Fotos, Plattencovers und Plakaten Einblicke in eine zentrale Epoche der frei improvisierten Musik.
Free Jazz entstand aus dem Freiheitsbedürfnis seiner Vertreter, eine Musik zu spielen, die weder Vorgaben noch ökonomischen Erfolg benötigt, um etwas zu schaffen, das ganz aus dem Moment geboren zu sein scheint und im allmählichen Ertasten des dabei gewonnenen Freiraums eine kontinuierliche Entwicklung beschreibt. Nachvollziehen lässt sich dieser Werdegang für Nachgeborene bloß mit den überlieferten Aufnahmen, was die Bedeutung von FMP nur noch verstärkt - und es um so bedauerlicher macht, dass der Großteil der wegweisenden Aufnahmen von Musikern wie dem Saxofonisten Peter Brötzmann, dem Bassisten Peter Kowald, dem Gitarristen und Daxophon-Erfinder Hans Reichel oder dem Schlagzeuger Han Bennink mittlerweile vergriffen ist.
In dieser Hinsicht hat die Ausstellung eine zweifache Gedächtnisfunktion: Indem sie Fotografien der Musiker, Konzertplakate aus den Siebzigern und Achtzigern und eine Vielzahl von Plattencovern der gezeigten Instrumentalisten nebeneinander stellt, macht sie nicht nur die Protagonisten des europäischen Free Jazz noch einmal sichtbar, sondern auch ihre Tonträgerhinterlassenschaften, die selbst weitgehend aus der Öffentlichkeit verschwunden sind. Die oft von Gebers oder den Musikern selbst gestalteten Entwürfe unterstreichen zudem die konsequente künstlerische Selbstbehauptung der Beteiligten.
Dass die auf Europa konzentrierte Szene weit über die Grenzen des Kontinents hinaus strahlte, belegen die Fotos mit dem US-amerikanischen Pianisten Cecil Taylor, von dessen Wirken in der Stadt auch die stattliche Box „Cecil Taylor in Berlin ’88“ Zeugnis ablegt, oder Plakate von seinem Landsmann, dem Saxofonisten John Tchicai, einem Weggefährten unter anderem John Coltranes. Humor offenbart die Ausstellung ebenfalls, etwa mit einigen Briefen Han Benninks an Gebers. Der niederländische Schlagzeuger bittet Gebers darin unter anderem um Nachsicht für seine unvollkommene Beherrschung des Deutschen: „Entschüldigung für die Grammatikafehler“. Eine schöne Erinnerung, die zugleich den Wunsch weckt, dass die FMP eines Tages vielleicht doch wieder zum Leben erweckt wird, als klingendes Archiv. Die Platten hätten es verdient.
aus: TAZ, Die Tageszeitung, 3. Juli 2012


Thomas Mauch
aus: Heftige Ansprache
(…) Mehr Anregungen gibt es sortiert in 20 Disziplinen auf http://www.schallplattenkritik.de/news, wo man unter den News auch lesen kann, dass in diesem Jahr ein ehrenhafter Jahrespreis an den Produzenten Jost Gebers geht, und zwar für dessen Verdienste um den Jazz. Weil er mit seiner Free Music Production seit Jahrzehnten "als die zentrale Plattform der Jazz-Avantgarde in Europa gilt", wie es in der Begründung der Jury heißt.
Und tatsächlich hat man mit den FMP-Platten etliche der entscheidenden Kapitel der Free-Jazz-Geschichte zur Hand. Für eine erste Orientierung reichen schon mal die Namen von Peter Brötzmann, dem 2002 verstorbenen Peter Kowald, Alexander von Schlippenbach und eben Jost Gebers, die das Label 1969 gegründet haben. Dass sich in diesen vier Jahrzehnten seither eine auch recht ansehnliche Arbeit angesammelt hat, kann man jetzt in einer Ausstellung in der Köpenicker Galerie Grünstraße begucken. Dort werden in der Sommer-Jazzausstellung 2012 Fotos, Plakate und Plattencover des FMP-Labels präsentiert (bis 25. Juli, Di.-Fr. 13-19 Uhr, Sa. 10-14 Uhr. Grünstraße 16). Zur Konturierung der Frage, ob man denn überhaupt mit den Augen hören kann, wäre es dabei natürlich hübsch gewesen, auch Cover aus anderer Produktion zu einem Vergleichshören zu haben. Etwa von ECM, dem in München ansässigen Label und schon damit irgendwie antipodisch zur Berliner FMP. These: Die ECM-Optik mit der Neigung zu ausgebleichten, in den Konturen verwischten Motiven auf den Covern lässt durchaus Rückschlüsse auf den musikalischen Inhalt zu. Wie die doch entschiedenere und gern auch heftige Ansprache bei FMP. In Bild. Und Ton. (…)
aus: TAZ, Die Tageszeitung, 15. Juni 2012


Text: Christian Broecking, Stefan Franzen & Martin Laurentius
FMP Ausstellung
Unabhängig vom Post-FMP-Ereignis, dem A L'arme! Festival in Berlin, das an das Total Music Meeting (1968-2008) anknüpfen will und vom 18. bis 21. Juli im Radialsystem V stattfindet, eröffnet in der Köpenicker Galerie Grünstraße eine Ausstellung zur Geschichte der FMP. Gezeigt werden Fotos, Plakate, Plattencover und Objekte aus der FMP-Geschichte, darunter auch Zeichnungen und Entwürfe von Peter Brötzmann, Bill Dixon und Peter Kowald. „Seine Heimat hatte FMP im alten West-Berlin, seine Bedeutung für die improvisierte Musik allerdings ist global. Musiker wie Peter Brötzmann, Cecil Taylor oder Alexander von Schlippenbach sind eng mit dem Namen FMP verbunden,“ heißt es in einer Erklärung des zuständigen Fachbereichs Kultur Treptow-Köpenick. Die Ausstellung findet mit Hilfe des FMP-Produktionsverantwortlichen (?) Jost Gebers und dem Jazzinstitut Darmstadt statt. Eine Wiederbelebung der einst einflussreichen Musikerinitiative ist allerdings nicht geplant, auf der Webseite des FMP-Labels ist dokumentiert, dass Gebers sich von den eingesetzten Nachlassverwaltern im Streit trennte und diese sich mittlerweile vor Gericht verantworten mussten. (keinesfalls ist dieser Blödsinn dokumentiert: Es gab/gibt keine eingesetzten Nachlassverwalter und dementsprechend mussten diese sich auch nicht vor Gericht verantworten!!!) Es bleibt der Blick zurück: Die Vernissage findet am 14. Juni um 19 Uhr statt, es spielt Olaf Rupp.
Die Ausstellung dauert vom 15. Juni bis 25. Juli.
aus: Jazz thing, 7. Juni 2012


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