19. Juni 2012

News 30 - Laudatio

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Markus Müller

44 Jahre FMP
Laudatio zur Ausstellung in Berlin Köpenick 2012


Als alles anfing, 1968, da mussten Jost Gebers und sein ständiger Mitstreiter Peter Brötzmann fast alles lernen, was zum Musikgeschäft, zur Veranstaltung von Konzerten und Festivals, zur Aufnahme von Musik, zur Produktion und zum Vertrieb von Platten dazu gehört. Später, zu Zeiten des Punk, nannte man das DIY, Do it Yourself. Und noch später etablierte sich die Kategorie der DIY-Ästhetik. Die Do it yourself-Ästhetik schaut vor allem auch auf die Gestaltung von Printprodukten, Flyern, Fanzines und Plattencovern. Während es bei Punk so hieß und auch in den kommerziell erfolgreichen Formaten, wie zum Beispiel beim Cover von „Never Mind The Bollocks“ von den Sex Pistols so aussah, als hätte die Band am Küchentisch einen Erpresserbrief zusammengeschnipselt, war es bei den Pistols schon professionell fremd gestaltet, Jamie Reid hat diese Ikone verantwortet. FMP aber hat das tatsächlich selber gemacht. Nur Brötzmann war eben kein DIY-Amateur. Brötzmann hatte in Wuppertal mit Paik, dem Fluxus-Paik zusammengearbeitet und er hatte eine erfolgreiche Graphikagentur, die ihm immerhin ermöglichte, „Machine Gun“ und „For Adolphe Sax“ zunächst auf seinem eigenen Label, BRÖ, zu veröffentlichen.

Mit anderen Worten, das was wir hier sehen, die Gestaltung, die Graphik, die Verpackung von FMP, war der einzige Bereich, in dem eine der treibenden Kräfte, Peter Brötzmann, tatsächlich eine professionelle Ausbildung und entsprechende Erfahrung vorzuweisen hatte. Brötzmann war/ist bildender Künstler und Grafiker. Und Brötzmann hat dann mit seiner Typografie, die sich im besten Sinne zwischen Bleisatz und Kartoffeldruck in unser Gedächtnis eingebrannt hat, über die Jahre immer wieder die FMP mitgeprägt, seine Cover und seine Poster sind ein genauso wesentlicher Teil des FMP-Bildes, wie seine Musik.

Das erste FMP-Printprodukt jedoch, das Poster, die Poster für das Total Music Meeting 1968, stammen von Jost Gebers. Vielleicht kann er uns später erzählen, wie er das denn hinbekommen hat, von einer entsprechenden Ausbildung weiß ich beim ihm jedenfalls nicht?

Neben Brötzmann haben Kowald, Bennink, Christmann, Van Hove, Carl, Radu Malfatti, Reichel, Lovens, von Schlippenbach, Johansson u.a. die Cover ihrer Produktionen selbst gestaltet. Brötzmanns Opus Magnum in diesem Zusammenhang ist wahrscheinlich die Box „For Example“, die Dokumentation der ersten 10 Jahre des „Workshops Freie Musik“.

Weitere Gestalter waren neben Jost Gebers, von dem z.B. wunderbare Irène Schweizer Cover stammen, Dieter Hahne, die allgemein gute Seele des Betriebs, oder Manfred Kussatz, der meines Wissens mehr Gestaltung für die FMP gemacht hat, zum Beispiel „Snapshot“, die Dokumentation des Jazz aus der DDR, die 1979 erschien, als er Platten einspielte, nämlich zwei, die wunderbaren „Working“ (FMP 0750) und „Berlin Bones“ (FMP 0930). Natürlich müssen hier auch Nino Malfatti, Fritze G. Margull oder die geheimnisvollen Else Nothing und Graf Typo („Der Traum der roten Palme“ (FMP 0950), „Moon Mood“ (FMP 0700)) und Wolf Walt, der nicht nur die Africa Djolé-Platten gestaltete, sondern zum Beispiel auch „Blek“ (SAJ-32) erwähnt werden. „Blek“ zeigt eine Abbildung einer Arbeit von Nino Malfatti, der als bildender Künstler international erfolgreich ist, wie auch der für viele Rüdiger Carl-Gestaltungen verantwortliche Günter Förg.

Die Geschichte der FMP ist auch in ihren grafischen Gestaltungen erheblich vielschichtiger und abwechslungsreicher als es das Schubladendenken der 80er Jahre vorschreiben wollte. Die Gestaltungen von Kowald sind unmittelbar aus seiner Auseinandersetzung und seiner Bekanntheit mit internationalen Künstlern seiner Zeit wie zum Beispiel Arakawa, Penck, Inoue, Basquiat oder Tomas Schmit hervorgegangen. Brötzmann erfindet eine besondere Klarheit die zwischen Bauhaus, Otl Aicher und Dieter Rams zu einer ganz und gar eigenen historisch-handwerklichen Moderne kommt. „For Example“ sieht aus, als hätten Apple und Instagram eine richtig gute Verpackung für das nächste MacBook erfunden. Klarer, edler und einfacher geht es nicht. Es ist druckgraphische Gestaltung, also auf massenmediale Produktion ausgerichtete Gestaltung, mit persönlicher Handschrift. Die klarste Typographie wie durch ein Warholeskes Sieb mit dem Mut zur Sichtbarmachung der handwerklichen Produktion gedruckt, das ist Brötzmann. An anderen Ende des Spektrums lassen sich die grafischen Arbeiten von Hans Reichel verorten, der sehr spielerisch aber gezielt seine eigene Gestaltungssprache erfand und in Zeichnungen die Funktionsweisen seiner Instrumente erklärte, schließlich auch eigene Schriften entwickelte und erfolgreich am Markt platzierte.

Der Mann, der all das über die vielen Jahre ermöglichte, war Jost Gebers. Er war der Motor, er war für das „Wunder“ durch kontinuierliche Knochenarbeit im bürokratischen Alltagssumpf zuständig, wie ich das anlässlich des 25jährigen Jubiläums 1994 einmal genannt habe.

Im Schnelldurchgang: 1968 gab es das erste „Total Music Meeting“, 1969 den ersten „Workshop Freie Musik“, 1969 ging es mit der ersten LP, Manfred Schoofs Orchestra und den „European Echoes“ (FMP 0010), weiter. Seitdem hat FMP zahllose Musiken aus der ganzen Welt veröffentlicht, produziert und vorgestellt. Und neben den vielen Konzerten und Schallplatten, LPs, Singles, CDs hat FMP auch insgesamt fünf umfassende Dokumentationen veröffentlicht. 1978 erschien „For Example“ die, wie erwähnt, von Brötzmann gestaltete Dokumentation von 10 Jahren Workshop. „For Example“ beinhaltet 3 LPs und ein 133 Seiten starkes Buch mit zahlreichen Essays und unzähligen Fotos. Nirgendwo ist zu dieser Zeit eine vergleichbare Dokumentation erschienen. Auch in der Dokumentation ihrer so zeit- und improvisationsbasierten Musik hat die FMP die Standards gesetzt. „Snapshot“ veröffentlichte 1980 auf einem Doppelalbum Musik aus der DDR und begleitete dies mit einem 48 Seiten starken Heft. 1989 kam „Cecil Taylor in Berlin“, 11 CDs und wiederum ein 188 Seiten starkes Buch, sowie eine Diskographie aller beteiligten Musiker. Diese Box wurde der internationale Maßstab für alle nachfolgenden Unternehmungen dieser Art. Sie ist bis heute nicht erreicht, allerdings und zu Recht hochbegehrt. Alle erwähnten Editionen und einige mehr (zum Beispiel die großartigen Kowald-Duos und natürlich auch der Schlussstein, die Box FMP - Im Rückblick) sind in der Ausstellung zu sehen.

Diese hartnäckige Dokumentation und Veröffentlichung musikalischer Entwicklungen jenseits aller Grenzen scheint mir die wesentliche Leistung der FMP zu sein. In keinem anderen Bereich der Kunst- und Kulturszene der letzten 44 Jahre lassen sich so grundlegende und werkimmanente Entwicklungen erleben, wie über die Tonträger der FMP.

1994 schrieb ich über diese Entwicklungen: Peter Brötzmanns Schritt von der klassischen „Energieorgie“ „Machine Gun“ bis zu der nicht weniger energiegeladenen, aber im Wesentlichen durch idealtypisches Zusammenspiel geprägten, oft überraschend melodisch-lyrischen Einspielung seines Quartetts (Die Like A Dog) wäre ohne die jahrzehntelange Zusammenarbeit mit der FMP nicht vorstellbar. Das „Schlippenbach Trio“ hat sich seit „Pakistani Pomade“ (1972, FMP 0110) zu der herausragenden Improvisationscombo unserer Zeit zusammengefunden. Die 1990er Aufnahme „Elf Bagatellen“ (FMP CD 27) ist in musikalischer wie aufnahmetechnischer Hinsicht ein Meisterwerk vielschichtiger musikalischer Kommunikation. Und wer würde vermuten, dass „Messer“ (Irène Schweizer, Rüdiger Carl, Louis Moholo, 1975, FMP 0290), feinster Free Jazz, von Musikern eingespielt wurde, die zum Teil fast 20 Jahre später im „Cowws Quintett“ (Schweizer, Carl, Oliver, Wachsmann, Wittwer) eine Produktion (Grooves ’n’ Loops, FMP CD 59) mit kantigen, kammermusikalischen, spacigen Tanzdielenknallern vorstellen. Wer genau hinhört, hört auch, dass Cecil Taylors FMP-Aufnahmen nicht nur für die Firma ein „Meilenstein“ sind. Offensichtlich haben sich auch in Taylors Spiel neue Perspektiven entwickelt. Hans Reichels „Wichlinghauser Blues“ (1973, FMP 0150) war die Grundlage für eine einzigartige musikalische präzise Schönheit in der Improvisation, die heute nicht umsonst viele Hörer an Haikus denken lässt. Und Peter Kowalds Duo-Einspielungen (Duos Europa-America-Japan) sind ein programmatisches Beispiel für die Öffnung der FMP und „ihrer“ Musik über alle kulturellen und musikalischen Grenzen hinweg.

Seit 1994 sind diese Entwicklungen fortgeschrieben worden und es würde jetzt zu weit führen, die 19 Jahre bis heute zu beschreiben. In einzelnen Fällen sind diese Entwicklungen aber auch auf für mich schreckliche Art abgeschlossen. Peter Kowald ist 2002 verstorben, Hans Reichel im letzten Jahr.

Viele Andere aber machen weiter und auch Peter Brötzmann macht weiter und wie wir letztes Jahr in Wels gesehen haben: Brötzmann erweitert unsere und seine Vorstellungskraft was gelungene Möglichkeitsformen zeitgenössischer Musik angeht immer noch und immer mehr.

Vieles von dem was die FMP ausmacht, kann man nachhören, auch nachschauen, in dieser Ausstellung und auf der großartigen website von Jost Gebers (http://www.fmp-label.de/index.php). Ein Aspekt, der für das Bild, das man von FMP und von dieser Musik heute hat, ausschlaggebend ist und der hier in der Galerie an den Wänden vielleicht etwas unterrepräsentiert ist, sind die großartigen Photos, vor allem die großartigen Photos von Dagmar Gebers, die die Konzerte und Veranstaltungen dokumentiert haben und auf vielen Veröffentlichungen und in den angesprochenen, großen Dokumentationen zu sehen sind. An anderer Stelle und ebenfalls auf Jost Gebers website nachzulesen im Vorwort zur Galerie, habe ich schon einmal etwas zu diesen Fotos geschrieben, sie sind wie keine anderen Photos. Sie sind einmalige Dokumentationen und dafür gibt es viele Gründe. Den einfachsten und bescheidensten Grund hat mir Dagmar Gebers letztes Jahr bei der Verleihung des Deutschen Jazzpreises an Peter Brötzmann mitgegeben. „Der Jost“, sagte sie, „hat ja das Licht immer nur für mich gemacht, das Licht war immer optimal für mich und für mein Photographieren.“

Das ist das, was Jost Gebers und die FMP ausmacht, ausgemacht hat, er wusste was er wollte und er wusste, wie er das für die Beteiligten organisiert, für die Musiker, für die Photographin und für uns. Diese Erfolgsgeschichte muss noch geschrieben werden, meines Erachtens, und die internationale Aufmerksamkeit, die Tatsache, das weltweit die Schallplatten und Aufnahmen von FMP von anderen im Namen der Musiker wiederveröffentlicht werden zeigt, das das Interesse an dieser Erfolgsgeschichte stetig zunimmt.

Auf die nächsten 44 Jahre.


Photos: Dagmar Gebers (2012)

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