Ulrich Kurth (2009)

Der Klang des Hier und Jetzt

40 Jahre Tonträger und Konzertreihen mit improvisierter Musik:
Die Berliner Free Music Production

Die langen Nächte im Quasimodo, im Quartier Latin, im Podewil, den Orten des Total Music Meeting in Berlin, sind für viele Alt-Achtundsechziger bewegte Erinnerungen. Als die Klangsalven Peter Brötzmanns dem kollektiven Zorn Gehör verschafften, saß ein bärtiger Toningenieur mit konzentriert-grimmigem Blick am Mischpult und überwachte Tonbandaufnahmen, die später als LP bei dem Label FMP (Free Music Production) erschienen: Jost Gebers, der Mann am Mischpult, hat mit Konzerten und Schallplatten die kreative Zeit der freien improvisierten Musik in Europa umfassend dokumentiert .

"Gucken, wat bietet sich an. Eine richtige Planung gab’s eigentlich gar nicht. Du hast die Dinge gemacht, die plötzlich da waren." Jost Gebers erinnert sich an die Aufbruchstimmung der späten sechziger Jahre. Das größte Musikereignis der Epoche war das Woodstock-Festival, zum Zauberwort in der populären Musik wurde "Improvisation" mit ihrer grenzüberschreitenden Tendenz.

Die Zeit der Improvisation

Improvisiert war auch die Gründung der Free Music Production im Herbst ´69. Jost Gebers, Berliner Kontrabassist, und Peter Brötzmann, Saxofonist aus Wuppertal, hatten 1968 in Berlin das erste Total Music Meeting organisiert. Brötzmann war vom Berliner Jazzfestival ausgeladen worden, nachdem nicht sicher sein konnte, dass seine Band im vorgeschriebenen schwarzen Anzug auf die Bühne kommen würde. Die vier Nächte im Quasimodo - parallel zum Jazzfestival - wurden ein Fanal der neuen Zeit. Hier spielten europäische working bands und ad-hoc-Besetzungen, Stars aus der Philharmonie kamen spät in der Nacht dazu.

Doch es gab auch Pannen. So verschwand die Kasse mit den Eintrittsgeldern und Tickets. Gebers, der selbst als Bassist mitwirkte, zog die Konsequenz, in Zukunft nicht als aktiver Musiker auch noch die Organisation des Festivals zu übernehmen. Bestärkt wurde er darin ein halbes Jahr später, als bei einem Workshop Freie Musik in der Akademie der Künste ein frustriertes Publikum das Konzert sprengte. Es hatte Bluesrock mit der Alexis Korner Band erwartet, dem Headliner des Workshops, aber keine freie Musik, bei der Korner mitwirkte.

Im Sommer ´69 entstand die Idee, eine Firma für die neuen Klänge zu gründen, die weder bei kommerziellen Veranstaltern noch Schallplattenfirmen eine Chance hatten. Gebers erzählt: "Die Initiative kam wiederum von Brötzmann, ob ich nicht das machen könnte, was mit Management und solchen Sachen zu tun haben könnte. Wir haben uns das irgendwie ausgekakelt, und ich habe dann im September ’69 die Firma Free Music Production gegründet, als Firma von Musikern, die emanzipatorische Forderungen ihrer Zeit umsetzen wollten: Selbstbestimmung und Selbstauswertung der Projekte, Verlags- und Lizenzrechte, keine Abhängigkeit von einem Produzenten."

Die anfängliche Begeisterung litt im prosaischen Alltag. Das Kollektiv der Künstler schloss 1972 einen Gesellschaftervertrag, Gebers wurde Geschäftsführer, Entscheidungen über Engagements und Schallplattenproduktionen fielen per Mehrheitsbeschluss. Das Kollektiv barg von Anfang an Konflikte. Die Entscheidungsträger waren selbst Musiker, also auch Konkurrenten. Anfang 1976 übernahm Gebers die Geschicke der Firma als Geschäftsführer, das Kollektiv fungierte als Beratungsgremium.

Seinen Beruf als Sozialarbeiter hat Gebers beibehalten, um Unabhängigkeit zu bewahren und weil die FMP immer hart am Rande des Konkurses arbeitete; Subventionen vom Berliner Senat gab es ab 1989. Den Musikverlag FMP Publishing verkaufte er 1992; inzwischen lebt er in Borken, Westfalen, und arbeitet an einer Dokumentation der FMP-Jahre. Auch das Label ist inzwischen in anderen Händen. (Richtig: Seit Anfang 2007 ist die Firma FMP-Publishing mit Label und allen Rechten in der Hand von Gebers) 140 CD- und gut 220 LP-Produktionen umfasst der archivierte Bestand. Dazu kommt ein Bandarchiv, aus dem Gebers zuweilen besonders gelungene Aufnahmen veröffentlicht.

Dieses Konvolut ist mehr als ein Tombeau des Kreischens und Röhrens. Die freie Improvisation hat nicht zuletzt durch die vier FMP-Jahrzehnte ihren künstlerischen Rang bewiesen, den einer, wie Peter Niklas Wilson sie nannte, "Kunst des hear and now".

aus: Frankfurter Rundschau, 7/8. November 2009 (Gekürzte und redigierte Version)

Ulrich Kurth (2009)

40 Jahre FMP

Die langen Nächte im Quasimodo, dem Quartier Latin oder dem Podewil, den Orten des Total Music Meeting in Berlin, sind für viele Alt-Achtundsechziger bewegte Erinnerungen an die eigene rebellische Jugend. Als die Klangsalven Peter Brötzmanns noch dem eigenen Zorn Gehör verschafften, da saß ein bärtiger Toningenieur mit konzentriert-grimmigem Blick am Mischpult und überwachte die Tonbandaufnahmen, die ein paar Monate später als LP oder CD auf dem Label FMP (Free Music Production) erschienen. Jost Gebers, der Mann am Mischpult, hat mit seinen Konzerten und Schallplatten die kreative Zeit der freien improvisierten Musik in Europa dokumentiert und umfassend konserviert.

Ein Rückblick.
Gucken, wat bietet sich an. Eine richtige Planung gab’s eigentlich gar nicht. Du hast die Dinge gemacht, die plötzlich da waren. Jost Gebers, der Macher der FMP, erinnert sich an die bewegte Zeit der späten Sechziger Jahre, in der eine bestimmte Aufbruchsituation der Gesellschaft stattfand, und davon waren wir alle berührt. Es war die Zeit des politischen und sozialen Aufbruchs der Nachkriegsgeneration, der Revolten gegen die Eltern und die herrschenden Zustände. Aktuelle Begriffe alternativer Lebensmodelle rückten die egalitären Utopien in greifbare Nähe. Das größte Musikereignis der Epoche war das Woodstock-Festival, in dem neue Technologien und Utopien bahnbrechende mediale Veränderungen wiesen. Zum Zauberwort wurde „Improvisation“, sie festigte ihren Rang in der populären Musik und ermöglichte „Grenzüberschreitungen“, ein Impuls, der die „Entgrenzung“ der Romantik fortsetzte. Improvisiert war auch die Gründung der Free Music Production im Herbst 69.

Vorspiel: Im Herbst 1964 erklärten die politisierten schwarzen Musiker in New York die October Revolution in Jazz mit Free Jazz Konzerten bei freiem Eintritt. In London entstand die Musicians co-op mit dem Ziel, die ökonomische Existenz ohne Agenturen und Verlage selbst in die Hand zu nehmen. Ein Berliner Kontrabassist (Jost Gebers) und ein Wuppertaler Saxophonist (Peter Brötzmann) griffen den Impuls auf und organisierten 1968 das erste Total Music Meeting im Jazzclub Quartier von Quasimodo. Brötzmann war vom offiziellen Jazzfestival Berlin ausgeladen worden, nachdem nicht sicher sein konnte, dass die Mitglieder seiner Band im vorgeschriebenen schwarzen Anzug auf die Bühne der Philharmonie kommen würden. Die vier Nächte im Quasimodo – parallel zum Jazzfestival – waren im Muff der 60er Jahre ein Fanal der neuen Zeit. Hier spielten europäische working bands und ad-hoc-Besetzungen. Amerikanische Stars aus der Philharmonie kamen zu late night sessions und jammten mit europäischen Kollegen vor einem enthusiastischen Publikum. Doch es gab auch Pannen. So verschwand die Kasse mit den Eintrittsgeldern und Tickets. Gebers, der selbst als Bassist mitwirkte, zog daraus die Konsequenz, dass man nicht als aktiver Musiker auch noch die Organisation eines Festivals übernehmen könne. Bestärkt wurde er darin ein halbes Jahr später, als bei einem Workshop Freie Musik in der Akademie der Künste, dessen Programm er und Brötzmann zusammengestellt hatten, ein frustriertes Publikum das Konzert sprengte. Es erwartete Bluesrock der Alexis Korner Band, dem Headliner des Workshops, aber keine freie Musik, auch wenn Korner darin mitwirkte.

FMP: auch eine Improvisation. Im Sommer 69 verbrachte Gebers mehr Zeit in Wuppertal als in Berlin. Brötzmann hatte die Idee, eine Firma für die neuen Klänge zu gründen, die weder bei kommerziellen Veranstaltern noch Schallplattenfirmen eine Chance hatten angemessen aufgeführt zu werden. Die Initiative kam wiederum von Brötzmann, ob ich nicht das machen könnte, was mit Management und solchen Sachen zu tun haben könnte. Und wir haben uns das irgendwie ausgekakelt, und ich habe dann im September 69 die Firma Free Music Production gegründet.

Doch wie? Kein Mensch hatte davon irgendeine Ahnung. Ick wusste nicht, dass man `nen Gewerbeschein braucht usw. Ick, hab’ das alles erst Jahre später gemacht und hab das dann legalisiert. In der ersten Zeit bis Anfang 72 haben Brötzmann und ich z.B. die gesamten Workshops Freie Musik- und Total Music Meeting-Programme gemacht, FMP entstand als eine Firma von Musikern, die emanzipatorische Forderungen ihrer Zeit umsetzen wollten: Selbstbestimmung und Selbstauswertung der Projekte (Verlags- und Lizenzrechte), keine Abhängigkeit von einem Produzenten.

Die anfängliche Begeisterung litt natürlich im wenig prosaischen Alltag. Andere Musiker brachten sich und ihre Ideen ein, denn FMP war keine geschlossene Gesellschaft. So entstand dann ein Kollektiv, das im Herbst 1972 einen Gesellschaftervertrag schloss: Gebers, Brötzmann, Peter Kowald, Alexander von Schlippenbach und Detlef Schönenberg. Geschäftsführer wurde Jost Gebers. Entscheidungen über Engagements und Schallplattenproduktionen wurden per Mehrheitsbeschluss gefällt. Das Kollektiv barg Konflikte von Anfang an. Sollte man sich unter dem Logo „Free Jazz“ oder „Free Music“ positionieren? Hier hat sich Gebers durchgesetzt, dem klar war, dass die Europäer noch andere Wurzeln als den Jazz hatten. Free Jazz – das wäre eine enge Begrenzung.

Doch wie kann man definieren, welche Projekte auf das Label oder in ein Konzert aufgenommen werden? Das schließt natürlich Bewertungen ein, die ein Kollektiv sprengen können. Die Kuratoren waren selbst Musiker, also auch Konkurrenten, die natürlich für ihre Sache eintraten. Dem Missverständnis, sich als Gesellschafter zu fühlen, die in erster Linie die eigenen Projekte unterbringen wollten, waren sie manchmal erlegen. Bis 1972 waren Gebers und Brötzmann Entscheidungsträger für das Total Music Meeting und den Workshop Freie Musik in der Akademie der Künste, ab 1972 das Kollektiv. Es funktionierte bis Anfang 76. Dann ist es geplatzt,weil wir alle völlig konträre Vorstellungen hatten. Jetzt veränderte Gebers die Struktur und übernahm die Geschicke der Firma als allein verantwortlicher Geschäftsführer ohne andere Gesellschafter, der das Kollektiv als Beratungsgremium indes nicht aufgeben wollte. So setzte sich der schwebende Zustand bei der Entscheidungsfindung fort, den Musiker immer wieder anders bewertet haben. Es blühten viele Gerüchte über die Firmenpolitik. Gebers hat seinen bürgerlichen Beruf als Sozialarbeiter in einem Jugendclub bis zum Ende der Firma Free Music Production im Jahr 1999 beibehalten, denn damit wollte er seine Unabhängigkeit bewahren und FMP nicht in einen kommerziell arbeitenden Betrieb verwandeln. Ursprünglich als Management-Firma geplant wurde FMP ein Veranstalter (Total Music Meeting, Workshop Freie Musik u.a.m.) und ein Schallplattenlabel, das immer hart am Rand des Konkurses arbeitete und nur durch die Selbstausbeutung seiner Aktiven existierte. Eine öffentliche Subvention gab es erst ab 1989. Allein der Workshop hatte ein Budget in der Akademie der Künste und konnte halbwegs kostendeckend arbeiten, wenn auch auf sehr niedrigem finanziellen Niveau. Ziel der Arbeit war die Dokumentation einer Musik, die gerade erst entstand und keine Lobby hatte.

Im Februar 1975 erhielt FMP personelle Verstärkung. Der Kaufmann Dieter Hahne wechselte vom Label MPS in Villingen und übernahm das interne Finanz- und Organisationsmanagement sowie die Öffentlichkeitsarbeit bei FMP. Die wirtschaftliche Lage der Firma war schlecht, so dass Hahne nach ein paar Jahren ausschied, einen Schallplattenladen betrieb und sich in seiner Freizeit um FMP kümmerte. Doch als FMP eine jährliche Unterstützung der Berliner Kulturverwaltung erhielt, kehrte er zurück, denn sein Gehalt war gesichert.

Die Fotografin Dagmar Gebers hat mit ihrer Kamera die FMP-Konzerte und Studio- Sessions begleitet und mit ihren klar strukturierten Schwarz-Weiß-Aufnahmen die optische Darstellung des Labels geprägt. LPs und CDs sowie viele Plakate und Broschüren enthalten ihre Aufnahmen. Sie produziert keine Jazz-Photos mit Tabak dampfenden Saxofonisten, sondern eine Bildsprache, die streng und unprätentiös die Musiker im konzentrierten Arbeitsprozess dokumentiert. Sie will die musikalische Arbeit nicht stören und nimmt von einem Stuhl im Auditorium auf. So hat sie zunächst den Blick einer Zuhörerin. Es ist ihr immer wieder gelungen, die kreativen Momente kongenial im Bild festzuhalten und die Phantasien der Hörer zu begleiten mit Bildern erzählender Gesichter und Körper in der Improvisation.

Warum Berlin? Der Bassist Peter Kowald beantwortete diese Frage eines französischen Journalisten: Es sei das hohe Niveau der Kultur in Berlin und ihr imVergleich zu anderen Städten der Bundesrepublik großes Budget für die Künste.

Der Betrieb erwurde seit 1989 vom Senat der Stadt Berlin durch einen jährlichen Zuschuss von DM 224.000 subventioniert, eine institutionelle Förderung für sämtliche Aktivitäten der FMP, nicht nur das jährliche Total Music Meeting. Diese Summe ist sehr klein, vergleicht man sie mit den Millionenetats von Opernhäusern und Museen. Immerhin war FMP damit auf der Brosamenebene der öffentlichen Förderung angelangt. Doch der Betrieb konnte auch weiterhin nur durch Selbstausbeutung der Aktiven funktionieren.

Den Musikverlag (FMP-Publishing) verkaufte Gebers bereits 1992 an Anna Maria Ostendorf in Borken/Westfalen. Dort lebt Gebers inzwischen und kümmert sich um eine detaillierte Dokumentation der FMP-Jahre, die er auf der Label Website veröffentlicht. Anfang 2000 verkaufte er das Label ebenfalls an FMP-Publishing (Anna Maria Ostendorf) und arbeitete nur noch als Produktionsverantwortlicher für das Label. Vermarktet wurde das Label seitdem über einen Lizenzvertrag von der Kulturmanagerin Helma Schleif. Dieser Vertrag wurde aber bereits 2003 fristlos gekündigt. Eine von Helma Schleif erhobene Klage vor dem Landgericht und in zweiter Instanz vor dem Oberlandesgericht blieb erfolglos. 2007 übernahm Gebers die Firma FMP-Publishing und begann nun mit einem neuen Vertriebspartner wieder CDs zu veröffentlichen.

Ca. 140 CDs und gut 220 LPs umfasst der archivierte Bestand. Dazu kommt ein Bandarchiv, aus dem Gebers immer wieder besonders gelungene Aufnahmen als CD veröffentlicht. Dieses Konvolut ist mehr als nur die Hinterlassenschaft einer verblichenen Musikepoche oder ein Tombeau des unbeherrschten Kreischens und Röhrens. Die freie Improvisation hat nicht zuletzt durch die vier FMP-Jahrzehnte ihren künstlerischen Rang der Improvisationskunst mit ihren inneren Bezügen aufgebaut und ein großes Medienecho gefunden. Die Tondokumente belegen den Reichtum und die Entwicklung der Kunst des here and now, oder in der Aufforderung Peter Niklas Wilsons: hear and now.

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