Matthias R. Entreß (1998)

Musik und nichts Drumrum

Die FMP und das 31.Total Music Meeting im Podewil

1968 war die Zeit reif für die den musikalischen Aufstand. Empört und enttäuscht darüber, dass die Errungenschaften des europäischen neuen Jazz von den Berliner Jazztagen vernachlässigt und seine speziellen Produktionsweisen nicht beachtet wurden, ergriffen die Freejazzer selbst die Initiative und veranstalteten im Quasimodo das erste "Total Music Meeting" (TMM). Der Erkenntnisgewinn rechtfertigte die Fortsetzung. Im folgenden Jahr wurde die Free Music Production, (FMP) gegründet, Musikerpool, Veranstalter und Schallplattenfirma in einem.

30 Jahre später. Jost Gebers, die graue Eminenz der FMP und heute mit 58 noch genauso leidenschaftlich dabei wie damals, weist Bezeichnungen wie "ewige Rebellen" entschieden zurück. Auch sei die strikte Verneinung musikalischer Konventionen nie als politisch-gesellschaftlicher Kommentar gemeint gewesen.

Gegenüber dem Jazzfest, das eine internationale Mischung und aktuelle Tendenzen vorführt und auch kommerziellen Jazz nicht prinzipiell ausschließt, leistet sich das TMM den Luxus, eine von Modeströmungen völlig unabhängige, geistig freie, kreatürliche Menschenmusik vorzustellen.

Während in den Anfangsjahren amerikanische Musiker eigentlich nur im Pro­gramm der FMP auftauchten, wenn sie die europäischen, experimentelleren Spielarten goutierten, findet man in den neueren Programmen immer wieder jüngere Vertreter des klassischen amerikanischen Free Jazz, die sich nicht von Soul und Funk vereinnahmen ließen.

Daneben zählen heute zur Freien Musik auch längst Formen, die mit der Rhythmik des Jazz und dessen Instrumentarium wenig gemein haben und viel eher, wie in diesem Jahr Bassist Fernando Grillo und Posaunist Vinko Globokar, der Neuen Musik verbunden sind. Jost Gebers sagt: "Das ist ja grad das Schöne, dass es so viele Linien gibt, Annäherungen und Entfernungen, eine ständige Bereicherung, und dass man auswählen kann."

Die wahrheitssuchenden Freistilmusiker treffen, manch Vorurteil zum Trotz, auf ein kundiges, zahlreiches und altersmäßig stark gemischtes Publikum, das in den unbequemen Klängen den Maßstab künstlerischer Integrität erkennt. Manches von dem, was im Umkreis der anfangs sehr fremdartigen Free Music entstanden ist, hat ins Bewusstsein der Musikwelt ausgestrahlt - "Sogar (der populäre Jazzgitarrist) Pat Metheny übernimmt Erfahrungen aus diesem Bereich. Mittlerweile ist, was da passiert, so allgemeingültig geworden, dass man wissen will: Wie geht’s eigentlich weiter, wie weit kann man Extreme noch vorantreiben?"

Dass man mit diesen Fragestellungen auch ein jazzuntypisches Publikum erreichen kann, bewiesen die "Free Concerts" im Rathaus Charlottenburg und "Summer Music" im Haus am Waldsee, beide leider eingestellt. Gebers erzählt: "Ins Haus am Waldsee kamen zur Hälfte die Zehlendorfer Kunstfreunde und zur anderen das FMP-Publikum. Für die Musiker war das die größte Herausforderung, da aufzutreten. Ich erinnere mich an Diskussionen mit älteren Damen, die sich von Louis Sclavis seine Improvisationsweise erklären ließen. Es war phantastisch. Das waren Dinge, wo man sagen kann, dafür hat sich’s gelohnt."

Der Reinheitsanspruch der FMP schließt manches aus, was unter Umständen zur Popularisierung beitragen könnte. Z.B. den Einsatz von neuer Technik, obwohl sich auf dem Gebiet, wie Gebers weiß, eine Menge Kreativität tummelt. Und totale Musik draußen bei Bier und Brezeln? "Nein. Musik ist immer die Hauptsache. Nicht das Ambiente. Musik und nichts Drumrum."

Auch diesmal treten 6 Ensembles und 6 Solisten an 5 Abenden zumeist zweimal auf. "Das Publikum kann so richtig wahrnehmen, wie die Musiker arbeiten und zu diesem Ergebnis kommen. Man lernt dabei auch zu hören."

Neben Klassikern wie Misha Mengelberg oder Alex Schlippenbach, der im Duo mit Tony Oxley spielt, wird das 20. Jubiläum des ersten West-Konzerts von DDR-Free-Jazzern gefeiert: Der furiose Trommler "Baby" Sommer im Duo mit Pianist Ulrich Gumpert, Ernst-Ludwig Petrowskys schlagzeugloses "Selb-Dritt-Trio" und das "Manfred-Schulze-Bläserquintett" sind ja im Podewil, dem ehemaligen Ostberliner "Haus der jungen Talente" gewissermaßen die Gastgeber. Außerdem: das internationale "King Übü Örchestrü", Klarinettist Louis Sclavis mit dem Geräuschmaschinisten Jean-Marc Montera. Und Pianist Matthew Shipp vertritt ganz allein die USA.

aus: Berliner Morgenpost, 4. November 1998

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