Marcello Lorrai (1996)

Free Music Production (FMP)

In einem der Texte zu "For Example", einer LP-Box mit einem Überblick über die ersten zehn Jahre Arbeit der Free Music Production, schrieb Steve Lacy: "Das Wichtige an der FMP ist die kumulative Wirkung von Veranstaltungen, über 10 Jahre hinweg, von neuer (progressiver, manchmal ziemlich radikaler) improvisierter Musik. Dadurch hat sich nicht nur in Berlin ein sehr kenntnisreiches Publikum gebildet, es hat auch einen wichtigen Einfluss auf die gesamte Szene in Deutschland gehabt, wie auch auf andere Länder, in denen man sich für diese Art von Musik interessiert (Frankreich, Italien, Holland, USA usw.). Die Tatsache, dass ein solches Unternehmen Erfolg haben und immer weiter Früchte tragen kann, ist ein sehr positives Phänomen in einer Welt von ratlos machenden Künstlern und skrupellosen Veranstaltern. Die Integrität der FMP beruht auf dem klaren Geist und der harten Arbeit der Leute, die sie leiten. Es ging immer darum die Musik lebendig zu halten (und die Musiker!) und großes Interesse an der Auswahl des Programms zu erhalten."

Viele Jahre sind seitdem vergangen, und die FMP veröffentlicht hartnäckig weiter Platten und veranstaltet Konzerte. Heute ist es sogar noch deutlicher, wie treffend Lacys Wertung dieses 'kumulativen Effekts' des Engagements des Labels ist. Trotzdem wäre es eine Einschränkung, die Beständigkeit der FMP nur als Ergebnis teutonischer Ernsthaftigkeit und Hartnäckigkeit zu verstehen, und sie als Folge der standhaften Minimalisierung der 'letzten Japaner' des Free Jazz anzusehen, wäre ein Fehler. Hinter der Beständigkeit der FMP steht die grundsätzliche Idee eines 'langen Marsches' der improvisierten Musik, eine Idee, die zusammen mit dem Label entstand - der Gedanke von freier Musik, weder als flüchtige Erfahrung noch als etwas rein Stilistisches.

Die Langlebigkeit der FMP resultiert aber auch noch aus einer weiteren tragenden Achse ihrer Philosophie: in der Geschichte der FMP steht Live-Musik vor Plattenaufnahmen. Wie wir sehen werden, kamen in der Genesis der FMP Konzertaktivitäten vor Aufnahmeaktivitäten. Mehr noch, Live-Musik ist immer die treibende Kraft in der Arbeit der FMP gewesen, und wenn zum einen Konzerte und Workshops nie zu bloßen Anlässen reduziert wurden, eine Aufnahme zu machen, sind zum anderen Aufnahmen nie abstrakt, ohne Zusammenhang geplant worden. Bei der FMP hat das Veröffentlichen von Platten seine Bedeutung als Teil eines Gesamtzusammenhangs von Gelegenheiten live Musik in einem fruchtbaren Kreislauf zu präsentieren, der sie immer wieder zurück zu ihrem Ursprung bringt: Musik, so wie sie live vor Publikum entsteht. So hat es auch Bert Noglik beschrieben (in 1969-1989: Twenty Years Free Music Production, Broschüre mit Katalog, vom Label produziert): "Die Live-Aktivität als Voraussetzung für die Dokumentation und die Produktion als Nachhall vergangener wie auch als Stimulans neuer Begegnung mit der lebendigen Musik". Wie ein positives Paradox ist die Priorität, die das Label der Konzertmusik gibt, eine Priorität für den Musiker selbst, der so seine Arbeit und sein direktes Verhältnis zum Zuhörer dauerhaft entwickeln kann. Die Energie, mit der die FMP über die letzten 25 Jahre Aufnahmen produziert hat, kommt aus einem Ansatz, der keine Unterscheidung trifft zwischen den Aufnahmen und den Intentionen derer, die die Musik machen. Die ersten Ursprünge der FMP gehen zurück ins Jahr 1966, als unter den deutschen Musikern dieser Richtung die Notwendigkeit irgendeiner Form von Organisation klar wird. Als dies schließlich konkret wird, beteiligt sich auch Peter Brötzmann, eine der einflussreichsten Persönlichkeiten der Westdeutschen Free Jazz Szene, an dem Projekt, wenn auch nur vorübergehend. Seitdem ist sein Name eng mit der FMP verbunden. Brötzmann begann in den fünfziger Jahren in traditionellen Jazzclubs Klarinette zu spielen, später arbeitete er in Wuppertal (nicht weit von Köln und Essen) mit dem Bassisten Peter Kowald zusammen, einem weiteren Grundpfeiler der FMP. Neben dem Free Jazz ist Brötzmann zwischen 1965 und 1966 auch an Performances der Fluxus Bewegung beteiligt und arbeitet mit dem Komponisten Mauricio Kagel zusammen: zu dieser Zeit ist die Kommunikation zwischen den unterschiedlichsten künstlerischen Bereichen recht lebhaft und Brötzmann spielt sogar mit der experimentellen Rockband Tangerine Dream.

1965 bringt MPS das erste deutsche Free Jazz Album heraus, Gunter Hampels "Heartplants", und 1966 spielt das neu gegründete Globe Unity Orchester auf den Berliner "Jazztagen"; insgesamt aber sind Auftrittsmöglichkeiten für Free Jazz Musiker gering und die Situation ist unbefriedigend. Hinzu kommt, dass in ganz Europa die Atmosphäre von internationalem Aufbruch und Umwälzung zu spüren ist, und natürlich sind genau die Musiker, die mit freier Musik experimentieren, nicht allzu weit entfernt von den freiheitlichen und antikapitalistischen Bestrebungen der Jugend- und Studentenbewegung. Es geht nicht mehr allein um häufigeres Spielen oder bessere ökonomische Bedingungen. Es gibt ein Bedürfnis nach anderen Formen musikalischer Organisation und Ausrichtung in Übereinstimmung mit den Formen künstlerischen Ausdrucks.

Im schicksalhaften Jahr 1968 beginnt eine Reihe von Initiativen als Gegenpol zu den offiziellen Jazzveranstaltungen. In Köln ist die Antwort auf "Jazz am Rhein" im wahrsten Sinne des Wortes 'underground': die Konzerte finden in einer Tiefgarage statt, Teilnehmer sind, unter anderen, Brötzmann, Kowald, Manfred Schoof, Gerd Dudek, Alexander von Schlippenbach. Das erste "Total Music Meeting", das als Gegenveranstaltung zu den "Jazztagen" entsteht, findet im Basement des alternativen Berliner Clubs Quasimodo statt: die Veranstaltung ist von den Musikern selbst organisiert und das Schild am Eingang "Für Jazzkritiker doppelter Eintrittspreis" spiegelt die Atmosphäre genau wieder. Die Auswahl der Musiker weist über die Grenzen Westdeutschlands hinaus und die Breite der Besetzungen ist typisch für die transnationale Logik der Improvisierten Musik: außer dem rein britischen Spontaneous Music Ensemble und dem Berliner Ensemble Donata Höffer sind alle Gruppen gemischt. Brötzmann ist der einzige Deutsche in einer Gruppe, die aus Evan Parker, England, Fred Van Hove, Belgien und Han Bennink, Holland besteht. Zwei weitere Briten, John Stevens, beziehungsweise John McLaughlin, spielen in Schoofs Quintett und in Hampels Gruppe. Auch Globe Unity, die internationale Formation, nimmt an der Veranstaltung teil und die Afroamerikaner Pharoah Sanders und Sonny Sharrock, aus dem Programm der Jazztage, tauchen mit ihren Instrumenten auf. Ebenfalls dabei ist der Bassist Jost Gebers, einer der Pioniere der deutschen improvisierten Musikszene, der seit dem Anfang der sechziger Jahre in Berliner Clubs Free Jazz spielte. Bald darauf sollte er sein Instrument zur Seite legen und seine ganze Energie der Organisation der Free Music Production widmen. Hört man die Musik, aufgenommen im Mai '68 in Bremen (erschienen unter dem Titel "Machine Gun", FMP 0090) vom kämpferischen Oktett unter der Leitung von Brötzmann, mit Willem Breuker, Evan Parker und dem Bandleader an den Reeds, Fred Van Hove, Piano, Peter Kowald und Buschi Niebergall, Bass, Han Bennink und Sven-Åke Johansson, Schlagzeug, dann versteht man dieses besondere Klima, das die ersten deutschen Improvisationsausflüge kennzeichnete. "Machine Gun" (selten war ein Titel treffender) präsentiert Free Jazz von furioser und gewaltiger Kraft mit einer Klangexplosion, in der man den ganzen Drang der befreienden Kräfte diese Zeit hören kann und deren reinigende Kraft auch noch nach all dieser Zeit zu spüren ist. Ein Manifest von Brötzmanns Vitalität und Wut, aber auch ein musterhafter Beweis zweier wichtiger Tatsachen: die Zeit war reif für die Zusammenarbeit radikaler europäischer Musiker (und das war etwas, worauf die FMP ihre Arbeit gründete) und dass das, was man als die Assimilation amerikanischer freier Musik bezeichnen kann, eine ästhetische Kohärenz erreicht hat. Die Konventionen des Pre-Free Jazz fehlen fast vollkommen in der Welt von Machine Gun, das seine Lektion von der äußersten amerikanischen Avantgarde gelernt hat. In der Musik von Brötzmann und seinen Mitspielern erscheinen diese selben Formen weitgehend akzentfrei und ohne Anlehnung an die bestehende Jazztradition. Das erste "Total Music Meeting" beginnt eine jährliche Tradition die, immer mit gleichem Titel und unter allmählicher Transformation vom Gegenfestival zu einer ergänzenden Veranstaltung zum Berliner Jazzfest, bis heute besteht. Eine weitere jährliche Tradition, der "Workshop Freie Musik" startet Ostern 1969. Diese beiden Veranstaltungen werden über Jahre den Hauptteil der Live-Aktivitäten der FMP bilden.

Free Music Production wird im September 1969 als non-profit Kooperative von Musikern gegründet, die ihren Wunsch nach Selbstmanagement in die Tat umzusetzen wollen, sowohl auf der Konzert- als auch auf der Aufnahmeebene. Ein kollektiver Anspruch, der sich bald als schwer vereinbar mit individuellen Vorhaben erweist. In einem Text zu einer weiteren FMP Broschüre mit Katalog, wahrscheinlich aus dem Jahr 1982, beschreibt Achim Forst treffend die ökonomische Realität: "Die FMP ist ein Non-Profit-Unternehmen, bei dem der Anspruch (keine Gewinne auszuschütten) leider immer wieder mit der Realität (keine Gewinne zu haben) übereinstimmt." Veranstalter sind Gebers, Brötzmann, Kowald und Schlippenbach. Die beiden ersten werden für lange Zeit die treibenden Kräfte der Unternehmung bleiben und die ganze Last der Probleme der FMP schultern, besonders in schlechten Zeiten, in denen die kollektive Teilnahme am geringsten ist.

Das erste Album, das von der FMP veröffentlicht wird, aufgenommen im Juni '69, ist "European Echoes" (FMP 0010) vom Manfred Schoof Orchester, das ein Aufgebot der stürmischsten Improvisatoren der Zeit präsentiert: Schoof, Enrico Rava und Hugh Steinmetz, Trompete, Brötzmann, Parker und Dudek, Saxophon, Rutherford, Posaune, Derek Bailey, Gitarre, Van Hove, von Schlippenbach und Irène Schweizer, Piano, Kowald, Niebergall und Arjen Gorter, Bass, Bennink und Pierre Favre, Schlagzeug. Das Ensemble bildet eine Art Koalition zwischen den drei beständigsten Gruppen der deutschen Free Jazz Szene: dem Trio der Schweizer Pianistin Schweizer, Brötzmanns Trio und Schoofs Quintett. "Wir waren alle der Ansicht", erinnert sich Gebers, "dass dies für unsere erste Platte genau das Richtige war, zumal fast alle Musiker, die bislang zur Kooperative gehörten, hierbei vertreten waren."

Das nächste Album ist "Balls" (FMP 0020) aufgenommen im August '70 vom Trio Brötzmann-Van Hove-Bennink, die erste LP eines Ensembles, das eines der populärsten der europäischen Free Jazz Szene werden sollte. Bald darauf dokumentieren drei Aufnahmen hintereinander zwei Konzerte vom August 1971 vom Berliner "Free Music Market", Konzerte, die den Anfang der Zusammenarbeit zwischen dem Trio und dem Posaunisten Albert Mangelsdorff markieren. Der FMP Katalog, in dem Brötzmann auf acht der ersten zehn Aufnahmen des Labels vertreten ist, von denen sechs seinen Namen tragen, listet auch zwei Alben, die vor der Gründung des Labels entstanden. Sie waren davor bei Auftritten als Musiker-Selbstproduktionen verkauft worden: "For Adolphe Sax" (FMP 0080) von '67 und "Machine Gun" (FMP 0090).  Dasselbe gilt auch für das nächste Album, das zehnte des Labels, "The Living Music" (FMP 0100) von Schlippenbach. Der Pianist, zusammen mit Evan Parker und Schlagzeuger Paul Lovens in einem Trio, das nicht nur ein Klassiker der FMP, sondern der gesamten europäischen improvisierten Musik wird; im November '72 wird "Pakistani Pomade" (FMP 0110) aufgenommen. Ebenfalls 1972 treten weitere Musiker an das junge Label heran, das daraufhin ihre Musik veröffentlicht, darunter der Saxophonist Rüdiger Carl und Peter Kowald, mit einem Trio, bzw. einem Quintett. 1973 erscheint das Soloalbum des Gitarristen Hans Reichel.

Einmal zum Kreis der FMP gestoßen, ziehen Carl und Reichel nach Wuppertal (Reichel aus Hagen, Carl aus Berlin, der Perkussionist Detlef Schönenberg aus Bochum), als direkte Folge der intensiven Arbeit von Brötzmann und Kowald, durch die die Stadt eines der Zentren für Improvisierte Musik wurde. In Wuppertal bildet sich eine Gruppe von Musikern um den Bassisten und beginnt, nach dem Berliner Vorbild, Workshops zu organisieren; Brötzmann hält das Verhältnis zwischen dem radikalen Umfeld in Wuppertal und dem von Berlin lebendig, wo Gebers arbeitet. Irène Schweizer bringt junge Schweizer Musiker hinzu, wie den Gitarristen Stephan Wittwer, der in der zweiten Hälfte des Jahrzehnts die Gelegenheit bekommt, Aufnahmen für das deutsche Label zu machen.

Mit der Veröffentlichung von Reichels Album sind in diesen etwa drei oder vier Jahren, im Rahmen von etwa 15 Plattenveröffentlichungen, alle Musiker, die den 'harten Kern' der FMP ausmachen, auf der Aufnahme-Szene erschienen und bleiben dort auch über die etwa 250 Platten, und später CDs, die die FMP im Lauf der Jahre veröffentlicht, präsent. Alle sind auch noch vertreten auf den CDs, die in den neunziger Jahren erscheinen: Brötzmann, Kowald, von Schlippenbach, Schweizer, Carl, Reichel, keiner fehlt im neuen CD-Katalog, den die FMP Ende der achtziger Jahre startet.

Wenn man die Titel des Katalogs durchgeht, findet man Dutzende, für die Brötzmann verantwortlich zeichnet oder an denen er beteiligt ist. Sogar ohne die Last Exit Group, Bill Laswells Projekt, das hier gar nicht vertreten ist, dokumentieren diese Aufnahmen Brötzmanns Entwicklung bis ins letzte Detail. Wenn er auch auf seine Art eine Kultfigur ist, ist er doch kein Garant für Verkaufszahlen und so beweist die Veröffentlichung von so vielen seiner Aufnahmen, wie anti-kommerziell das Label immer geblieben ist.

Das Label gibt der einzelnen Aufnahme ihren Stellenwert als Ausdruck künstlerischer Autonomie, und nicht dem Neuen an sich. Manches im Katalog kann man als eine Art Reihe radikaler Musik verstehen: jede einzelne Episode verdient es 'probiert' zu werden, aber die eigentliche und tiefere Bedeutung liegt in der Vertrautheit des Publikums mit jedem einzelnen der Akteure, die man auf dem Weg durch die einzelnen Episoden kennen gelernt hat. Es ist diese Familiarität, die die tiefste Erfahrung der Variationen eines Themas einer Episode ermöglicht.

Das methodische Wiederauftreten bestimmter 'Akteure' sollte nicht als Zeichen für ein abgeschlossenes System oder monomanischer Tendenzen gesehen werden. Es geht zurück auf einen der Grundsätze, die die Arbeit der FMP über all die Jahre immer wieder inspiriert haben: das kontinuierliche Präsentieren der Musiker, die Gebers als die erste Generation bezeichnet. Die nicht nachlassende Aufmerksamkeit für die ersten Leitfiguren der Improvisierten Musik ist gleichzeitig Schutz und Anerkennung des historischen Gedächtnisses der freien Musik. Nach den schon erwähnten Aufnahmen von Brötzmann und Schlippenbach legt die FMP in diesem Sinne noch weitere Produktionen neu auf, die schon vor der Gründung des Labels erschienen waren: "The Early Quintet" (FMP 0540) von Manfred Schoof aus dem Jahr 1966, "The Early Tapes" (FMP 0590) von Irène Schweizers Trio von 1967 und "Santana" (FMP 0630) von Pierre Favres Trio mit Schweizer und Kowald aus dem Jahr 1968.

Ganz sicher ist der FMP Katalog, in Inhalt and Ausrichtung, nicht so abgeschlossen und monolithisch wie er auf einen ersten oberflächlichen Blick erscheinen mag: nicht alles darin ist extrem frei, nicht alles ist Improvisation. Es ist ein Katalog, gewachsen mit den sich entwickelnden Verästelungen und Hinzufügungen, ohne jemals die Musiker zu vergessen, die Zeichen gesetzt haben und ohne jede Verschwendung von Energie.

Über die Jahre hat die zentripetale Kraft des Originalkerns der FMP nicht nachgelassen, Musiker der jüngeren Generation anzuziehen, die perfekt zur ursprünglichen Bewegung passen, bis sie selber Referenzpunkte in der Welt der Improvisation werden, wie z.B. im Fall des Saxophonisten und Klarinettisten Wolfgang Fuchs.

Eine erste Ausweitung des (Wirkungs-)Horizontes geschah aber dennoch im deutschen Raum. Anfang der siebziger Jahre bekommen viele der der FMP verbundenen Musiker Tagesvisa in die DDR, unter anderem Brötzmann, Parker, Rutherford, Kowald, Schweizer, Lovens, Carl: sie nutzen sie, um auf der anderen Seite der Mauer mit den Improvisatoren der Deutschen Demokratischen Republik zu spielen, in Konzerten, die der freien Musikszene des anderen Deutschlands entscheidende Impulse geben werden (die Sessions in der Melodie Bar in Ost-Berlin werden besonders in Erinnerung bleiben).

Vom diskographischen Gesichtspunkt her sind die beginnenden Kontakte mit der DDR auf die Veröffentlichung von Material beschränkt, das vom staatlichen Radio der DDR freigegeben wird: die erste Produktion ist "Just For Fun" (FMP 0140) vom Quartett des Saxophonisten Ernst-Ludwig Petrowsky mit Conrad Bauer, Posaune, aufgenommen in Berlin im April 1973, der vierzehnte Titel im FMP Katalog. Ab 1978 hat die FMP die Möglichkeit, im Westen Live-Auftritte von ostdeutschen Improvisatoren wie Petrowsky, Bauer, dem Pianisten Ulrich Gumpert und dem Schlagzeuger Günter Sommer zu präsentieren. Eine Reihe von Konzerten mit Gruppen aus der DDR unter dem Titel "Jazz Now" wird daraufhin als Box Set, "Snapshot Jazz Now / Jazz aus der DDR", veröffentlicht, zwei LPs mit Begleittexten und Photos, die unter anderen die Ulrich Gumpert Workshop Band präsentieren, das Duo Gumpert-Sommer und Petrowskys Quartett.

Im Jahr 1979 beginnen auch die Co-Produktionen mit der DDR. Drei Alben werden in Zusammenarbeit zwischen der FMP und dem ostdeutschen staatlichen Label VEB Deutsche Schallplatten veröffentlicht. Eins davon, "Touch the Earth" (FMP 0730) wird von einem Trio unter dem Namen Chicago/Wuppertal/Dresden eingespielt, mit Leo Smith, Trompete, Kowald und Sommer und demonstriert das Interesse an einem Dialog mit den radikaleren Exponenten Afroamerikanischer Improvisation, der zu interessanten Entwicklungen führt.

Nachdem die FMP mit solcher Entschlossenheit zur Definition der eigenen Identität europäischer Improvisation beigetragen hat, ohne irgendwelche Minderwertigkeitskomplexe gegenüber Jazzmodellen von der anderen Seite des großen Teichs, ist es gerade die Afroamerikanische Szene, zu der die FMP um ihren zwanzigsten Geburtstag herum die stärkste Öffnung und die kühnste Einbeziehung durchführt. Normalerweise eher dazu tendierend, sich mit einigen wenigen loyalen und vertrauten Gehilfen zu umgeben, zeigt Cecil Taylor gegen Mitte der achtziger Jahre in Europa Anzeichen von größerer Bereitschaft zur Konfrontation mit Musikern anderer Richtungen, Erfahrungen und Generationen.

Neben einer Neuauflage seines Duos mit Max Roach und spontaner Zusammenarbeit mit dem Art Ensemble of Chicago, tourt Taylor mit einer Besetzung, die die Alte und Neue Welt unter dem Namen "Music From Two Continents" verbindet. FMP ergreift die Gelegenheit dieser ungewohnten Kontaktbereitschaft des Pianisten und widmet ihm im April '86 in Berlin die gesamten fünf Abende des jährlichen "Workshop Freie Musik": Taylor spielt solo, mehrmals mit seiner 'Unit' und der 'Euro-American Group', die, für den europäischen Teil der Tournee, eine vollkommen neue Auflage von "Music From Two Continents" war. Es ist der erste Teil einer intensiven Zusammenarbeit zwischen Taylor und der FMP, die seitdem besteht und das erste einer langen Reihe von Projekten mit Taylors Kunst, die die FMP in den folgenden Jahren präsentiert. Zwischen Juni und Juli '88 legt die FMP noch einmal nach: zwölf Auftritte des Pianisten über einen Monat, ein Piano Seminar, ein Workshop für junge Musiker und 10 Tage Proben mit einem neuen Orchester, das erste, das fast ganz aus Musikern des 'alten' Kontinents besteht, Rava und Tomasz Stanko, Trompete, Hannes Bauer, Christian Radovan und Wolter Wierbos, Posaune, Martin Mayes, French Horn, Brötzmann, Parker, Hans Koch, Peter van Bergen und Louis Sclavis, Reeds, Gunter Hampel, Vibraphon, Tristan Honsinger, Cello, Kowald und William Parker, Bass, Bennink, Schlagzeug. Dreh- und Angelpunkt dieses grandiosen Projekts sind die European Big Band und fünf Duos mit führenden Schlagzeugern der improvisierten Musik, die eng mit der FMP verbunden sind, Sommer, Lovens, Bennink, Tony Oxley und Louis Moholo (letzterer öfters auf FMP Aufnahmen vertreten, zum Teil zusammen mit dem Bassisten Harry Miller, einer weiteren Schlüsselfigur aus der Südafrikanischen Diaspora). Daraus veröffentlicht die FMP die limitierte Box "Cecil Taylor In Berlin '88" mit 10 CDs (davon eine Doppel-CD) mit einem umfangreichen Booklet voll mit Text- und Bildmaterial. Die einzige CD, die nicht auch zusätzlich einzeln erhältlich ist, präsentiert einen Ausschnitt mit Teilnehmern des Workshops, die anderen neun Aufnahmen fast ausschließlich die Konzerte der Reihe, d.h. Auftritte der European Big Band, die Duos mit den Schlagzeugern, ein Duo mit dem Gitarristen Derek Bailey und ein Solo. Zusätzlich gibt es ein Trio mit Evan Parker und dem Cellisten Tristan Honsinger aus einer Reihe von weniger formalen Auftritten. Und immer noch nicht zufrieden mit ihrer Leistung, dieser beispiellosen Hommage an einen lebenden Jazzmusiker, bringt die FMP direkt noch eine weitere Doppel-CD heraus mit einem Solo von Taylor und einem Duo mit Sommer, zur gleichen Zeit in Ostberlin aufgenommen. Diese Aufnahme ist die erste einer Reihe, zu der es inzwischen weitere Episoden gibt. Auch sollte man erwähnen, dass sich diese von der FMP initiierte Begegnung zwischen Taylor und Oxley zu einer beständigen Zusammenarbeit entwickelt hat. Der englische Schlagzeuger erscheint regelmäßig an der Seite des Pianisten, vor allem im Trio mit William Parker (Taylors üblicher Bassist), der auch oft mit Brötzmann spielt.

Ende der achtziger Jahre wählt die internationale Kritikerschaft "Cecil Taylor In Berlin '88" zur Aufnahme des Jahres 1990 im Down Beat Poll und gibt dem CD-Katalog des Labels den entscheidenden Anstoß nach einer Zeit großer Probleme, die die Existenz des Labels gefährdet hatten. Dieser Start ermöglicht es der FMP, ohne irgendwelche Abstriche in ihrem Engagement, auch weit hinaus über die leider so engen Grenzen des Interesses für improvisierte Musik, Aufmerksamkeit zu wecken.

Der Kontakt zwischen Taylor und der FMP, diese historische Umarmung zweier Welten der Improvisation, jede mit ihrem eigenen typischen Hintergrund, aber auch mit vielen Gemeinsamkeiten, bedeutet ein gegenseitiges Anerkennen von Verwandtschaft in Integrität und Ethik.

Der CD-Katalog - der größtenteils Titel aus der zweiten Hälfte der achtziger Jahre präsentiert, aber auch durch Wiederveröffentlichung von alten Meisterwerken wie "Machine Gun" (FMP CD 24) die eigene Geschichte pflegt - bringt auch durch einige 'ökumenische' Tendenzen neue Farben auf die FMP Palette. Der erste Titel des neuen Katalogs z.B. ist eine CD von Africa Djolé, einer Gruppe von Perkussionisten aus Westafrika, mit zwei Aufnahmen, die ursprünglich vom Tochterlabel SAJ veröffentlicht worden waren. Mit seinen etwa 60 Aufnahmen hatte SAJ (ein Akronym aus den Initialen Sven-Åke Johanssons) die Funktion (zusätzlich zu den freien Aufnahmen, die in Zusammenarbeit mit anderen Musikerorganisationen produziert wurden) Alben zu präsentieren wie z.B. das der Musik von Jelly Roll Morton gewidmete von Schlippenbachs mit dem römischen RAI Orchester, die von der Linie des Hauptlabels abwichen. Jetzt werden diese beiden Ansätze verbunden. Daher erscheint "Mujician III" (FMP CD 12), die dritte Soloepisode des englischen Pianisten Keith Tippett, nun im neuen FMP Katalog, während die ersten beiden Aufnahmen bei SAJ veröffentlicht worden waren.

Inzwischen hat sich die Präsenz Afroamerikanischer Musiker verstärkt. Die Persönlichkeit des Bläsers Butch Morris passt besonders gut zur Ästhetik der FMP, er ist auf zwei Alben mit zwei Ensembles von bemerkenswerter Bandbreite zu hören: "X-Communication" (FMP CD 33) mit dem Posaunisten J.A Deane, der Vokalistin Shelley Hirsch, Jason Hwang, Geige, Martin Schütz, Cello, Koch, Reichel und Lovens und in einem Quartett mit Kowald, Werner Lüdi, Saxophon und der aus Zentralasien stammenden Experimentalvokalistin Sainkho Namtchylak (der die FMP auch eine Soloaufnahme widmet). Im Katalog findet man auch den Saxophonisten Charles Gayle, ein vernachlässigter Star des historischen Free Jazz, den Schlagzeuger Sunny Murray im Duo mit Schlippenbach, den Bassisten Fred Hopkins und den Schlagzeuger Rashied Ali in einem Trio mit Brötzmann und das Quintett des Trompeters Raphe Malik (ein ehemaliger Mitstreiter Taylors) auf einem Album, das in progressiven, aber doch recht orthodoxen Jazzbereichen angesiedelt ist.

Wenigstens noch zwei weitere amerikanische Persönlichkeiten sollten hier erwähnt werden: Steve Lacy, schon Mitte der siebziger Jahre als Mitglied des Globe Unity Orchesters auf Aufnahmen der FMP vertreten, taucht im neuen Katalog auf im Sopransax-Duo mit Evan Parker und im Trio mit Lol Coxhill, die Pianistin Marilyn Crispell im Duo mit Irène Schweizer.

Nicht zuletzt ist der Anteil des französischen Jazz an FMP-Produktionen bemerkenswert: zusätzlich zum Saxophonisten und Klarinettisten Louis Sclavis, der schon länger mit dem Label zusammengearbeitet hatte, erscheint im CD-Katalog der Klarinettist Jacques Di Donato, der Saxophonist Michel Doneda, der Gitarrist Jean-Marc Montera und der Perkussionist Lê Quan Ninh. Dieses wachsende Bekenntnis zum Französischen Jazz, verbunden mit einer nicht nachlassenden und akribischen Suche nach jungen Talenten, beweist eine Leidenschaft, die sich nicht in Nostalgie nach den goldenen Jahren radikaler Europäischer Musik erschöpft, sondern immer weiter nach vorne schaut und beharrlich an der Entwicklung der Kultur der improvisierten Musik weiterarbeitet.

Total Music und Freie Musik - das Label live

Das "Total Music Meeting" von 1992 markierte das fünfundzwanzigjährige Jubiläum, direkt gefolgt vom "Workshop Freie Musik", 1993. Dies ist ein Rekord an Dauer und Regelmäßigkeit, der in den nächsten Auflagen noch immer weiter getragen wurde. Zusätzlich zu den Konzerten, die bei diesen beiden Veranstaltungen präsentiert werden, der "Workshop Freie Musik" im Frühjahr, das "Total Music Meeting" im Herbst, gibt es noch verschiedene Konzerte, die die Free Music Production in der Zeit dazwischen produziert.

Aber viel wichtiger als die Quantität ist die Qualität der Veranstaltungen. Zunächst das Schema: das Programm geht normalerweise über vier oder fünf Tage, mit Veranstaltungen, die nicht nur ausschließlich abends stattfinden, wodurch zum einen interessierte Zuhörer Gelegenheit bekommen, wirklich in das Klima improvisierter Musik einzutauchen, andererseits die Musiker aber auch mehrmals und in unterschiedlichen Kontexten zu hören sind. Unterstrichen wird dieser Ansatz oft noch durch die Gegenüberstellung verschiedener Musiker auf gleichen Instrumenten (zum Beispiel einer Reihe von Gitarren- oder Vokalsolos); meistens gibt es zum Abschluss eine kollektive Performance der Musiker mit gleichem Instrument.

Der Versuch, die Möglichkeiten eines einzelnen Instruments zu erforschen, sowohl im Solospiel als auch in einer Gruppe, hat wahrscheinlich mit der unvergessenen Ausgabe des "Total Music Meeting" von 1986 seinen Höhepunkt erreicht, in der es ausschließlich um die Posaune ging und die etwa fünfzehn der bedeutendsten Spezialisten auf dem Instrument präsentierte, von Albert Mangelsdorff bis Günter Christmann, von Giancarlo Schiaffini bis Conrad Bauer, von Vinko Globokar bis George Lewis. Als weiteres oft benutztes Element wird an jedem Abend eine Leitfigur in verschiedenen Kombinationen mit den anderen Musikern in den Mittelpunkt gestellt.

FMP hat solche Gelegenheiten genutzt, die Palette der angebotenen Musik zu erweitern, und hat Musiker präsentiert, die nicht im gewohnten Umfeld improvisierter Musik tätig sind, wie zum Beispiel Musiker nicht-westlicher Kulturen, besonders aus Asien (wie im Falle des Kotospielers Kazue Sawai, und Seizan Matsuda, Shakuhachi, beide aus Japan oder Jin Hi Kim, ein Komungospieler aus Korea), oder solche aus Grenzgebieten zwischen radikaler Musik, experimentellem Rock und Noisemusic (z.B. der japanische Gitarrist Kazuhisa Uchihashi). Von einigen dieser Begegnungen mit den experimentierfreudigsten FMP Künstlern sind auch Aufnahmen entstanden (z.B. von Matsuda und Peter Kowald und von Uchihashi und Hans Reichel).

Das letzte "Total Music Meeting" im Herbst '95 war der "Conduction" Methode von Butch Morris gewidmet, der sie mit einer Gruppe junger und sehr junger Musiker einsetzte, viele von ihnen mit rein klassischem Hintergrund und ohne jede Erfahrung mit Improvisation. Im letzten November hat die FMP den großen Teich überquert (zum zweiten Mal) zu einem "Salute to FMP", einer viertägigen Veranstaltung in Chicago, ganz dem Label gewidmet, mit einer Reihe von Konzerten und Begegnungen, an denen unter anderen Peter Brötzmann, Irène Schweizer, Evan Parker, Hans Reichel und Rüdiger Carl teilnahmen.

Über die ganzen 25 Jahre der Geschichte der FMP hat Jost Gebers immer seinen Lebensunterhalt in einem Beruf verdient, der nichts mit Jazz und Musik zu tun hat, so dass er sich niemals auf Kompromisse einlassen musste. Er hat eine Arbeitsdisziplin entwickelt, die auf Realismus basiert. Diese Haltung spiegelt sich in der Kürze seiner Antworten. Er ergeht sich nicht in Anekdoten und weigert sich zu erwähnen, wie viel persönliches Geld er über all die Jahre in dieses Projekt gesteckt hat, stattdessen zieht er es vor, die Linearität und Kohärenz der Entwicklung des Labels zu unterstreichen.

aus: MUSICA JAZZ # 3/1996

Übersetzung: Isabel Seeberg & Paul Lytton

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