Dominic Buchli (1994)

aus:
25 Jahre Plattenlabels ECM und FMP:
eine Plattform für randständige Musik

Es mag ein Zufall sein, dass die beiden Schallplattenlabels ECM und FMP heuer ihr Silberjubiläum feiern. Im Grundsatz sind sie zwar gleich, doch so verschieden in Aussage, Entwicklung und Strategie. Beide sind jedenfalls eine Plattform für randständige (Jazz-) Musik.

Hier aus Dominic Buchli’s Beitrag der Teil über FMP:

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Im Spannungsfeld der Kräfte
Eigentlich konnte FMP 1968/69 (fast) nur in Berlin entstehen. Durch die Zweiteilung im weltstädtischen Image und wohl auch im Charisma arg beschnitten, bemühte man sich einerseits um die Pflege der geltenden Kultur und Künste, andererseits um Aufbruch, Widerstand, um Revolution (1968!). In diesem Spannungsfeld der Kräfte von Anpassung und Verweigerung wurde meist der Schritt von der Idee zur Tat bedeutend schneller und konsequenter vollzogen als anderswo. Dem Etikett des etablierten Berlin Jazz Festivals wollten sich besonders ein paar deutsche Jazzmusiker nicht zugeordnet wissen. Dem Ruf des Aufbruchs, dessen Eigenschaft und Charakter als Freejazz am weltweit radikalsten folgend, setzten die Musiker Peter Kowald und Manfred Schoof zusammen mit dem Produzenten Jost Gebers den Grundstein zur Free Music Production.

Viele tiefschürfende Antworten
Wichtiger Auslöser war der an Ostern 1969 in der Berliner Akademie der Künste zustande gekommene Workshop Freie Musik. Dieser Workshop wurde zur alljährlichen Tradition, und nicht wenige FMP-Platten sind dort entstanden. Gerade der Workshop- oder Werkstattcharakter ist für den Freejazz, die improvisierte Musik, die lebenswichtige Grundlage. Unter diesem Gesichtspunkt gibt es einige Einspielungen, gerade aus den ersten, sogenannt „wilden“ Jahren, die ganz unter dem Eindruck des Entstehens, der Momentaufnahme zu verstehen sind. Ohne FMP-Platten und deren heutigen Wiederveröffentlichungen auf CD wäre eine entscheidende Phase der Jazzentwicklung nicht dokumentiert.

Ein Meilenstein wie Schoofs „European Echoes“ war die erste von vielen deutlichen und tiefschürfenden Antworten auf die vermeintlich amerikanische Vormachtstellung im Jazz. Nicht nur das: auch die europäische Fortsetzung vom Colemans Free-Ausbruch. Weiter: Brötzmanns „Machine Gun“ und Alexander von Schlippenbachs „The Living Music“ sind heute noch so taufrisch wie auch von größter Bedeutung für den gesamten Jazz schlechthin. Für den noch heute aktiven Labelgründer Jost Gebers war es kein leichter Weg: Es gab Rangeleien um Geld, Kampf um Projekte, Aufnahmetechnik, Buchführung, Organisation usw.

Was bezeichnend und als Markenzeichen zugleich beim gesamten FMP-Katalog gilt, ist die glasklare Tatsache: Jede FMP-Einspielung ist Freejazz, kompromisslos, pulsierend und darum so feine und auf X-Arten zu erlebende und erforschende Musik. Neuester und erneut nachhaltiger Beweis dafür: Peter Brötzmann, Toshinori Kondo, William Parker, Hamid Drake; „Die Like A Dog - Fragments Of Music, Life And Death Of Albert Ayler“. Einer, wenn nicht der authentischste Nachruf auf den verkannten Ayler.
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aus: Bündner Zeitung (Schweiz), 7. Dezember 1994

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