1995 WFM / Akademie der Künste

Andreas Müller (1995)

Unlängst hat die Fachzeitschrift "Jazzthetik" einen "Free-Jazz-Boom" für dieses Jahr vorausgesagt. Und wenn nicht `95, dann soll doch - so der optimistische Redakteur- spätestens 1996 der " schöne, alte Krach" (Ernst-Ludwig Petrowsky) mehrheitsfähig werden.

Kürzlich spielte Wolfgang Fuchs im hessischen Hofheim ein Solo-Konzert. Vor 14 zahlenden Gästen, 8 von denen (eine saubere Zwei-Drittel-Mehrheit, immerhin!) waren sturzbegeistert. Der verwegene Veranstalter fand klare Worte für die Misere: "Die Leute haben immer noch eine schreckliche Angst vor der Avantgarde. Es ist furchtbar!"

Genau. Und trotzdem und vielleicht auch deshalb gibt es die FMP, das Total Music Meeting und den Workshop Freie Musik, der nun zum 27. Male stattfindet. Das ist -auch wenn viele den Workshop längst als unantastbares und institutionalisiertes Festival begreifen - nicht selbstverständlich. Denn: die Zeiten sind hart. Härter vielleicht noch als in jenen Jahren der ersten Konfrontationen mit den freien Tönen.

Geld für Kultur ist knapp. Jedenfalls für jene Kultur, die sich außerhalb von gigantomanischen Museumsprojekten oder hehren philharmonischen Hallen bewegt, bzw. bewegen muss. Das ist nichts Neues, und die Macher sind´s gewohnt. Dabei hatten wir doch irgendwann mal gehofft, dass die endlosen und unsäglichen Diskussionen um die Relevanz der improvisierten Musik (um Inhalte soll ruhig weiter gestritten werden!) vorbei wären. Denkste! Auch nach fast 30 Jahren bedeutender Arbeit bläst der FMP ein kräftiger Gegenwind ins Gesicht (klar: nicht nur ihr. Und natürlich ist es auch woanders nicht leichter geworden - man denke nur an die Arbeitsbedingungen der britischen Improvisatoren…). Der Kampf ums Geld ist nach wie vor zäh; man hat ihn trotz massiver Kürzungen ("Bonn" strich drei Viertel der Zuschüsse für den Berliner Kulturetat!) noch einmal knapp gewonnen.

Damals, am Anfang, Ostern ´69, da hieß es "erstmal machen". Der Workshop brach radikal mit den tradierten und schematischen Festivalformen, die wenig Raum für die Musiker und ihre Klänge ließen. In der Akademie der Künste tat sich dieser Raum auf. Die Akteure hatten Zeit, um - losgelöst von irgendwelchen Schedules - spontane Besetzungen zu er-improvisieren. Der offene Werkstattcharakter führte zu erstaunlichen Ergebnissen: zwar wurde hier die Improvisation nicht neu erfunden, aber die Abkehr von festen Formationen, der Verzicht auf einen festen Programmablauf - häufig wussten Musiker und Publikum bis kurz vor Konzertbeginn nicht, wer mit wem spielen würde - und die damit verbundene Herausforderung, nicht sich bereits einschleichende Klischees zu wiederholen, wirkten noch einmal befreiend. Die Zuhörer hatten die Improvisation greifbar vor sich oder bekamen doch wenigstens eine Ahnung davon, was das überhaupt heißt: frei improvisieren.

Rasch entstand mit dem Workshop eines der bedeutendsten europäischen Foren für die Freie Musik. Zu hören ist dies auf Dutzenden von FMP LPs und CDs (die ersten zehn Jahre sind bestens dokumentiert in der 3-LP/Foto/Textbuch-Box "For Example" - leider ist das Werk schon lange vergriffen…).

Natürlich geriet in den Jahren nicht alles erfolgreich - insbesondere die "offene Form" sorgte für manches Missverständnis. So schreibt G. Fritze Margull in den Liner Notes zu der Globe Unity-CD "Rumbling": "Vorbei (hoffentlich) die Zeit, in der Besuchern des Workshops beinah alles erlaubt schien. Unverschämt viele Instrumentenkofferträger glaubten, vom "frei" verlockt, jederzeit mitspielen zu müssen, besonders die "hausgemachte Flöte" hatte Konjunktur. Die Anzahl der mitgeschleppten Kinder widerlegte den Satz vom Aussterben… Der Boden der Halle war Picknick- und Schlafplatz zugleich. Die Bestuhlung drin, oder schon wieder draußen?".

Tja, diese Zeiten sind wohl vorbei. Dafür entstehen dann schon mal andere Probleme: als im vergangenen Jahr der Workshop zum ersten Mal in seiner Geschichte nicht in der Akademie, sondern in einem ehemaligen Straßenbahndepot stattfinden musste, geriet das Ganze beinahe zum Fiasko. Wenn damals entfesselte Flötenspieler und plärrende Kinder nervten, so waren es diesmal eine wummernde Stahltür zwischen Kneipe und Konzertraum, eine Akustik, die so manchen Ton auf seiner Reise vom Instrument zum Publikumsohr verschwinden ließ, und die einfache Tatsache, dass nur wenige wussten, wo denn dieses Straßenbahndepot überhaupt zu finden sei, die den 94er Workshop nicht ganz leicht erträglich machten. Die Musik war übrigens prima - es hat sie nur kaum jemand gehört.

Diesmal gibt's den Workshop wieder am gewohnten Platze. Und auch diesmal ist wieder alles offen (selbst wenn der Programmablauf längst fest geplant wird) , und auch diesmal werden die Musikerinnen und Musiker ihre Freiräume finden. An fünf Abenden treffen fünf Bands auf fünf Solistinnen und Solisten - verdiente Veteranen wie Peter Brötzmann, Peter Kowald und Sam Rivers (es hat wirklich geklappt!) teilen die Bühne mit Nachwuchskräften wie Christine Wodrascka, Matthew Shipp oder Jon Lloyd. Fürchten Sie sich nicht vor der Avantgarde! Sorgen Sie für einen Free-Jazz-Boom! Gehen Sie zum Workshop Freie Musik!

aus: Programmblatt WFM 1995

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