1988 WFM / Akademie der Künste

Achim Heppelmann (1988)

saxophones

20. Workshop Freie Musik

Auch in der Freien Musik Szene kann und darf man sich über Traditionen freuen - erst recht, wenn man sie selbst einmal geboren hat. Der Workshop Freie Musik war (nach dem Total Music Meeting) die zweite wichtige Errungenschaft der Free Music Production auf dem Weg zu einer adäquaten Präsentationsform improvisierter Musik. Was in den Ostertagen 1969 wegen seiner explosiven Programmmischung aus Free Jazz Gruppen und der Alexis Korner Blues Group in der Akademie der Künste noch zu aggressiven bis handfesten Reaktionen des Publikums führte, das geht in diesem Jahr in seine stolze 20. Runde: nicht zu Ostern allerdings, aber im traditionellen 5TageFormat vom 4. bis 8. Mai - mit einem zusätzlichen Bonuskonzert am 11. Mai.

Das Thema des diesjährigen Workshops lautet „Saxophones“ und breitet die Musterpalette einer Ensembleform aus, die besonders bei jüngeren Jazzern derzeit wachsende Aufmerksamkeit erfährt: „Saxophones“ präsentiert acht Saxophon Quartette/Quintette der unterschiedlichsten stilistischen Herkunft und stellt sieben davon mit jeweils zwei Konzerten an verschiedenen Abenden nebeneinander.

Das „Nederlands Saxofoon Kwartet“ vertritt die klassische Musik, die sie ohne Improvisation pflegt. In seiner Nachbarschaft arbeitet das „Berliner Saxophon Quartett“, das ebenfalls die klassische Musik betreut, darüber hinaus aber bis hin zur Improvisation sich an verschiedenstem Material versucht.

In eine Kategorie des typischen JazzSax-Vierers/Fünfers müsste man - wenn es eine solche Kategorie denn gäbe - die „Kölner Saxophon Mafia“ und das New Yorker „29th Street Saxophone Quartet“ einordnen. Die englischen „ltchy Fingers“ hingegen vertreten die junge englische Szene, die sich gleichermaßen an Pop, Funk, Bop und Klamauk bedient und deren berühmteste Vertreter derzeit wohl die Loose Tubes sind.

Eine solide Portion Klamauk dürfte auch bei dem Auftritt der schwedischen „Position Alpha“ hervorschillern: auch, wenn sie als einzige Gruppe einen Trommler mitbringt; „Position Alpha“ steht von allen Workshop-Gruppen am tiefsten in der Tradition des europäischen Jazz. Das „Rova Saxophone Quartet“ schließlich ist im Rahmen des Workshops das bekannteste der eingeladenen Saxophon-Ensembles, angesiedelt zwischen Neuer Musik und freier Improvisation.

Fünf Abende lang werden täglich drei dieser Gruppen auf der Bühne stehen ... Am letzten Abend des eigentlichen Workshop Programms jedoch wird es in dem Ausstellungsraum der Akademie der Künste aussehen, als probe eine Delegation aus verschiedenen Nationen gemeinsam den Einsturz der Mauern von Jericho - diesmal allerdings mit geschwungenen Hörnern. „Butch Morris“, Kornettist und Komponist aus New York, hat für die FMP ein Auftragswerk für 29 Saxophonisten komponiert, und am letzten Workshop-Abend werden alle Mitglieder dieser sieben Quartette gemeinsam auf der Bühne stehen und Morris' Komposition blasen. Denkwürdig sollte dieser Abend allein schon in optischer Hinsicht sein: Bedenkt man nämlich, dass ein Saxophonist in der Regel mit drei oder vier Kannen reist, so muss allein schon das Funkeln dieser Menge glänzenden Bleches einen nachhaltigen Eindruck vermitteln. Vom Klangkörper mal ganz zu schweigen ….

Der zusätzliche Bonus-Tag des Workshop-Jubiläums wurde für ein Konzert des Raschèr Saxophone Quartet angehängt. Sigurd Raschèr war ein bedeutender Pionier und Erforscher der Reeds: Er fand die heute zum Gemeingut zählenden Obertonskalen heraus und vermittelte sie seinen Schülern (zum Beispiel Sonny Rollins), die das Überblasen dankbar zu einem zentralen, vehementen Ausdrucksmittel ihres Instruments erhoben. Raschèrs Tochter Carina, die bereits zu Lebzeiten ihres Vaters in seinem Quartett gespielt hatte, führte die Arbeit nach dessen Tode fort. Das Programm des traditionsreichen Raschèr Saxophone Quartet bevorzugt die Neue Musik: Jazz kriegt man bei ihm nicht zu hören, stattdessen zum Beispiel lannis Xenakis.

aus: Broschüre „improvised music“, Free Music Production(FMP), 1988

zurück