1981 WFM / Akademie der Künste

Jost Gebers (1981)

13. Workshop Freie Musik
in Berlin

1969 wurden unter dem Titel „3 nights of living music and minimal art“ und seit 1970 unter dem Namen „Workshop Freie Musik“ jeweils im Frühjahr in der Berliner Akademie der Künste Musiker des Free und Avantgarde Jazz und angrenzende experimentell-improvisierte Musik präsentiert. Unter optimalsten Arbeitsbedingungen - die Akademie der Künste stellt ihre Räume, ihre Organisation, Mitarbeiter und die finanziellen Mittel zur Verfügung, überlässt aber der Free Music Production allein die Programmkonzeption, Durchführung und Abwicklung - werden in diesem Jahr vom 11. – 15. März ausschließlich britische Musiker (mit drei Ausnahmen) und Gruppen zu hören sein. Die Veranstaltung wird in Zusammenarbeit mit dem British Council durchgeführt.

Das diesjährige Programm soll einen kleinen Abriss der derzeitigen britischen Szene vermitteln. Neben Holland und Deutschland ist England das zurzeit wohl wichtigste europäische Land für improvisierte Musik im Feld zwischen Jazz und Neuer Musik. Als zentraler Programmpunkt wird an jedem Abend das London Jazz Composers Orchestra auftreten. Dieses Orchester vereinigt die wichtigsten frei-improvisierenden Musiker Englands in sich.

Den nachfolgenden Text hat Barry Guy, der Leiter des Orchesters, für die Berlin-Konzerte verfasst.

 

 

Barry Guy (1981)

London Jazz Composers Orchestra

Während der elf Jahre seines Bestehens habe ich stets an der Hoffnung festgehalten, dass das London Jazz Composers Orchestra auf der Suche nach dem schwer zu haltenden Gleichgewicht zwischen freier Improvisation und Komposition sich mehr oder weniger ständig wandeln werde. Wandlung hat sich vollzogen, doch wegen eingeschränkter Arbeitsmöglichkeiten, uninteressierter Konzertveranstalter und finanzieller Probleme ging sie zwangsläufig langsam vonstatten. Da Auftritte selten waren, boten sich kaum echte Chancen, die eigentliche Problematik großorchestraler Musik zu ergründen, obwohl einige Erfolge durchaus zu verzeichnen waren. Auch hat die Kompromisslosigkeit der Musik das ihrige getan, um das Interesse vieler so genannter Jazzfans und Anhänger moderner Musik, die angeblich auf neue Gebiete der Musik reagieren, auf sich zu lenken. Nun, diese Musik ist seit einigen Jahren zu hören, und noch immer warten wir darauf, dass sie kommen.

Meine utopische Hoffnung auf kollektives Gestalten der Stücke wird sich aber vielleicht doch erfüllen, obwohl sich natürlich viele Schwierigkeiten ergeben, wenn dieses Stadium erreicht ist – ebenso wie in der Vergangenheit beim Umgang mit ausgearbeiteten Partituren und einem Dirigenten. In psychologischer Hinsicht haben die Begriffe „freie Musik“ und „Komposition“ vielen Musikern schwer zu schaffen gemacht, besonders solchen, die nicht den Wunsch haben, Musik zu schreiben. Dieser Faktor und die Vorstellung von einem Dirigenten führten zu vielen Konflikten, obwohl natürlich die Komponisten (die auch im Orchester mitspielten) alles taten, um Partituren zu erstellen, die flexibel waren und auf die Spielweisen der einzelnen Musiker eingingen. An sich könnte das als Ausbeutung angesehen werden, da das Wesen der Musik in dem reichen instrumentalen Wortschatz der Musiker liegt, und da es keinen umfassenden Konsens gab, war es schwierig, sich für einen Weg zu entscheiden. Meine eigenen Partituren waren komplex, genau vorschreibend und bedurften eines Dirigenten, um die Musiker hindurchzuführen, was vielleicht den Vorwurf der Ausbeutung nicht aufkommen ließ, dafür aber zu Kommentaren führte, die von Unflexibilität in dem Sinne sprachen, dass freie Improvisation nicht zum Zuge gekommen sei. Ich dachte auch, dass streng festlegende Partituren uns befähigen würden, in der knappen uns verfügbaren Zeit ein Musikprogramm zusammenzustellen. Wären wir so glücklich gewesen, uns den Luxus endloser Probenzeit und anderer Zusammenkünfte leisten zu können, so würden die Wandlungen der Musik vielleicht meine wildesten Träume übertroffen haben. Doch wie gesagt, trotz bestehender Probleme hat die Musik sich vorwärts bewegt, und bezeichnenderweise kommt der Workshop Freie Musik zu einem Zeitpunkt auf uns zu, zu dem sich im Orchester wichtige Veränderungen vollzogen haben: die Bildung einer kleineren, vereinheitlichten Gruppe von Musikern, kein Dirigent mehr, und ganz allgemein die Aufforderung an alle Spieler, Gedanken zur Diskussion beizutragen.

Als Ausgangspunkt für unsere Konzerte denke ich daran, mehrere Stücke zu bringen, die wir 1980 auf unserer Englandtournee spielten und die die mehr formale Seite der Musik darstellen; als Kontrast wird ein großer Teil der Proben der Verwirklichung spontaner Projekte gewidmet sein. In diesem Stadium des Bekanntmachens mit dem Orchester ist nicht genau festgelegt, wie die Probenzeiten ablaufen werden. Sicherlich werden die älteren Stücke geprobt werden, doch daneben mag es ausgedehnte Diskussionen oder nur improvisiertes Musizieren geben – die Möglichkeiten sind unbegrenzt und aufregend – genauso wie ich mir eine ideale Arbeitsweise immer vorgestellt habe. Improvisierte Musik ist globale Musik, und so bin ich sehr gespannt darauf, mit Peter Brötzmann, Peter Kowald und Heinz Becker zu arbeiten, mit Musikern also, die bereits mit vielen Solisten des Orchesters gespielt haben. Musiker nach England ins Orchester zu holen, ist immer schwierig gewesen, so dass die Gefahr der Isolation bestand. Doch haben in den letzten Jahren Peter Brötzmann und Peter Kowald das Land regelmäßig besucht, was sich als anregend erwies, auch haben sie wesentlich beim Planen dieses Projekts mit der FMP mitgewirkt. Im vergangenen Jahr sind John Stevens, Tony Coe und Melvyn Poore neu zum LJCO gestoßen. Trevor Watts und Evan Parker sind zurückgekommen – ein Zeichen dafür, dass die Richtung stimmt, in der sich die Musik bewegt. Es sind wichtige Stimmen, die die musikalische Progression neben so wesentlichen Partnern wie Mark Charig, Paul Rutherford, Alan Tomlinson, Larry Stabbins, Phil Wachsmann, Howard Riley und Tony Oxley gewährleisten. Kenny Wheeler kann diesmal leider nicht mit dabei sein.

Neben dem Orchester hat das British Council sich für unseren Besuch stark gemacht sowie natürlich die Organisation der FMP – wofür ich an dieser Stelle danken möchte. Meine Hoffnungen für dieses Orchester haben sich bereits widergespiegelt in Alex von Schlippenbachs Globe Unity Orchestra – einer starken internationalen Gruppe von Musikern und einer erfolgreichen Synthese von Konzepten. Wenn das LJCO seine Stimme weiterhin neben Globe Unity erhebt, damit diese Musik mehr Gehör und Verständnis findet, dürfte die Herausforderung sich gelohnt haben.

Übersetzung: Wulf Teichmann

aus: JazzPodium # 3, März 1981

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