1996 TMM / "Podewil"

Markus Müller (1996)

Steve Lacy und Cecil Taylor

Das 29ste "Total Music Meeting" wird Steve Lacy und Cecil Taylor an je zweieinhalb Tagen Solo und mit ihren Ensembles/Projekten vorstellen.

Steve Lacy und Cecil Taylor: Ich kenne viele für die diese beiden Namen immer noch, immer wieder, immer bedeuten, dass sie eine Gänsehaut bekommen, dass ihnen schwindelig wird vor Vorfreude, dass sie mit nassen Händen und in euphorischer Adrenalinausschüttung zum Konzert pilgern. Vor zwei Wochen habe ich mich mit einer amerikanischen Malerin, Elizabeth Peyton, unterhalten, die z.B. Liam Gallagher von der Popband "Oasis" malt. Es war das erste Mal, dass mir persönlich jemand vollkommen hemmungslos von ihrer Liebe zu einem Popphänomen erzählt hat, ihrer Liebe! In diesem Augenblick wurde mir klar, dass mein Verhältnis zu Steve Lacy und Cecil Taylor an zwei gegenüberliegenden Punkten meines Gefühlsspektrums beginnt, aber im Grunde auf absolut irrationale und wunderbare Liebe hinausläuft. Vielleicht sind Sie jetzt irritiert, weil Sie glauben, ein "Total Music Meeting" sei das Fegefeuer echter Hardcore-Existenzialisten, die sich alles erlauben würden nur keine Emotionen. Gehen Sie vom 30. Oktober bis zum 3. November nach Berlin. Sie werden mehr liebenswerte Verrückte und freundliche Musikliebhaber treffen als Sie sich vorstellen können. Und vor allen Dingen werden Sie zwei Musiker und ihre Musik erleben und diese Musik wird früher oder später alles verändern, was Sie bis heute über Musik und das Leben gedacht haben. Und versuchen Sie mir einfach zu glauben.

Was immer man sich unter einem "Total Music Meeting" vorstellen mag, Steve Lacy und Cecil Taylor sind Vertreter einer Musikgeschichte, die weit über die Geschichte des "Total Music Meeting" und der "Free Music Production", die das Meeting veranstaltet, hinausgeht. Das "Total Music Meeting" ist von Michael Rieth in der Frankfurter Rundschau als das wichtigste beschrieben worden, was Berlin in den letzten 25 Jahren kulturell zu bieten hatte. Mit Sicherheit ist es eine Veranstaltung, die immer noch Publikum und Musikliebhaber polarisiert. Dabei sind die Liebe und die Verachtung für die Art von Musik, für die das "TMM" vermeintlich steht, gleichermaßen irrational.

Tatsache ist, dass die 29. Ausgabe des "TMM" zwei Musiker präsentiert, die Musikgeschichte repräsentieren. Steve Lacy und Cecil Taylor haben die Geschichte der Improvisierten Musik nach 1945 erarbeitet. Dabei sind sie zu den Vorbildern einer Spielhaltung geworden, deren internationale Anerkennung und musikgeschichtlicher Rang erst durch europäische Musiker und Initiativen und hier allen voran von "Free Music Production" , möglich wurde. Und es waren Steve Lacy und Cecil Taylor, die durch ihre Praxis deutlich gemacht haben, dass diese Spielhaltung zwar kontinentale Spielarten hat, aber grenzenlos ist. Lacy wurde relativ früh zum europäischsten aller amerikanischen Postbop-Spieler erklärt. Das mag auch daran liegen, dass die Schönheit seiner Musik oft mit der Konsequenz Bachscher Musik verglichen wurde und natürlich auch daran, dass er früh nach Paris ging, auf der Suche nach Überlebensmöglichkeiten. Lacy spielte dann auch schon mit der ersten Klasse der europäischen Improvisierer, dem "Globe Unity Orchestra" (z.B. "Rumbling" FMP CD 40, 1975), als Cecil Taylor dabei war, sich durch reine Energien in einen vermeintlich fernen Olymp zu spielen.

Die Wahrnehmung beider Musiker hätte nicht unterschiedlicher sein können. Während Taylor alle Kategorien eines mysatifizierenden "Fantums" ermöglichte, war Lacy eher das Ziel stiller Bewunderung. Heute lässt sich sagen, welchen Anteil die "FMP" an der Karriere beider Musiker hatte. Im Falle von Cecil Taylor ist das einzige mir bekannte Beispiel totaler Pop-Leidenschaft in der Improvisierten Musik zu beschreiben. Mit dem legendären 1988er Festival, das die "FMP" für Taylor veranstaltete, wurde aus Cecil Taylor ein weltweit gefeierter Superstar. Wichtig ist, dass sich auch seine Musik veränderte, dass er während und nach dem Festival so klang wie nie zuvor. Lacy war so etwas wie ein stiller und selbstverständlicher Motor der sich seit den 70ern rasant entwickelnden Geschichte der europäischen Improvisation. Dabei hat es mit Sicherheit immer eine Rolle gespielt, dass er als Amerikaner und authentischer Monkist mitttelbare Beziehungen in unmittelbare verwandelte.

Ich würde mir wünschen, hier wäre der Platz zu beschreiben, was es bedeutet ein Superstar zu sein, der vor fünfhundert Zuhörern spielt und was es für fünfhundert Besucher bedeutet, Steve Lacy und Cecil Taylor zu hören. Wenn Sie hingehen und die beiden hören, werden Sie den Kern dessen erleben, was ich beschreiben könnte: Die Faszination Musik zu hören, die mehr ist als der Augenblick, Musik die ihr Leben verändert, immer wieder.

aus: Programmblatt TMM 1996

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