1995 TMM / "Podewil"

Peter Thomé (1995)

Lawrence "Butch" Morris
Cornetist . Composer . Conductor

Das diesjährige Total Music Meeting steht ganz im Zeichen des "instant composing" oder auch der dirigierten Improvisation, den Zeichen und Gesten ihres Protagonisten: Lawrence D. "Butch" Morris. Er wird die Gruppenimprovisation von ca. 15 Berliner Musikern lenken und schärfen zwischen den Etiketten Jazz und zeitgenössischer Klassik.

"Ich erwarte 100% Konzentration von jedem Musiker beim Spielen und Hören des Ensembles und selbstverständlich im Hinblick auf meine Aktionen. Ich hingegen konzentriere mich auf die Möglichkeiten der Gruppe, gebe Informationen, die die Musiker wiederum zu interpretieren haben, reagiere auf die kollektive Imagination und gestalte den Sound", beschreibt der auch durch sein Kornettspiel sowie als Komponist bekannte New Yorker Künstler die "conduction", in Berlin `95 "Skyscraper" benannt.

Seit zehn Jahren arbeitet Morris an dieser Methode und redefiniert damit beständig die Rollen des Komponisten, Dirigenten, Arrangeurs und auftretenden Musikers.

Viele Zeugen seiner Furore machenden Konzerte, seit 1987 im regelmäßigen Abstand von drei Jahren auf dem TMM, werden ihn als den sensiblen Kornettisten missen, der zuletzt 1993 mit J.A. Deane und Lê Quan Ninh das Podewil verzauberte.

Doch Vorfreude lässt die Tatsache aufkommen, dass Morris in diesem Jahr viel Zeit mitbringt, um das Ensemble mit seinen besonderen Anforderungen vertraut zu machen. Seit August als DAAD-Stipendiat in Berlin, wird er sein Orchester unter Berliner Musikern auswählen und sie auf "sustain", "repeat", "memories 1, 2, 3", "rhythm A, B, C" und zwölf weitere Zeichen einstellen. Zugleich wird er ihnen auch einen Katalog von Freiheiten vermitteln und ihnen bewusst machen, dass sie es sind, die bei "sustain" den Klang definieren, den sie halten, dass sie es sind, die bei "rhythm" zwar jede beliebige Note spielen können, aber nur einen Rhythmus, und dass mehrere Rhythmen gleichzeitig nebeneinander Bestand haben können, sich zwangsläufig zu einem einzigen verdichten müssen.

Morris, der Komponist aus dem Stegreif, ist weder an energy-music noch an free-jazz interessiert, sondern "an einer sehr konzentrierten Anstrengung jedes einzelnen Musikers, einen Beitrag zu leisten zu einer Musik, die manchmal Reaktionen in Bruchteilen von Sekunden notwendig macht, in besonderem Maße dann, wenn einer sich anschickt, die Richtung der Musik zu ändern, was durchaus möglich und sogar erwünscht ist."

"Ich fordere das Ensemble heraus, das Ensemble fordert mich heraus und gemeinsam fordern wir das Publikum heraus", vereinfacht Morris die Dynamik der Präsentation. "Skyscraper Berlin" wird sicherlich ein fundiertes Experiment improvisierter Musik werden, das selbst einigen hart gesottenen Verfechtern der Berliner Traufhöhe gefallen könnte.

aus: Faltblatt der Free Music Production (FMP) 1995

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