1988 TMM / "Quartier Latin" +

"FMP-Studio"

Achim Heppelmann (1988)

F a s t
wäre es in diesem Jahr daneben gegangen…Am 1. Oktober des Jahres, in dem Berlin als Kulturstadt Europas renommiert, wurde die FMP über die Zusage der Berliner Festspiele GmbH informiert, das Total Music Meeting `88 - wie seit vierzehn Jahren notwendig und üblich - mit einem Zuschuss zu unterstützen, der ein vergleichsweise kleines, trotz aller unternommenen Anstrengungen verbliebenes Loch in der Gesamtfinanzierung schließt. Keine fünf Wochen vor dem ersten Festivaltag erreichte diese Information die FMP über einen Umweg; von der Festspiele Leitung selbst lag bei Drucklegung dieses Programms am 6. Oktober noch keine Bestätigung vor. Dank des Entgegenkommens der Geschäftsfreunde der FMP und durch die Intervention des Senators für kulturelle Angelegenheiten kann nun jedenfalls auch in diesem Jahr ein Total Music Meeting stattfinden: anders zwar, als ursprünglich geplant, aber schließlich doch noch attraktiv.

E i g e n t l i c h
"dreimaldrei" Musiker hatte das ursprüngliche Konzept des Total Music Meeting `88 in der Jahresbroschüre der FMP noch versprochen. Drei Schlagzeuger, drei Bassisten und drei Saxophonisten hatten ein Marathonprogramm absolvieren sollen, das sich rechnerisch ergibt, wenn jeder Musiker und jede mögliche Zweier- und Dreierkombination je einen Set spielt. Und die Vorbereitungen ließen sich gut an: Drei Europäer und sechs amerikanische Musiker hatten zum Teil bereits zugesagt, und tatsächlich war es der FMP gelungen, den Amerikaner Milford Graves zum Verlassen seiner Universität und zur Teilnahme am Berliner Festival zu bewegen. Und bei diesem Trommler bedeutet das, wie Kenner bestätigen werden, eine denkwürdige Rarität. Dann allerdings brach die Finanzierung zusammen. als der Intendant der Berliner Festspiele GmbH der FMP plötzlich ihre Unterstützung versagte. Die bildet seit 1976 die materielle Grundlage dieses Festivals der improvisierten Musik.

Seit `76 nämlich wird das Total Music Meeting der FMP von dem Veranstalter der Berliner Jazztage beziehungsweise des JazzFestes Berlin unterstützt: eben dieser Berliner Festspiele GmbH. Die Querelen und Unstimmigkeiten, die bereits in all diesen Jahren hinter den Kulissen ausgefochten wurden, konnte die Öffentlichkeit kaum wahrnehmen. Dennoch gab es sie, und ihren Ausdruck fanden sie meistens in einer geradezu unrealistisch langsamen Abwicklung der finanziellen Zusagen.

In diesem Jahr funktionierte das - beinahe fahrplanmäßig - zum Beispiel so: Im März ´88 schrieb die FMP dem Intendanten der Festspiele Dr. Ulrich Eckhardt einen Brief, in dem sie das "dreimaldrei"-Konzept des Total Music Meeting vorstellte und eine Kalkulation vorlegte. Es dauerte zwei ganze Monate, bis Dr. Eckhardt dann zu Pfingsten antwortete. In diesen zwei Monaten hätte die FMP eigentlich bereits planen und weiterführende Verhandlungen mit Musikern des Total Music Meeting vornehmen müssen. Nur verhandelt es sich meistens ziemlich schlecht, wenn man nicht weiß, in welchem Umfang überhaupt verhandelt werden kann.

Es wäre bösartig, hier zu behaupten, solche Verzögerung entspringe einer Taktik, die lauten könnte: Wenn wir das Total Music Meeting lange genug warten lassen, dann springen denen die Musiker ab, ihr Konzept bricht zusammen - und sie müssen das Handtuch werfen… - Solch ein Gedanke dürfte ja nicht sehr wahrscheinlich sein, denn wer sollte schon ein Interesse daran haben, dass dieses Festival der Improvisierten Musik einfach von der Bildfläche verschwände? Unterm Strich besehen, können FMP-Mitarbeiter allmählich mit solcher Behinderung umgehen: Während der letzten Jahre war es schließlich üblich, dass das Total Music Meeting im Verlauf der Vorbereitungen irgendwann gesundgeschrumpft werden musste. In diesem Jahr allerdings wollte der Festpiele-Intendant offensichtlich, dass das Blatt sich wende.

Nach Ablauf der obligatorischen 2-Monats-Frist erhielt die FMP nämlich einen Bescheid von Herrn Dr. Eckhardt, der im Wesentlichen Folgendes besagte: Die finanzielle Situation der Festspiele GmbH müsse in diesem Jahr besonders ungünstig beurteilt werden, und nun sei das Total Music Meeting ja im Grunde eine eigenständige Veranstaltung und habe überhaupt immer nur Geld gekriegt, wenn welches da war. In diesem Jahr sei aber nun mal keines da, und deshalb gebe es eben nichts für die FMP.

Nun verfügt aber die FMP über keinerlei eigene Gelder und ist auf angemessene Unterstützung des Total Music Meetings durch die Berliner Festspiele GmbH angewiesen. Mit dem ablehnenden Bescheid von Dr. Eckhardt war somit eine Durchführung des Total Music Meeting `88 in der üblichen Form und Besetzungsbreite unmöglich gemacht. Um aber nicht den Fortbestand dieser traditionsreichen Einrichtung aufzugeben, zog die FMP es vor, ein Notprogramm aus dem wackligen Boden zu stampfen.

Nur der Verbundenheit der auftretenden Musiker, der vermittelnden Hilfe des Kultursenats und besonders dem bereitwilligen Entgegenkommen einiger Geschäftspartner der FMP ist es zu verdanken, dass aus diesem Notprogramm nun doch noch ein respektables Festival-Programm erwachsen ist. Wenn auch beim Rotationsprinzip des Programmes ein paar Musiker weniger rotieren, als dies eigentlich geplant war…

Und wenn es denn möglich wäre, mit der Berliner Festspiele GmbH eine Einigung zu erzielen, nach der bereits zu einem frühen Zeitpunkt die Höhe der finanziellen Zuwendung festgeschrieben würde, dann könnte die FMP ihr internationales Total Music Programm in Zukunft mit solider Vorbereitung präsentieren. Und dann könnten sicherlich auch Hotelier, Plakatkleber, Bühnenbauer und Techniker - bei aller Liebe zur Sache - wieder das Geld bekommen, das ihnen für ihre Arbeit eigentlich zusteht.

D i e L ö s u n g
des finanziellen Problems beim Total Music Meeting `88 liest sich so: Die Auftritte des ursprünglich geplanten Bass Specials im Studio der FMP werden ins Quartier Latin verlegt, und die drei Bassisten spielen dort jeden Abend in wechselnder Besetzung jeweils ein Solo und ein Duett. Unterbrochen werden die Sets von jeweils zwei Auftritten wechselnder Saxophon-Schlagzeug-Duos.

Zum ersten Mal seit 21 Jahren werden die Holländer Willem Breuker und Han Bennink in Berlin wieder im Duo spielen. Peter Brötzmann frischt seine Zusammenarbeit mit dem DDR-Trommler Günter "Baby" Sommer auf, Evan Parker wollte, wie er sagt, sowieso immer schon mal mit dem Trommler Louis Moholo improvisieren.

Die Bassisten des Total Music Meeting `88 stehen als Eckpfeiler - für drei ziemlich verschiedene Ecken. Die Französin Joëlle Léandre kommt von der Zeitgenössischen Musik her. Lange Zeit arbeitete sie mit der europäischen Avantgarde und spielt heute in festen Duos zum Beispiel mit Irène Schweizer und Peter Kowald. Barre Phillips lebt als Amerikaner bereits seit beinahe zwei Jahrzehnten in Frankreich. Er hat mit den verschiedensten Musikern unterschiedlicher Genres gearbeitet. Nach philharmonischer Musik tat er sich schon während der Übergangszeit vom Hard Bop zum Free Jazz mit bahn brechender Experimentierfreude hervor. Klaus Koch gehört zu den Spitzenmusikern der DDR, obgleich man sich hierzulande, wenn überhaupt, ein etwas unterbelichtetes Bild von ihm macht. Jahrelang gehörte Koch den verschiedenen Kombinationen von Ernst-Ludwig Petrowsky an, und er ist ein ausgesprochener Musicians´ Musician.

A l s B o n u s
zum Total Music Meeting im Quartier Latin veranstaltet die FMP wie auch schon in den letzten beiden Jahren in ihrem Studio in der Koloniestraße ein zweitägiges Special. In diesem Jahr werden dort die Pianisten Keith Tippett und Curtis Clark in wechselnder Reihenfolge jeweils drei Sets Improvisieren.

aus: Faltblatt der Free Music Production (FMP) 1988

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