1980 TMM / "Quartier Latin"

Werner Panke (1980)

Es besteht immer das Bedürfnis nach Gegenteil (G. F. W. Hegel)
Bei uns wird die Musik vorgestellt, bei euch passiert sie. (George Gruntz)
Der Freiheit eine Hauptstraße! (Wilhelm Liefland)

Eine notdringliche Alternative war es damals, 1968. Überlebensnotwendig ist es heute, 1980.

Musiker wollen sich nicht von Business-Haien vermarkten lassen. In ihrer Kooperative bestimmen sie die Arbeitsbedingungen selber. Dafür tragen sie auch die kaufmännischen Risiken - und meistens mit Verlust. Kunst vor Kommerz.

Free Jazz wird hier ein Stück einsichtiger. Denn alle Künstler treten je dreimal auf. Diese Praxis ist nicht vergleichbar mit den Doppelkonzerten der Jazztage in der Philharmonie, wo sie lediglich medienwirksame Aufgüsse sind. Beim Total Music Meeting im „Quartier Latin“ ist vor das Geißen der Scheinwerfer die musikantische Spontaneität gesetzt. Da ist leicht nachprüfbar, ob einer nur mal eine glückhafte Stunde hatte oder ob auch er nur repetiert. So wird echte Kommunikation zwischen Musikern und Publikum wahr. Kein opus 96 in der 27. Reihe, sondern: Musik zum Anfassen. Hier ist Identifikation mit der Musik gefordert statt Huldigung. Das macht betroffen und fasziniert.

Besucher schätzen die zwanglose, hemdsärmelige Atmosphäre im „Kartje“. Sie sind nicht genötigt, einen Set mit allen Höhen und Tiefen durchzuhalten. Jeder mag zur Theke oder ins Restaurant wechseln und bleibt doch mit dem Ganzen locker verbunden. Holzbank-Direktheit statt Plüschsessel-Noblesse.

Die innovatorische Kraft der FMP ist effektiver als die schwerfälliger Konzertagenturen. Beispielsweise war im „Quartier“ urwüchsige afrikanische Musik zu hören, während der Jazztage-Star Fela Anikulapi Kuti die Philharmonie zur frivolen Turnhalle degradierte.

* Chris McGregor und die BLUE NOTES aus Südafrika werden dieses Jahr mit dem irreführenden Rummel um afrikanische Popularmusik aufräumen.

* Aus der DDR kommt Conrad Bauer mit Trio. Er zeigt auf, wie phänomenale Posaunentechnik inhaltlicher Gestaltung bedingt.

* Erregende Duette versprechen die Bassklarinettisten Michel Pilz (Luxemburg) und Michel Portal (Frankreich).

* Einziger Gast aus den USA ist der Trompeter und Komponist Leo Smith, der mit dem Bassisten Peter Kowald aus der BRD und dem Schlagzeuger Günter Sommer aus der DDR improvisieren wird. Total Music international

Dabei sind auch wieder Peter Brötzmann und Han Bennink. Sie beendeten mal einen Gig so leger wie prägnant. Brötzmann: „Fertig mit der Kunstmusik“. Bennink: „Jaha, Kunst muss sein“.

aus: Faltblatt der Free Music Production (FMP), 1980

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