1968 TMM /
"Quartier von Quasimodo"

Ankündigungen:
Rainer Blome - Das Ende einer Ära beginnt
Rainer Blome - Anti Festival Berlin
Aus dem Programmheft:
Jost Gebers
John Stevens


Ankündigungen:

Rainer Blome
Das Ende einer Ära beginnt
Deutschland hat eine Menge guter Jazzmusiker, daran zweifelt niemand. Doch die Jazzkritiker und –promoter diskutieren unzählige Stunden lang über das Thema „Hat der Jazz eine Zukunft?“… und stecken die Gelder dafür ein. Sie veranstalten auch Festivals, doch lassen nur solche Musiker auf die Bühne, die sie für gut und richtig befinden, während die wirklich kreativen Musiker darauf angewiesen sind, Anti-Festivals zu den Festivals zu veranstalten. So geschehen jüngst in Köln beim Festival „Jazz am Rhein“. Weil man genau weiß, welche Musik einen beim offiziellen Festival erwartet, geht man lieber erst gar nicht hin, und begibt sich direkt an den Ort, wo etwas passiert, wo die Überraschung auf einen wartet. In der Tiefgarage der Kölner-Ladenstadt konnte man in vielen kleinen Einzelräumen Deutschlands kreative Kräfte hören. Wir hörten Peter Brötzmann im Duett/Duell mit Willem Breuker, dessen Klarinettenspiel mir viel Spaß machte; dann eine neue, beachtenswerte Rockgruppe aus München: Amon Düül, mit Gitarren, Geige, Trompete, Sopransaxofon und einer Musik, die viel von der Magie der Velvet Underground hatte; auch Alex von Schlippenbach, Buschi Niebergall, Han Bennink, Peter Kowald, Gunter Hampel mit seinem Gitarristen, Sven-Åke Johansson; auch das neue Pierre Favre Trio, das eine ganz andere New Music spielte.
Peter Brötzmann erzählte uns, dass in Berlin eine ähnliche Sache, noch größer, noch besser, stattfinden soll: ein Anti-Festival zu den Berliner Jazztagen! Und hier beginnt die neue Ära, hier beginnt eine neue deutsche Jazzgeschichte, die nicht mehr von den Kritikern und Promotern, sondern von den Musikern selbst geschrieben wird. Ein Zeitalter in dem es unmöglich sein wird, dass sich Schreibtisch-Jazzer Gruppen nach eigenem Gutdünken zusammenstellen, die letztendlich nur ihnen, nicht aber den Musikern dient.
Diese neue Ära wird damit eingeleitet, dass Peter Brötzmann dem künstlerischem Leiter der Berliner Jazztage, Herrn Joachim-Ernst Berendt, die Einladung abschlägt, beim Festival in Berlin im Orchester von Don Cherry zu spielen. Diese Einladung sollte ein Kompromiss sein, denn Brötzmann hatte bereits einen Vertrag, nach dem er mit seinem eigenen Orchester spielen sollte, dann aber nach einer Vorbesichtigung bei einem Konzert in Mainz eine Absage erhielt. Berendt wollte sauber gekleidete Musiker, das war Bestandteil eines Vertrags, in dem es darum ging, dass eine bestimmte Gruppe von Musikern (nämlich das Brötzmann Orchester) für das Publikum der Berliner Jazz Tage musizieren sollte. Da Brötzmann die saubere Kleidung seiner Orchestermitglieder natürlich nicht garantieren kann, dürfen die Besucher der Berliner Jazztage seine Musik nicht hören. Als Kompromiss bot Berendt an, Brötzmann sollte doch als Gast im Don Cherry Orchester spielen. Und hier beginnt die neue Ära: Peter Brötzmann sagt ab!
aus: Sounds # 8, September 1968


Rainer Blome
Anti Festival Berlin
Die Berliner Jazz Tage, die dieses Jahr vom 7. bis 10. November stattfinden, sind eine kommerzielle Veranstaltung, an denen sich die Organisatoren bereichern wollen. Das Programm, das sie zusammengestellt haben, ist danach ausgerichtet. Dem Konzertbesucher wird vorgegaukelt, ein großes musikalisches Erlebnis für sein Geld zu bekommen, in Wirklichkeit bekommt er jedoch Musik vorgesetzt, die den Organisatoren passt. Die Musik von heute kommt dabei eindeutig zu kurz, und selbst wo sie vorhanden ist, wird sie so präsentiert, dass sich niemand schockiert fühlt: Die Don Cherry Big Band mit Pharaoh Sanders als Gast ist gewiss eine gute Sache, sicher kann man auch sehr gute Musik von diesem Programmteil erwarten, doch neben Sonny Murray, der im Schlagzeuger-Workshop auftritt, ist das die einzige neue Musik, die man bei den Berliner Jazz Tagen hören kann. Alles andere ist vollgespickt mit den Brubecks, Mulligans, Ellis, Blakeys usw., die für volle Kassen, nicht aber für spontane, kreative Musik engagiert wurden.
Eine Reihe von europäischen New Jazz Musikern unter der Leitung von Peter Brötzmann hat den Berlin-Aufenthalt für alle an der neuen Musik interessierten Freunde gerettet, in dem sie in dem Berliner Lokal „Sun“, Ku-Damm 101, vom 6. bis 10. November ein Gegen-Festival organisiert haben, bei dem die gesamte europäische Avantgarde vertreten ist. Die Veranstaltungen gehen jeweils nachts von 23 bis 5 Uhr, am Samstag, dem 9. November, fängt das Programm gar bereits um 16 Uhr an.
Am Samstag wird das Globe Unity Orchestra unter der Leitung von Alexander von Schlippenbach Kompositionen von Brötzmann, Willem Breuker und Alexander von Schlippenbach spielen. An den anderen Abenden sind Gunter Hampel mit seiner Time Is Now, das Manfred Schoof Quintet, das Peter Brötzmann Septet, die DonataHöffer Group und as England das Spontaneous Music Ensemble zu hören. Weitere Musiker und Gruppen haben sich bereits angesagt.
Die für den 5. November vorgesehene Veranstaltung in der TU fällt aus, da, wie Brötzmann uns sagte, „dort jetzt ein rechter Asta-Vorstand gewählt worden ist.“
Alle Besucher der Berliner Jazz Tage sollten sich dieses Gegen-Festival nicht entgehen lassen. Sie können sicher sein, dass Sie dort frischere, spontanere und kreativere Musik vorgesetzt bekommen als beim Hauptfestival. Und durch den Besuch dieses Gegen-Festivals können Sie mithelfen, dass sich vielleicht schon im nächsten Jahr an der Programmgestaltung des offiziellen Festivals in Berlin etwas ändert. Denn eins ist sicher: Das Gegen-Festival wird – auch von den Verantwortlichen der Berliner Jazz Tage – aufmerksam beobachtet.
aus: Sounds # 9, November 1968


Aus dem Programmheft:

Jost Gebers
Total Music Meeting entstand durch den Gedanken, auf möglichst großer Basis die Musik unserer Zeit zu präsentieren. Wichtigste Überlegung dazu war, keine Stars in zusammen gewürfelten Haufen herauszustellen, sondern vielmehr die Gruppen in originalen Besetzungen ihre Musik realisieren zu lassen. Bei der Zusammenstellung unseres Programms haben wir uns bemüht, die Vielfalt der neuen Musik zu zeigen. Es reicht von der pop- und rockinspirierten Musik Gunter Hampels bis zur radikalen Peter Brötzmanns, von der sensiblen des Spontaneous Music Ensembles bis zur vielklängigen, großorchestralen Musik Alexander von Schlippenbachs und Willem Breukers.
In Absprache mit den Musikern haben wir hoffentlich einen Rahmen gefunden, der der Musik und dem Publikum entspricht.


John Stevens
Der Zweck von Musik (und jeglicher Kunst) ist, dem Künstler und dem Publikum zur Realisierung eines Verstehens von Leben und Natur zu verhelfen. Jeder Künstler hat eine große Verantwortung. Er muss sich ganz sicher sein, dass sein Produkt für diesen Zweck und nur für diesen Zweck allein gedacht ist. Jeder andere Grund für das Produzieren ist falsch und kann nur den Fortschritt zu einer besseren und vollkommeneren Lebensweise schaden und verwirren. Das Verstehen ist das Ziel unserer Musik – wir sind noch weit davon entfernt – aber wir hoffen, dass wir für Sie ein Beispiel präsentieren können, in dem wir auf unsere Art mit Ihnen zusammenarbeiten, um dieses Ziel zu erreichen – welches im Grunde genommen, ja doch erst ein Anfang ist.

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