FMP-RECORDS (FMP-Numbers) 1969 - 1991

FMP 0900

G. Fritze Margull

 

Qualität ist kein Ding, sie ist ein Ereignis. (Robert M. Pirsig)

Die Musik, die Hans-Günther Wauer und Günter "Baby" Sommer seit einigen Jahren zusammen entwerfen, und die hier erstmals auf dem Tonträger Schallplatte vorliegt, ist etwas was ich als eine Art "Klassik der Freien Musik" bezeichnen möchte. So mangelhaft dieser Begriff auch sein mag, manifestiert er einerseits die unterschiedliche musikalische Herkunft der beiden Musiker, andererseits die Synthese des musikalischen Materials das beide hierzu beitragen.

Die Verbindung von E-Musik und Jazz, in seiner neueren Spielweise, hat zu gelegentlichen, akzeptablen Erfolgen geführt (Zimmermann, Penderecki), und dennoch blieben sie die Ausnahme. Die Frage nach dem Sinn dieser auf dem Papier vorformulierten Begegnungen fand musikalisch keine befriedigende Antwort, obgleich immer wieder auf Parallelitäten beider Musikentwicklungen hingewiesen wird.

Der grundsätzliche, entscheidende Schritt, um einen Austausch musikalischer Ideen und eine praktikable Spielform zu finden, der hier von Hans-Günther Wauer getan wurde, ist der Schritt zum freien Spiel und zur freien Improvisation. Die Akzeptanz dieser unabdingbaren Voraussetzung, schuf die Möglichkeit dieses Zusammentreffens.

Günter "Baby" Sommer hat seine Erfahrungen, die Sicherheit musikalischen Formempfindens und des dramaturgischen Aufbaus im Durchlaufen aller Jazzstile gemacht. Als Partner vieler bekannter Jazzmusiker der DDR und des Auslands (Petrowsky, Gumpert, Kowald, Leo Smith, Van Hove), hat er in den letzten 10 Jahren große Beachtung gefunden.

Hans-Günther Wauer, Domkantor zu Merseburg/DDR, spielt seit mehr als 30 Jahren an der 125 Jahre alten "Ladegast-Orgel" des Merseburger Doms, die in Konstruktion und Klang eine rein romantische Orgel ist. Zwangsläufig liegt deshalb der Schwerpunkt seines Spiels in der Literatur der Romantik. Er hat Dramaturgie gelernt und durch seine umfassenden Literaturkenntnisse aller Funktionalismen der Musikgeschichte in sich.

Dieses jeweilige eigene Wissen über Form und Ablauf einer Komposition bildet die Grundlage für das freie Zusammenspiel. Nicht das Thema, oder die Variationen über ein Thema sind mehr wichtig, sondern die Inhalte. Inhalte die im Klangbereich liegen.

Die Akkorde, die von der Orgel kommen, die Gongs, die Pauken - Klänge, die freie Assoziationsbilder für den Hörer entstehen lassen - die Zwiesprache, das ist entscheidend.

Trotz der Unterschiedlichkeit ihrer musikalischen Herkunft, schöpfen beide ihre musikalischen Erfahrungen aus demselben historischen wie kulturellen Umfeld.

Sie setzen in ihrer Musik die Tradition europäischer Musikgeschichte fort, allerdings in einer Neubehandlung des Materials und der Instrumente.

Der Raum, mit der ihm eigenen Akustik, hat in der Musik von Wauer und Sommer eine außergewöhnlich wichtige Funktion. Er ist die dritte mitwirkende Komponente.

Da das Zeitmaß der Ausbreitung der Klänge, bis zu ihrer Verschmelzung irgendwo im Raum sich nach den akustischen Verhältnissen richtet, wird von beiden höchste Sicherheit des Spiels, wie der musikalischen Vorstellungskraft gefordert.

In einer Kirche, einem Dom, wird der Maßstab aller akustischen Ereignisse vom Raum selbst gesetzt. Hier kann nur mit dem Raum gespielt werden, keinesfalls gegen ihn.

Es bedarf großer Sensibilität und Gewissheit in der augenblicklichen Entscheidung (Qualität), nur die Noten auszuwählen und zu spielen, die wirklich die wichtigsten sind.

Durch die voluminöse Ausbreitung des Tons und die dadurch entstehende Notwendigkeit von Zurückhaltung und Reduzierung, ergeben sich ruhige, gelassene Passagen, die der Musik jede falsche Monumentalität nehmen. Sie enthält Dramatik, aber keine örtliche Sentimentalität.

Der Ort wirkt sich aber nicht nur in seiner akustischen Originalität aus. Präziser, die Umgebung in der diese frei gespielte Musik sich spontan entwickelt - die Kirche, der Dom - ist eine eigene Stimulans für den Musiker wie für den Zuhörer. Die Bezüge, die hier einfach vorhanden sind, die christlich-abendländische Kultur, die sich in diesen Räumen manifestiert, findet Eingang in die Musik.

Als Zeitgenössische Musik wird in ihr Vergangenes mit dem Augenblick verknüpft.

"When the music is over, it's gone in the air.
You can never capture it again."
Eric Dolphy

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