FMP/FREE MUSIC PRODUCTION - An Edition of Improvised Music 2010

FMP CD 143

Rob Leurentop

 

Fred Van HoveThe Solo Recordings

Zwischen 1977 und 1986 hat Fred Van Hove (Antwerpen, 1937) drei Solo-Piano-Aufnahmen für die FMP und das angegliederte Label SAJ gemacht. ‘Verloren Maandag’ (hier nicht enthalten) ist eine Sammlung von Miniaturstücken, gespielt auf dem eigenen Klavier des Pianisten, aufgenommen kurz nach der Auflösung des Trios mit Peter Brötzmann und Han Bennink. Die vorliegende CD präsentiert die lang überfällige Wiederveröffentlichung der zwei bedeutenderen Aufnahmen: die faszinierende Liveaufnahme ‘Prosper’ aus dem Jahr 1981 und das viel zu wenig beachtete Studiomeisterwerk ‘Die Letzte’ von 1986.

Die Klarheit der Ideen und die Sicherheit des Ausdrucks, die sich auf ‘Prosper’ manifestieren, zeigen, dass Van Hove seit den noch eher zaghaft tastenden frühen Soloaufnahmen für das kleine Label Vogel in den Jahren 1972 und 1974 eine kraftvolle und hochpersönliche Sprache entwickelt hatte (‘Fred Van Hove Solo’ und ‘Live at University’, beide ursprünglich in limitierter Auflage von 500 Stück veröffentlicht und schließlich wiederveröffentlicht von Unheard im Jahr 2002).

Bis 1981 hatte Van Hove gelernt, das Beste aus einem eher durchschnittlichen Klavier zu holen, damals eine ziemlich verbreitete Erscheinung im Tourneezirkus. Auf ‘Prosper’ nutzt er die Unzulänglichkeiten des Instruments auf optimale Weise und wählt Spielstrategien, die den harten Klang und die heikle Stimmung zu seinem eigenen Vorteil umkehren. Nebenher zeigt er, dass Paul Bley nicht der einzige Pianist ist, der mit Stolz von seiner Fähigkeit sprechen kann ‚einen Konzertflügel wie ein ramponiertes Klavier klingen zu lassen’.

Dies verleiht ‘Other Piece’ und ‘Prospers Wals’ eine Art von unbeholfenem Charme und bewahrt sie wahrscheinlich davor, übermäßig glatt zu klingen. Ein wichtiges Element von Van Hoves Aktivitäten zu dieser Zeit war das Improvisieren zu Stummfilmen, und man kann sich gut eine Szene aus einem Experimentalfilm von Murnau oder Dreyer aus den 1920er Jahren vorstellen, wenn man diese eher spröden Stücke hört. Der interessanteste Teil von ‘Prosper’ aber ist Van Hoves Fähigkeit, ein kleines Stück musikalischen Materials zu nehmen und es zu einem voll entwickelten Statement auszubauen: allmähliches Verlagern eines einfachen rhythmischen Motivs auf ‘Sharp wie ein F’; das Entfalten von Glissandi auf ‘Chiens Chauds’; Wellen und Ak korde in hohen Registern, die sich allmählich aufbauen zu einem riesigen Tremolo in ‘Grote Tremolo.’ Schade nur: das ansonsten großartige Klavier/Stimme Stück ‘Toespraak’ (Sprache) zu nennen, ist einfach zu offensichtlich.

‘Die Letzte’ zeigt einen ganz anderen Ansatz. Keine Klagen über das Klavier in diesem Fall und keine Spur von Van Hoves gelegentlichem Hang zu einer Spur Programmatischer Musik – im Versuch, musikalisches Geschichtenerzählen und beschreibende Titel einander anzugleichen. Hier bietet uns der Improvisator 35’26” reiner Musik. Sie wirkt dicht bis zur Erstickung. Jeder noch so kleine Raum ist gefüllt mit Information und durchtränkt mit Ereignissen: Schichten von Klang und Rhythmus, die sich über Schichten von Klang und Rhythmus legen, die sich über Schichten von Klang und Rhythmus legen.

Dies sieht nach einem heiklen Vorhaben aus, aber Van Hove kriegt es brillant hin. Jedes der vier Stücke ragt heraus als Musterbeispiel organischer Entwicklung und assoziativen Denkens. Und jedes einzelne wirkt wie an Ort und Stelle geschaffen in einem langen, schwungvollen Bogen, scheinbar voll kommen spontan, aber ausgeführt mit meisterhafter Steuerung der Kontinuität und angetrieben von einer unablässigen rhythmischen Intensität.

Auf Vinyl erschienen, an der Schwelle zum CD Zeitalter, blieb das Meisterwerk, das ‘Die Letzte’ darstellt, zu seiner Zeit weitgehend unbemerkt. Ironischerweise war Van Hove selbst ziemlich deprimiert über die Aufnahme und wollte sie ursprünglich nicht herausbringen. Aus welchem Grund? Er hatte das Gefühl, es sei ihm nicht gelungen, noch einmal die besondere Art von Intensität zu erzielen, die er wenige Wochen zuvor bei einem privaten Konzert mit einem Trio (Wolfgang Fuchs and Günter Sommer) genau am selben Ort erlebt hatte, und entwickelte in der Folge eine Art von emotionalem Widerstand gegen die Musik. Schließlich willigte er in die Veröffentlichung ein, entschied aber, dass dies seine endgültig letzte Soloplatte sein würde: ‘Die Letzte’.

Glücklicherweise erfüllte sich ihr Titel nicht. Obwohl es seine Weile dauerte, bis Van Hove seine Vorbehalte gegenüber Soloaufnahmen überwand, legte der Ansatz von ‘Die Letzte’ den Grundstein für spätere bedeutende Werke wie ‘Flux’, ‘Passing Waves’ und ‘Spraak ‘n Roll’. Heute ragt ‘Die Letzte’ heraus als einer der Höhe- und Wendepunkte im Solowerk und musikalischen Schaffen eines der großen Improvisatoren der Welt.

Übersetzung: Isabel Seeberg & Paul Lytton

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