FMP/FREE MUSIC PRODUCTION - An Edition of Improvised Music 2010

FMP CD 136

Elke Schipper

 

…..something more

Hannover, Dezember 1994, Hohe-Ufer-Konzert No.168, im KESSELHAUS, ehemals das Energieversorgungszentrum der umliegenden kleinen Industriebetriebe. Ein Raum von gut 120qm, hohe helle offenporige Wände, ein Schrägdach aus schwarzen Holzbrettern, akustisch ideal. Ein Raum, zu dem ein paar Monate zuvor Evan Parker bemerkte " even an old shoe would look good in it ". Kein großes. Publikum, dafür ein hochkonzentriertes, sensibles, fachkundiges.
Die drei Musiker kommen an diesem Abend das erste Mal als Trio zusammen, aber man kennt sich. Christmann und Lovens gehören zu den Spielern der ersten Stunde des Free Jazz und der freien Improvisation, arbeiten seit 1971 immer wieder zusammen, in verschiedenen Konstellationen. Das Duo-Spiel der beiden Souveräne ihrer Instrumente wird so offenbar getragen von einem gemeinsamem inneren Gesang, bei dem man sich gegenseitig nichts beweisen muss, dass sich der Gedanke aufdrängt, ein Dritter könne hier stören. Mats Gustafsson – eine Generation jünger als die beiden – ist zu dieser Zeit seit ein paar Jahren präsent in der free music-Szene. Von Beginn an überzeugend in seiner Virtuosität, früh von Christmann eingebunden in dessen VARIO- Formationen, mit seiner energiegeladenen Einsatzbereitschaft schnell von zahlreichen Kollegen als musikalischer Leistungsträger auf der Bühne erkannt und entsprechend viel beschäftigt. Mit beiden, Lovens wie Christmann, verbinden ihn Erfahrungen intensiven Zusammenspiels im Duo.
Man kommt ins Konzert mit Erwartungen und Vorbehalten und merkt gleich in den ersten Minuten dieser Musik, dass man als Hörer 'dran bleiben muss, will man Teil des Dramas dieses Abends sein.
Nicht, dass hektische musikalische Ereignisdichte danach verlange. Es ist die Spannung, aus der man sich nicht nehmen darf, so wie auch der schweigende Musiker im Spiel nicht abwesend ist – was dann auch seinen punktgenauen Wiedereintritt möglich macht. Selbst ein mehr flächiges Geschehen – als subtil gespreizte Homophonie von singender Säge, Flageoletts auf Cellosaiten und hohen Spalttönen des Baritonsaxophons oder ausgedehnte perkussiv verzahnte Strecken - werden nicht zu eingängigen Mustern.
Der Deckel liegt nur lose über sich anbahnenden neuen Anschüben und rhythmische Raster werden nicht selten vom Cello elegisch-melisch umrundet und aufgelöst oder im vertrackten Pizzicato zerhäkelt.
Auch die eruptiven Klangattacken des Saxophons erstarren in diesem Trio nie zum reinen Kraftakt, der das Hören dem Sog eines eingleisig treibenden Spiels überlassen könnte. Die Rauheit dieser Attacken wird hier vital moduliert und balanciert so sehr als Grenzgang zwischen Verausgabung und Abbruch, dass an allein hörende Hingabe nicht zu denken ist.
Andererseits wird nichts wirklich zur Sensation, geschieht doch alles in diesem Zusammenspiel wie selbstverständlich.
Selbst die extrem harten trockenen Akzentuierungen von Paul Lovens oder seine massiven Überraschungsangriffe mit ganzer Batterie auf den musikalischen Lauf, reißen nichts an sich, verstören nicht, gehen auf in dem Gesamtgeschehen.
Es wird selbstverständlich Raum gegeben. Den Impulsen des anderen, wie seinem Spiel. Der jazzgeprägte Spieldruck von Saxophon und Schlagzeug agiert nicht einfach hinweg über ein diffusierendes Atemkreisen der Posaune, er findet darin neue eigene Wege. Solistische Alleingänge werden freigegeben, ebenso selbstverständlich wie alle drei die Spannungsentwicklung der Stücke gemeinsam halten. Dabei werden Extreme durchaus ausgespielt, aber nicht einer lähmenden Breite überlassen und der Automatismus gleichförmiger dynamischer Bögen begegnet so wenig, wie die Eitelkeit eines Musikers, durch das Beharren auf einem letzten Wort den Schluss der Stücke aufzuweichen.
Die selbstverständliche Widmung der drei an nichts als den musikalischen Fluss, die Sicherheit des gemeinsamen Maßes in ihrem Spiel hilft dem Hören, verbindlich dabei zu bleiben. Doch bei aller Transparenz der musikalischen Vorgänge, die aus der Unmittelbarkeit ihres Entstehens im Konzert kommt, bleibt die Erfahrung von Ferne. Eine Ferne, von der auch die Musik selbst spricht, ohne dass diese davon aufgehoben würde. In ihrem Woher und Wohin bleibt diese Musik ein Reich für sich, verselbstständigt sich aus dem Gefüge gemeinsamer Zeit und gemeinsamen Raums. Getan, vollendet, immer neu gehört, nie zu Ende. Der "kreative Rest", von dem Adorno schrieb.
Immer mehr, als man erwarten kann.

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