FMP/FREE MUSIC PRODUCTION - An Edition of Improvised Music 2008

FMP CD 131

Felix Klopotek

 

»Whiteout« ist eine meisterhaft komponierte CD aus Improvisierter Musik. Komponiert deshalb, weil dieses Album aus Stücken besteht, die zu unterschiedlichen Zeitpunkten eingespielt wurden, aus Stücken also, die dezidiert für diese CD ausgesucht und zusammengestellt wurden. Das macht »Whiteout« zu einem Werk im emphatischen Sinn, nicht bloß zu einer Dokumentation. Denn diese Zusammenstellung ist kein oberflächlicher konzeptioneller Akt, sondern zeugt von einer Gestaltungskraft und einem Formwillen, die man in der zeitgenössischen Musik nur noch selten findet – weil in den aktuellen Spielarten Neuer und Freier Musik Gestaltung und Form häufig nur geborgte sind: epigonal, historisch vorgeprägt und verlebt. Epigonal oder vorgeprägt ist bei Olaf Rupp nichts, wer versucht, seine Musik zu kategorisieren, bringt sich um den Hörgenuss: Man grübelt sich um Kopf und Kragen, weil die Einordnung einfach nicht gelingen will. Außer man nimmt die Diskographie Rupps zum Maßstab – und das wäre geradezu tautologisch! (Trotzdem hier die Pflichtinformation: Nach zahlreichen Einspielungen mit akustischer Gitarre ist »Whiteout« seine erste Soloaufnahme ausschließlich mit elektrischer Gitarre seit genau zehn Jahren.)

Polemisch kann man festhalten, dass Rupp gegen die Beliebigkeit des Bunten, die Eintönigkeit der Vielfalt die Vielfalt der Eintönigkeit setzt. Zwar ist seine Gitarrenmusik weder monoton noch minimalistisch. Aber sie ist eben doch aus einem Guss, absolut (radikal!) unverwechselbar, kein Beispiel für etwas, kein Element in der Kette einer langen Tradition, sondern direkter Ausdruck eigener Musik – Ruppmusik, wenn man so will. Vielfalt der Eintönigkeit meint, dass Rupp sich an einem überschaubaren Set an Tönen und Klängen, Spieltechniken und Gesten abarbeitet. Eine Limitierung, die sich selbst aufhebt, weil Rupp in der Reduktion seine ganze Virtuosität – eine Virtuosität des Spielens und der Hörens – entfaltet und in seinen Wirbeln, Strudeln und Lawinen, im schier gigantisch sich aufhäufenden Klanggeröll, in sich unendlich gebrochene Klangfarben, ein mannigfaltiges Schillern freilegt. Eine Klangkunst, die an Archäologie und Action Painting – an beharrlichem Forschen und rauschhaftem Verschlingen – gleichermaßen erinnert.

Weil die Stücke auf »Whiteout« so wenig variantenreich sind, ist sie so abwechselungsreich. Jedes Klangfeld, durch das Rupp sich regelrecht wühlt, lässt die Abweichungen, die Ähnlichkeiten, das Verschiedene und das Gleiche klar und deutlich werden. Oder täuscht der Eindruck? Gibt es nicht auch tatsächlich Stücke, die grundsätzlich verschieden sind von dem eben Beschriebenen? Auf denen Rupp nicht variiert, sondern einem anderen Weg folgt? Stücke, in denen es nicht um das Bewegen von Masse geht, sondern, um ein dem Geröll verwandtes Bild zu wählen, in denen Rupp die Tätigkeit des Mineralogen ausübt, der unscheinbare Steine aufklopft und in ihnen die Welt funkelnder Kristalle findet? In diesen Improvisationen legt er wundersame Gitarrentöne frei, schrill und warm – was sich eigentlich ausschließen muss, aber Rupp spielt die vermeintlich unmöglichen Übergänge, das Umkippen und Hinübergleiten. Es ist dies eine Spurensuche in Rückkopplungen und Obertönen, Mikromusik weit jenseits von dem Rattern und dem Rollen der Powerstücke.

Sich Unterscheiden – das schon; aber eben nicht: sich entgegensetzen! Auch wenn Rupp in einigen Stücken einen anderen Weg verfolgt, so führt dieser nicht in eine andere Richtung. »Whiteout«vermittelt eine Einheit, kein Potpourri. Die Homogenität der Ruppmusik besteht gerade darin, dass sie in ihren Extremen nicht auseinander fällt. Weder im Rausch noch in der subtilen Klangbearbeitung rekurriert Rupp auf Gesten und Techniken, die außerhalb seiner Musik liegen.

Seit über zehn Jahren spielt er diese furchtlose Musik, verfolgt sie unablässig weiter, definiert sie neu, ohne dass er dabei die Geste des Tabula Rasa nötig hätte und sich eine Ideologie zurecht legen muss. Dazu ist sie viel zu präzise. (Dass Rupp andere Musiken hört, oft und genau, dass er Musikerkollegen schätzt, vielleicht den einen oder anderen zum Helden auserkoren hat, ist selbstverständlich – und spielt für »Whiteout« wie auch für seine sämtlichen anderen Soloeinspielungen keine Rolle.) Ruppmusik übersteigt die Zuschreibungen: Es ist müßig, sie zum Resultat einer Schule zu erklären; und es ist albern, sie Gefühlsausdrücken – à la melancholisch, wütend, aufbrausend etc. – zuordnen zu wollen. Diese Zustände können Momente der Musik sein, flüchtige Durchgänge, temporäre Positionen, aber sie machen nie ihren Kern aus.

Dieser Kern ist in Wirklichkeit viele Kerne, Minimalkerne, die sich vermischen, verbinden, zu einer Art Maximalausdruck verklumpen, die wieder auseinander fliegen. Sie sind als Schwarm organisiert und bisweilen doch rigide voneinander isoliert. Purer Materialismus. Ihre Bewegung ist das, was Alexander von Schlippenbach, dieser große Free-Jazz-Pionier, einmal »Living Music« genannt hat.

zurück / back