FMP/FREE MUSIC PRODUCTION - An Edition of Improvised Music 2008

FMP CD 130

Bert Noglik

 

Momente von Magie

Der Tanz hat ihn schon immer beflügelt. Die Körperlichkeit, die Leichtigkeit, die Logik der natürlichen Bewegung. In allen Kulturen der Welt, sagt Cecil Taylor, verknüpft sich die Musik mit dem Tanz. Mit einer Ausnahme: der europäischen Klassik. Taylors Schaffen kreist nicht um die Wiederentdeckung des Körpers, es geht von dessen Präsenz aus.

Akademie der Künste, 8. Juli 1990: Rascheln und Rasseln im Hintergrund. Das Heranschleichen dreier Musiker an eine Szene, die für Augenblicke zum Ritual wird. Stimmen, die einander Mitteilungen machen – jenseits der Worte. Schritte, die sich zu einer Bild- und Klangfolge fügen, bevor der erste Ton am Piano angeschlagen ist. Aus der Tiefe des Raumes nähern sich vier Tänzerinnen mit wellengleichen Bewegungen.

Das Miteinander von Musik und Tanz, die gegenseitige Spiegelung, die wechselseitige Inspiration. Nach dem knisternden Anfang mit sparsamen Gesten, Stimmen und Perkussivlauten hatten sich die drei Musiker zum Trio formiert. Cecil Taylor verschachtelte kleine Motive zu vibrierenden Klangschichten, versetzte den Raum in einen Schwebezustand. William Parker fand instinktiv entsprechende Parallel- und Gegenbewegungen, während Masashi Harada am Schlagzeug dem Klanggeschehen ein luftiges Flair zu geben vermochte.

Das szenische Geschehen trug dazu bei, die Musik zu strukturieren. Wer dabei war erinnert sich daran, dass William Parker wie ein schwarzer Priester durch den Raum schritt, dass Masashi Harada zu Boden fiel wie eine tragische Gestalt im Nō Theater, dass Cecil Taylor in kleinen schnellen Schritten den Flügel umkreiste. Maskuline Energie in Korrespondenz mit den Tänzerinnen. Cheryl Banks, die Amerikanerin, mit der Taylor oft gearbeitet hat, Altea Garrido aus Costa Rica, die Griechin Anastasia Lyras und die Mexikanerin Liliane Saldaña spiegelten die Spannung des Musikalischen in freier Expressivität und inspirierten zugleich den Spielprozess.

Und nun das Erstaunliche: Auch ohne die Ebene des Visuellen lassen diese Aufnahmen den Atem des Körperlichen spüren. Die Energie und die Eleganz des Tänzerischen ist ihnen inhärent, bedarf nicht der Bebilderung.

Cecil Taylors Affinität zum Tanz reicht bis in seine frühe Jugend zurück. Stepp-Tänzer wie Bill Robinson und die Nicholas Brothers nennt er in einem Atemzug mit Starsolistinnen des Bolschoi-Balletts und Innovatoren des Tanztheaters wie Merce Cunningham. Um seine Musik zu charakterisieren, zog er mitunter Vergleiche zu tänzerischen Ausdrucksformen heran. „Ich versuche auf dem Klavier die Sprünge der Tänzer im Raum nachzuahmen“, ist einer seiner oft zitierten Aussprüche. Cecil Taylor, der in jungen Jahren als Pianist Ballettproben begleitete, hat Musik für Produktionen so herausragender Tänzerinnen und Choreographen wie Dianne McIntyre, Heather Watts und Mikhail Baryshnikov geschaffen.

Das Cecil Taylor Dance Project in Berlin – Taylor als Choreograph, als Tänzer, als Pianist, als Zeremonienmeister, als Poet. Ursprünglichste Formen der Kommunikation: Körpersprache und Lautmitteilung, ganzheitlich eingebunden in ein modernes Geschehen, in ein Miteinander von Musikern, Tänzerinnen und Publikum, das Momente von Magie offenbarte. Das Poetische als Concitio humana. „Mehr als alles andere“, gab Taylor einmal zu Protokoll, „habe ich immer versucht, ein Poet zu sein“.

Für den Programmzettel zum Dance Project in Berlin hatte Cecil Taylor eine Zeichnung beigesteuert: eine Folge von Tanzschritten, als Symbol, als Mandala. Das Runde und das Kreisende als uralte Zeichen für das Ganzheitliche. Cecil Taylors Schaffen widerstrebt der Interpretation, zielt auf eine Sensualisierung des Intellekts im Hier und Jetzt.

zurück / back