FMP/FREE MUSIC PRODUCTION - An Edition of Improvised Music 1989-2004

FMP CD 124

Bert Noglik

 

Die Folge der Duos verknüpfte sich für Peter Kowald mit dem Bedürfnis, eine Vielzahl ihm wichtiger Begegnungen zu dokumentieren. Er begann, Duo-Stücke von circa drei bis fünf Minuten aufzunehmen, so dass – damals noch von den der Spieldauer einer Schallplatte ausgehend – auf einem Album zehn unterschiedliche Duos präsentiert werden konnten. Aus dem Fundus der Duo-Aufnahmen schöpfend, die in den Jahren von 1984 bis 1990 entstanden sind, wurde es möglich, 1991 drei Schallplatten und eine CD zu produzieren (Peter Kowald With... Duos Europa- America- Japan). Reichlich zehn Jahre nach Einstellung der FMP Vinyl-Labels kamen Kowald und Gebers überein, aus den vorhandenen LP-Takes dieses Album zu kompilieren. Kowald versprach, die Liner Notes für die bis in die Details mit ihm abgesprochene Veröffentlichung aus New York mitzubringen. Dazu ist es nicht mehr gekommen. Peter Kowald starb in der Nacht des 21. September 2002 achtundfünfzigjährig in New York.

Peter Kowald hat uns so viel nachgelassen. Vieles, was sich dokumentieren und vieles, was sich nicht dokumentieren lässt, was weiterlebt, als Impuls, als Anregung, als work in progress in vielen Köpfen und Kollektiven, in vielen Teilen der Welt. Peter Kowald war ein Botschafter ohne missionarischen Ehrgeiz. Was er mitzuteilen hatte, vermittelte er vor allem im gemeinsamen Musizieren mit anderen. Und er bevorzugte das dialogische Prinzip. Er hat seine Musik- und seine Lebenserfahrung generös mitgeteilt, sich manchmal geradezu verschenkt. Verschenkt an Freunde und Spielprozesse, die es ihm wert waren. Aber er war nicht nur Gebender, sondern im gleichen Maße Nehmender. Er hat im Spiel mit den Klängen des Gegenübers zugleich dessen Mentalität erfasst, sich selbst in Frage gestellt oder durch die Erfahrung der Vielfalt des Seins inspirieren lassen. Auch wenn hinter der Idee der Duos ein Konzept steht, das auf Auswahl und Beschränkung beruht, offenbart die Folge dieser Aufnahmen doch eine faszinierende Fülle.

Rückblickend wird ein Prozess der Öffnung bewusst, der Identität nicht relativiert sondern in wechselnden Spielkonstellationen zu vertiefen weiß. Persönlichkeit und Individualität sind Schlüsselwörter all dieser Unternehmungen, die im Fluss des Klingenden, im Spannungsfeld von Bekanntem und Unbekanntem, Übereinstimmenden und Differenten, musikalischen Sinn im Dialog entwickeln. Vom Jazz ausgehend, fand Peter Kowald über eine kurze Phase des Negierens aller Traditionen zu einer neuen Art freien Improvisierens und schließlich zu einem Verständnis improvisierter Musik, die die afroamerikanische Tradition einschließt, aber zugleich weit über diese hinausreicht. Sein Schaffen entfaltete sich in der Dialektik von Erweiterung und Konzentration. Bereits in den sechziger Jahren begann er, mit engen Kontakten zu improvisierenden Musikerinnen und Musikern in der Schweiz, in Holland und England ein europäisches Netzwerk aufzubauen. Ende der siebziger, Anfang der achtziger Jahre - damals entstand übrigens bereits eine Folge von Bass-Duo-Einspielungen mit Barre Phillips, Barry Guy und Maarten Altena - gewann Peter Kowald im Trio mit Leo Smith und Günter Sommer ein neues Verständnis von Weltmusik. Zu den Erfahrungen des Spiels zählten nun nicht nur die individuell assimilierten und gefilterten Traditionen aus Jazz und europäischer (Improvisations-)Musik, sondern auch solche aus ethnischen Kulturen. Peter Kowald sprach später von einem „langen Kontinuum“.

Sich deutlich von einer oft oberflächlichen und nicht selten musikindustriell inszenierten „world music“ absetzend, ging es Peter Kowlad um den dialogischen Austausch, nicht um die vorschnelle Fusion. Die weltweite Verbreitung einer neuen, nicht mehr an die Muster des Jazz gebundenen improvisierten Musik schuf die Voraussetzungen für eine neue Qualität von Begegnungen. Und Peter Kowald machte sich auf den Weg: Europa – USA – Japan. In Japan lernte er Musiker und Musikerinnen kennen, die sich seiner eigenen Musiziersprache verwandt ausdrückten. Zugleich traf er auf gänzlich andere Musizierhaltungen, etwa die der in traditioneller Musik verwurzelten Junko Handa. Da beide bereit waren, unvoreingenommen aufeinander zuzugehen, kam es auch hier zu einem gegenseitig höchst inspirierenden Dialog.

Mit den Duos hat Peter Kowald Möglichkeiten ausprobiert und erschlossen, die in seine „Global Village“-Vision eingeflossen sind: Ensembles, in denen Musikerinnen/Musiker aus unterschiedlichen Teilen der Welt und mit unterschiedlichen Traditionen gleichberechtigt zusammenwirken können – ohne Angleichung, ohne Verlust von Identität, aber bereichert durch die mit den anderen ausgetauschten Energien und Erfahrungen. Dabei wollte Peter Kowald die Austauschprozesse nicht auf die Musik beschränkt wissen, hat er immer wieder auch den Kontakt zu Malern, Tänzern/Tänzerinnen und Schriftstellerinnen gesucht. Und die Ausweitung der geographischen Erfahrung durch das Reisen fand 1994 seinen Kontrapunkt in den 365 Tagen „am Ort“, einem Jahr, das er in Wuppertal verbrachte.

Duos waren für Peter Kowald stets eine Herausforderung, gewohntes Spielverhalten zu durchbrechen. Er sprach gern von „Routinen“, die einerseits notwendig sind, um in bestimmten Spielprozessen bestehen zu können, andererseits aber auch abgestreift werden müssen, wenn sie sich zu Klischees verfestigen. Mit gänzlich anderen Begriffen erfasste er damit eine ähnliche Problematik wie die, die Derek Bailey mit dem Unterschied von „idiomatischem“ und „nicht-idiomatischem“ Improvisieren bewusst machen will. Auch Peter Kowald ging es darum, die durch kulturelle und Prägung und spieltechnische Gewohnheiten eingefahrenen Gewohnheiten aufzubrechen. Zugleich wusste er „Routine“ sinnvoll in den Prozess des Spontanen einzubeziehen. Das gilt auf ähnliche Weise auch für seine Duo-Partner und Duo-Partnerinnen, die auch dann, wenn die alternativen Versionen bereits dokumentierter Titel den Charakter neuer Stücke annehmen, als völlig unverwechselbare Musikerpersönlichkeiten aufscheinen und zu erkennen sind. Neben gänzlich freien Improvisationen gibt es Duo-Aufnahmen, denen gemeinsame Absprachen oder einander Vorspielen bzw. Vorsingen voranging. Der Grad an „Freiheit“ mag also unterschiedlich sein, der Gestus ist jedoch stets beseelt von der Ideen freien Improvisierens. Bewusst „komponiert“ freilich wurde, was die Auswahl und Abfolge der Stücke auf dieser CD anbelangt.

Auch wenn Peter Kowald in der Folge der Duos eine Vielzahl seiner spieltechnischen Möglichkeiten offenbart, geht es ihm hier weniger um das Vorstellen von Techniken und musikalischen Materialien, sondern vor allem darum, sich vorbehaltlos auf das Gegenüber einzulassen. Dabei agiert Kowald vom Ansatz her immer gleichberechtigt, aber er weiß sich auch zurückzunehmen, wenn ihm das angebracht scheint. Peter Kowald hat immer in Beziehungsgeflechten gedacht. Solistisch und begleitend, kompliziert und doch vom Wesen her einfach, „horizontal“ im Sinne von Kontinuitätsfluss und „vertikal“, diesem entgegenwirkend, wollte er spielen. Und oft gelang es ihm, unterschiedliche Aspekte miteinander zu verknüpfen. Er was sich der Besonderheit seines Talents wohl bewusst und offenbarte doch – neben der sympathischen Bescheidenheit im Alltag – zugleich eine beeindruckende Selbstlosigkeit. Mag sein, dass er auch das in der Begegnung mit anderen Kulturen lernen konnte. Peter Kowald hat vieles aufgenommen und vieles weitergegeben, und er hat Klangspuren hinterlassen – auch in einer Gegenwart, die er nicht mehr miterlebt.

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