FMP/FREE MUSIC PRODUCTION - An Edition of Improvised Music 1989-2004

FMP CD 123

Bert Noglik

 

Perkussionsklänge wie von fern her. Lautpoetisches. Cello-Akzente, seltsame Gitarrensounds. Auftritt Cecil Taylors. Er nähert sich dem Klavier mit federnden Schritten. Das Ritual beginnt. Aus dem Spannungsfeld der vier Musiker entwickelt sich eine Eigendynamik, die an die Individuen gebunden ist und zugleich über diese hinausweist. Ein Kontinuum kultureller Erfahrungen wird zum Klingen gebracht und gemeinsam Erspieltes erneut in den Fluss der Improvisation versetzt.

Bereits die Besetzung „komponiert“ diese Musik. Cecil Taylor bezeichnete Andrew Cyrille mehrfach als eine gestaltbildende Kraft bei der spontanen Formung der Klänge. Im Zusammenspiel mit Andrew Cyrille beschwört Taylor ein Stück der eigenen Biographie, ohne sie wiederholen zu wollen. Von 1964 an gehörte Cyrille zur Taylor Unit, elf Jahre lang. Mit Alben wie „Unit Structures“ von 1966 wurden musikalische Meilensteine dokumentiert. Anfangs, um die Richtung anzudeuten, wies Cecil Taylor seinen neuen Schlagzeuger, der damals Sunny Murray ablöste, auf die Verwandtschaft der Musik mit dem Ballett. Eine Art, Klavier zu spielen, die den Luftsprüngen der Tänzer ähnelt. Eine Art Schlagzeug zu spielen, die der Bewegung im Raum gleicht. Eine neue Leichtigkeit, neue Freiheiten. „Ich glaube“, sagte Taylor später über diese Phase mit Cyrille, „ihm ging ein Licht auf, als ich ihm erklärte, dass der Rhythmus für meine Begriffe viel mit dem Tanzen zu tun hat.“ Und natürlich auch mit dem Atmen, dem Sprechen, dem Singen. Abkehr vom konventionellen swing, aber keineswegs Preisgabe, sondern Steigerung der physisch mitgeteilten und erfahrbaren Bewegungskraft.

Klangrhythmische Verschränkungen: das Klavier als Perkussions- und das Schlagzeug als Melodieinstrument. Korrespondierende Spielweisen, an denen sie beide mehr als ein Vierteljahrhundert gearbeitet haben, auch dann, wenn sie nicht zusammen auf der Bühne standen. Unit Structures, die Kongruenz von Struktur und Prozess, mehr als ein Thema für eine Platteneinspielung. Ein Lebensentwurf. Und noch etwas verbindet die beiden, Cecil Taylor und Andrew Cyrille, tief: das Wissen um die Quellen dieser Musik in afrikanischen Kulturen. Cyrille vermutet, dass das Schlagzeug – historisch besehen – „dem Wusch entsprang, die an afrikanische Trommelchöre erinnernden Polyrhythmen und Tonalitäten zu spielen.“ Aus allem wird klar, dass das Auftauchen Andrew Cyrilles in diesem Spielzusammenhang – wir schreiben das Jahr 1999 – dazu berechtigt, von einem „special guest“ zu sprechen. Doch zugleich ist Andrew Cyrille, was er immer war: ein integrierter und ein integrierender Part des sich in wechselnden Perspektiven präsentierenden Ensemblespiels.

Auch wenn sich deutlich unterschiedliche Dialog-Konstellationen abzeichnen, bleiben diese eingebettet in einen kollektiven Zusammenhang. Als der eigentliche Joker in diesem Quartett erweist sich Franky Douglas, der aus Curaçao stammt und in Amsterdam heimisch geworden ist – im weiten Spektrum von Surinam-Fusion-Bands bis zu freier Improvisationsmusik. In dieses Ensemble bringt sich der Gitarrist mit Sounds ein, die manchmal an stark verfremdete Blues-Riffs, die an Growl-Töne oder verzerrte Bässe denken lassen, sich aber stets der Klangästhetik des Quartetts kompatibel erweisen. Cecil Taylor kennt Franky Douglas von Amsterdam, von den October Meetings im Bimhuis. Und er hat in den Monaten vor dem Total Music Meeting ’99 des öfteren mit Tristan Honsinger gespielt – im Trio mit Evan Parker und im Quartett mit Harri Sjöström, Teppo Hauta-aho und Paul Lovens. Tristan Honsinger arbeitet hier betont rhythmisch und interaktionsbetont, bringt mit seinen arco-Attacken eine musikalische Vieldeutigkeit ein, die europäische Kunstmusik assoziieren mag, aber in diesem Kontext nicht vergessen lassen sollte, dass die Streichinstrumente auch in afrikanischen Kulturen zu Hause sind. Wie den anderen geht es auch Tristan Honsinger, ihm vielleicht sogar besonders, um die physische Visualisierung, die Theatralisierung des Spiels. Nicht als aufgesetzte Geste, sondern im Sinne der Notwendigkeit, sich als Musizierender selbst darzustellen.

Vier Musiker suchen einen gemeinsamen Weg durch die Zeit. Der Ausgang ist noch offen, wenn sie auf die Bühne kommen, wenn die ersten Klänge behutsam in den Raum gesetzt werden. Die eigenwilligen Lyrics von Taylor gleichen Beschwörungsformen und erinnern an die poetische Dimension dieser Musik. Was wir bei den Aufnahmen mit- und nacherleben, ähnelt wellengleichen Entwicklungen. Wie stets in Gruppen um Taylor entstehen in sich schlüssige musikalische Bewegungsabläufe in großen Bögen, Verdichtungen und Auflösungen. Und wie meist in der Musik Taylors seit den achtziger und stärker noch in den neunziger Jahren eröffnen sich auch hier Ausblicke von unerwarteter Zartheit. Auf der anderen Seite erleben wir Verdichtungen von einer beinahe unerträglichen Intensität. Unerträglich für konsumorientierte Ohren, für Sinne, die nur noch gewohnt sind zu reagieren, statt wahrzunehmen und sich kreativ einbeziehen zu lassen. Mit der Betonung des Auratischen, mit dem Ereignishaftem im Hier und Jetzt widersetzt sich diese Musik der zunehmenden Virtualisierung, der Entkörperlichung dieser Welt. Und sie erweist sich zugleich als Absage an die platte Materialität der Warenwelt, indem sie zwischen den polyrhythmische Verschachtelungen, den schwirrenden Tönen, den donnernden Clustern und den schwebenden Mikrotonalitäten etwas Unbeschreibliches aufleuchten lässt: Magie.

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