FMP/FREE MUSIC PRODUCTION - An Edition of Improvised Music 1989-2004

FMP CD 118

Auszüge aus einem Gespräch, das Felix Klopotek mit Peter Brötzmann
am 21.12.2000 in dessen Wuppertal-Elberfelder Wohnung geführt hat

 

Klopotek: Was ich auf eurer aktuellen Aufnahme spannend finde, ist, dass Kondo einen starken Rock- und Funkaspekt in die Musik reinbringt. Es gibt einige Triopassagen, wo Kondo mit Parker und Drake spielt und wo besonders Drake innerhalb des Kontextes der freien Improvisation sehr straight, sehr kickend agiert. Das erinnert mich an Last Exit (legendäre Free Rock/ Jazzpunk-Band mit Brötzmann, Sonny Sharrock, Bill Laswell und Ronald Shannon Jackson, F.K.).

Brötzmann: Das hat sich so entwickelt. Wann haben wir die ersten Aufnahmen mit dem Quartett gemacht? 1993, sieben gottverdammte Jahre ist das her. Ist doch logisch, dass sich in der Zeit die Ideen und Vorstellungen der einzelnen Musiker verschieben. Im Fall Kondos weg von jazzigeren Anklängen, hin zu den Soundgeschichten, der Elektronik, aber auch zu harmonisch grundlegenderen und einfacheren Soli. Man darf nicht vergessen, dass Kondo und Hamid immer noch mit Laswell spielen und bei ihm die Musik ganz klar auf der Grooveschiene läuft. Das wird dann in unser Quartett importiert. Was okay ist, weil wir für diese Einflüsse immer empfänglich sind. Eigentlich bin ich Purist, immer schon gewesen. Hamid, William und ich arbeiten auch im Trio, wenn Kondo mal wieder in Sachen Dalai Lama unterwegs ist. Da gibt es im Zusammenspiel noch so viel zu entdecken - was Hamid an neuen Rhythmen sich erarbeitet und William mit seinem Minimalismus dazu steuert, das ist noch längst nicht am Ende. Aber es ist immer wieder erfrischend, wenn Kondo uns auf andere Gedanken bringt.

K: Bekannt geworden ist Die Like A Dog mit seiner Hommage an Albert Ayler. Wie kam es dazu?

B: Wir waren uns gar nicht bewusst, dass wir voll in eine Ayler-Welle hinein geraten würden. Der Mann war ja vergessen, das Thema passé. Eigentlich war es ganz simpel: Ich hatte mit Kondo die Nacht durchgemacht - mal wieder. Damals war er noch öfter in Amsterdam. Bei unserer Sitzung haben wir über Gott und die Welt verhandelt und kamen dabei immer wieder auf Ayler zurück. Wir waren uns einig, dass man ihn wieder ins Bewusstsein der Hörer zurückbringen muss.

K: Ihr hattet eine Tribute-to-Ayler-Band im Sinn?

B: Nein, so blöd waren wir nicht. Es ging nie darum, die alten Themen zu benutzen oder die Zeit von damals wieder zu erwecken. Das kann nicht wirklich funktionieren. Selbst in unserer Anfangsphase als Die Like A Dog sind es nur thematische Fragmente, bloß sekundenlange Zitate, die wir verwenden. Nein, es ging uns um die Grundlagen, die spirituellen Grundlagen von Aylers Musik. Da wollten wir dran, und zwar auf unsere Weise.

K: Was sind für Dich diese Grundlagen?

B: Erstens geht es um die eigene Geschichte, die eigene Biografie. Da ist Ayler und - auf einer anderen Ebene - Sonny Rollins einfach viel wichtiger als Coltrane. Die letzten Jahrzehnte war geprägt durch Coltranes Einfluss, Ayler war vergessen, Rollins war vergessen und Ornette ein Einzelgänger. Ich wollte einfach darauf insistieren, wie wichtig Ayler für meinen Weg war. Eine sehr persönliche Angelegenheit. Je mehr ich in den letzten Jahren in Amerika gearbeitet habe, desto mehr ist mir klar geworden, woher diese Musik kommt. Wenn Du, sagen wir, in Atlanta Sonntag morgens in den Gottesdienst gehst, dann wird Dir schlagartig klar, dass das nicht pathetisch und bizarr ist, was Ayler gespielt hat. Das kommt von den Predigten, aber auch von den Geschichte, die dort erzählt werden. Das sind ganz einfache Geschichten. Das ist es, was mich interessiert, woran ich mich abarbeite. Obwohl meine europäisch verschlungenen Pfade sicherlich nicht zu solcher Einfachheit führen können. Man interessiert sich aber immer für das, was man nicht hat. Okay, das ist banal. Aber Du musst nur Aylers erste ESP-Platten hören, mit welcher Liebe und Verzweifelung der Mann seine Geschichten gespielt hat - und auch: mit welcher Ehrlichkeit. Das sind drei Dinge, um die es mir geht, die mich berühren. Deshalb maße ich mir an, einen Zusammenhang zwischen unseren Musiken zu behaupten.

K: Seit der Ayler-Hommage ist eine Menge Zeit vergangen. Ihr macht gerade eure fünfte CD, ihr tourt regelmäßig, die Festivals fragen an - eine hübsche, kleine Erfolgsgeschichte. War euch damals klar, dass die Gruppe sich so entwickeln wird?

B: Geplant war das nicht. Bloß haben wir gemerkt, dass das eine Gruppe ist, die ohne viel zu reden, ohne viel zu diskutieren einfach zusammen passt. Das merken natürlich auch die Hörer. Wenn ich auf 35 Jahre als Musiker zurückblicke, dann gab es das Trio mit Fred Van Hove und Han Bennink, bis 1976. Danach das Duo mit Han, Anfang der 80er Jahre das Trio mit Harry Miller und Louis Moholo und von ’86 - ’89 Last Exit. Dazwischen? Na ja, viel ausprobiert, viel Leerlauf. Aber diese Gruppen, die haben so funktioniert, wie später Die Like A Dog. Mit dem Quartett war schon nach den ersten Auftritten klar: das geht jetzt. Die Liek A Dog reiht sich ein in die Tradition dieser eben genannten Gruppen. Die Kollegen sind ja alle ehrgeizig. William stürzt sich in seine sozialen Aktivitäten in der Bronx, Hamid ist ein wahnsinnig gefragter Drummer, mit dem will jeder auf die Bühne. Und Kondo macht die Weltgeschichte unsicher. Ich bin ihm kürzlich in Kyoto über den Weg gelaufen, als er dabei war, auf irgendeinem Filmset einen abgefuckten Samurai zu spielen. Aber wir alle kommen wieder zusammen, wir machen pro Jahr mindestens eine Tour. Das läuft einfach, weil jeder das so will.

K: Wer fällt die Entscheidung, welche Aufnahme für die nächste CD genommen wird? Wie verläuft der Entscheidungsprozess?

B: Das bleibt an mir hängen. Ich suche die Musik aus und gehe dann ins Studio zum Mastern. In den Anfangstagen haben wir mal Kassetten rübergeschickt, die sich die Jungs nie angehört haben (lacht). Haben auch genug zu tun. Also entscheide ich. Das hört sich autoritärer an, als es ist, in Wirklichkeit ist es eine Frage der Praktikabilität. Vieles ist auch eine Frage des Geldes. Wir waren noch nie im Studio, drei Tage, drei Nächte, kein Publikum - das können wir uns einfach nicht leisten. Die Möglichkeiten, die sich uns anbieten, werden meistens von Jost Gebers in Berlin organisiert. Die müssen wir dann nutzen. Im November ’99 war das eine hakelige Sache. Morgens um vier aufgestanden, irgendwo in Schweden. Hamid war auch dabei, wir waren damals mit meinem Chicago Tentet auf Tour. Der Flug hatte Verspätung. Nachmittags dann in Berlin angekommen. Kondo kam aus Tokyo, William aus New York, beide hatten also ebenfalls ihren lieben Stress. Dann Soundcheck, dann gespielt. Zwei Sets, zwei Stunden. Das ist einfach anstrengend, aber wie gesagt: das hat sich so ergeben, das mussten wir nutzen.

K: Ich war live dabei. Mein Eindruck war der, dass ihr ziemlich abgearbeitet und müde wart. Ich habe das in einer Kritik auch geschrieben, dass mir eure Performance nicht allzu spritzig vorkam. Beim Wiederhören war ich gespannt, ob ich mein erstes Urteil revidieren muss. Tatsächlich: es ist schon sehr interessant, wie die Musik zwischen Entspannung und Überspanntheit, dieser spezifischen Gereiztheit, wenn man übermüdet ist, changiert.

B: Das ist so. Das ist auch gut, dass es so ist. Es ist eine andere Situation - zu der es, wenn man die Vorgeschichte mit dieser Anreise kennt, genau so kommen musste. Wenn wir einfach nur verschlafen gewesen wären, wenn uns entglitten wäre, was wir da gespielt haben, dann hätte ich der Aufnahme keine größere Beachtung geschenkt. Aber für sich genommen ist das Ermüdete stimmig: es entsteht eine andere Musik. Mit einer schlechteren Qualität hat das nichts zu tun.

K: Ihr spielt immer noch ohne Absprachen. Könnte sich das auch ändern?

B: Ich würde nicht nein sagen, wenn Kondo eines Tages käme, mit einem Vorschlag, wie man was vorher schriftlich oder mündlich fixieren könnte. Wir würden das spielen... und hinterher wegschmeißen (lacht). Oder es immer wieder spielen, weiß der Teufel. Aber so weit ist es noch gar nicht gekommen, musste es auch nicht. Das Gute an diesem Quartett ist, dass wir vier sehr unterschiedlich sind. Jeder hat einen anderen kulturellen, musikalischen und biografischen Background. Wir verhandeln diese Dinge im musikalischen Dialog. Der ist immer noch spontan und von einem großen, gegenseitigen Respekt geprägt. Da muss man nichts fixieren.

K: Ein anderes Thema. Ich habe kürzlich ein altes Interview von Dir gelesen. Ich glaube, mit Bert Noglik, so 25 Jahre muss das her sein. Da habt ihr euch über Ben Webster unterhalten, darüber, dass er bis zum Schluss gespielt hat und quasi auf der Bühne gestorben ist. Du meintest, dass das für Dich auch eine Perspektive sei: weiter machen, bis zum Schluss, bis es nicht mehr geht und man umkippt. Aber war es Dir und Deinen Kollegen wirklich bewusst, dass es mal soweit kommt, dass ihr 30, 35 Jahre dabei seid und der Free Jazz längst nicht mehr die New Wave ist. Du hast selbst gesagt, dass ihr noch halbe Kinder wart, als ihr angefangen habt.

B: Man hat mich immer gefragt, schon zu den alten Triozeiten mit Fred und Han, wie lange ich das weiter machen will. Blöde Frage, blöde Antwort: So lange es geht! Und es ging ja lange Zeit so weiter, mein damaliger jugendlicher Leichtsinn hat durchaus Recht bekommen, was auch völlig ok ist. Es geht immer noch gut. Nur: man nimmt jetzt ein bisschen mehr Rücksicht auf sich, man akzeptiert, dass der ganze Stress mit dem Reisen und dem Hochleistungsspielen seinen Tribut fordert. Gottverdammte, harte Arbeit ist das! Ich hatte damals Ben Websters vielleicht letzten Fernsehauftritt gesehen. Er blies wirklich schöne Lieder, aber es reichte nicht mehr, den Chorus mitzuspielen. Ob er bis zum Schluss Spaß gehabt hat? Ich denke, er brauchte einfach die paar Dollars, die er - hoffentlich! - bekommen hat. Wenn ich damals sagte, wenn ich jetzt immer noch sage, wir spielen bis zum Umkippen, dann nicht, weil wir Helden sind. Wir müssen. Uns bleibt nicht viel anders übrig, als weiter zu spielen. Mit dieser Musik häufst Du keine Reichtümer an. Ich hoffe nur, dass, wenn ich mit Kopf und Körper nicht mehr voll dabei bin, ich das merke und es mir leisten kann zu sagen, Brötzmann, jetzt ist Schluss - der Rest bleibt bei mir.

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