FMP/FREE MUSIC PRODUCTION - An Edition of Improvised Music 1989-2004

FMP CD 114/15

Evan Parker

 

Lieber Hörer, auf den ersten Blick mag es scheinen, die Zeichnung (siehe Cover) sei nur um einer humoristischen Wirkung willen genommen worden. Die Vorstellung, schwere Gewichte an den Genitalien zu schaukeln, wäre in der Tat eine seltsame Metapher für die Musik. Aber es gibt Entsprechungen in allen Sprachen. Man denke nur an das italienische ´rompe coglioni´ mit den dazugehörigen Handbewegungen. Es bedeutet Langeweile, Irritation, Unbehagen, etc. bis hin zu Schmerz und über die Schallgrenze hinaus – wohl kaum eine Empfehlung. Nunmehr wir diese Zeichnung ausgewählt haben, sollten wir auch versuchen, etwas dazu zu sagen.

Es kann sicherlich als eine Anspielung auf eine weniger komfortable Seite der Improvisation vor Publikum verstanden werden. Man kommt an einem feuchten Winterabend nach ganztägiger Autofahrt an und dann hat man dafür zu sorgen, dass ´es´ auf Teufel heraus passiert – („Halt´s Maul und spiel´ Deinen Bass“, wie ein freundlicher Herr damals in Montréal zu Barry Guy sagte; man könnte auf ähnliche Gedanken kommen!). Da gibt es Abende, an denen die Musik beim besten Willen etwas glanzlos bleibt. Wir raten davon ab, von solchen Sachen Platten zu machen.

Dieser Tonträger stammt von Aufnahmen, die von Jasper Noë, wie im Bim Huis als Standardservice für die dort auftretenden Musiker üblich, gemacht wurden. Das Bim Huis in Amsterdam wurde von Musikern organisiert und eingerichtet. Es ist auch weiterhin letztlich unter deren Direktive geblieben, wodurch der Ort eine für unsere Sache gute Atmosphäre hat. Davon abgesehen kommen zahlreiche Musiker aus aller Welt durch Amsterdam, und die lokale Szene ist so stark, dass es gar nichts Besonderes ist („Do not despair, one of the thieves was spared. Do not presume, one of the thieves was hung“ Samuel Beckett). Für das Besondere muss erst etwas getan werden. Ich hoffe, die Musik überzeugt davon, dass es ein guter Abend für das Trio war – es ist der einzige Grund für uns, diese Aufnahmen zu veröffentlichen -, und dass wir das Bim geswingt haben.

Es ist überflüssig, immer wieder davon zu reden, wie lange diese Gruppe schon besteht; man kann das überall nachlesen. In der Tat arbeiten wir schon seit langem zusammen, und es gibt in der Gesamtstruktur der Stücke vieles, was sich immer wieder ereignet. Dies geschieht nicht aus einem Mangel an Ideen, sondern einfach aus den endlichen Kombinationsmöglichkeiten der Zahl DREI. X, y, z können xy, xz und yz ergeben. Und weiterhin (xy)z, (xz)y, (yz)x oder dann wiederum (x) (y), (x) (z), (y) (z) und sogar (x), (y) und (z). Man mag die Symbole, Zeichen und Klammern deuten wie man will, sie sind alle wahrhaftig und haben sich fast immer in jedem unserer Konzerte gefunden. Aber auch das besagt nichts, was wirklich von Interesse wäre. Interessant ist, wie sie lebendig bleiben, vor allem für uns, denn wenn sie es nicht für uns sind, dann können sie es für niemanden sein. Die Erklärung liegt in dem Unterschied zwischen Fertigkeit und Selbstzufriedenheit. Vieles in der Musik dieses Trios zelebriert Fertigkeit, aber nur im Dilemma wird diese zur Selbstzufriedenheit.

Es ist behauptet, ja in gewissen Kreisen als päpstliches Dogma geltend gemacht worden, dass fest bestehende Ensembles sich im Widerspruch zum Wesen der Improvisation befinden. Unsere Gegenbehauptung ist, dass das Unbekannte nur über das Bekannte angegangen werden kann, unabhängig davon, wann und wo man anfängt. René Daumal sagte in einem anderen Zusammenhang: „Der Weg zu dem, was wir uns am meisten wünschen, führt oft durch das Unerwünschte“ und wiederum „Ein Messer ist weder wahr noch unwahr, aber wer es an der Schneide greift ist mit Sicherheit im Irrtum“. Oder um Buckminster Fuller zu paraphrasieren, je mehr Du weißt, desto mehr weißt Du, dass Du nichts weißt...

Zurück zum schwer behangenen Schamteil; man sehe die Sache so an: „Gott sei Dank, die Schwerkraft hat ihr Gegengewicht.“ Indem wir den Bim schwingen, oder wie immer wir es nennen wollen, entwickeln wir die Fähigkeit, der Schwerkraft zu begegnen.

Übersetzung: Alexander von Schlippenbach

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