FMP/FREE MUSIC PRODUCTION - An Edition of Improvised Music 1989-2004

FMP CD 109

Olaf Rupp, 37, lebt in Berlin-Neukölln.
Das hier in Auszügen wiedergegebene Gespräch wurde am 10. Januar 2000 in seinem Zimmer geführt. Die Fragen stellte Ulrich Stock.

 

Ein Kritiker in der „Jazzthetik“ nannte deine Musik „Improvisation ohne Schnickschnack und Schnörkel, ohne große Gesten, scheinbar ambitionslos zu Gehör gebracht“.
Ist mir ein Rätsel.
Die „Neue Zürcher Zeitung“ hielt dich für „einen offensichtlich klassisch ausgebildeten Gitarristen“.
Ich bin Autodidakt.
„Il Giorno“ lobte deine Behandlung der Gibson. Sie habe dem Festival von Poschiavo das gewisse Etwas verliehen.
Die Gibson ist eine 3000-Marks-Gitarre aus Mahagoni! Du schleppst dich tot, sie macht dir den Rücken kaputt, und sie klingt einfach nur matschig. Keine Ahnung, wie die da drauf kommen. Ich spiele eine Stratocaster!
Wie reagiert das Publikum auf deine Musik?
Extrem. Sehr begeistert, sehr ablehnend.
Ich finde deine Musik spröde.
Kann sein.
Viele Musiken leben von Floskeln, von Übergängen, von vertrauten Wendungen...
Andere Musiken sind mir nicht wichtig. Mir geht es darum, eine eigene Idee zu erforschen.
Was heißt „Life Science“?
So nennen sich Pharmafirmen, die Medikamente gegen Migräne entwickeln. Oder Computerfirmen, die sich mit Animation beschäftigen. Für mich bedeutet es: freie Musik, Wissen vom Leben. Ich bin Anthropologe.
Wie sieht der Alltag des Anthropologen aus? Wann beginnt die Forschung?
Zwischen acht und neun.
Morgens?
Ja.
Vor dem Frühstück?
Im Halbschlaf. Tagespensum sind drei Stunden Zen und drei Stunden Gitarre. Ich mache zum Beispiel technische Übungen, Anschlagübungen, sehr langsam, erstmal in die Hand reinfühlen und dann immer schneller. In der Geschwindigkeit automatisieren sich Bewegungen, man schreibt ein Programm in den Körper ein. Das ist, wie wenn man geht: dann denkt man nicht mehr an jeden einzelnen Schritt, man läuft einfach. Ich versuche langsam zu sein. Das kann ich gut, wenn ich noch nicht so ganz wach bin.
Wie hört sich das an?
Gar nicht, das sind stumme Übungen. Erst danach spiele ich richtig.
Was?
Manchmal nur Floskeln, die ich gar nicht mag, so typische Abläufe, die ich irgendwann in meiner Musik entdeckt habe, obwohl ich sie eigentlich vermeiden will. Sie zu vermeiden ist aber genauso so schlecht wie sie hinzunehmen. Ich versuche deshalb, sie wieder und wieder zu spielen und überhaupt nicht zu verändern. Einige Floskeln lösen sich auf, wenn ich sehe, wie sie entstehen.
Du beobachtest deine Musik?
Das ist das Forschen.
Wie sind die Aufnahmen zu „Life Science“ entstanden?
Ganz unterschiedlich. Ein Teil stammt vom Festival in Poschiavo im Mai 99. Einige Stücke habe ich in einem Abbruchhaus in Berlin-Mitte aufgenommen, andere hier in meinem Zimmer.
Wie nimmst du auf?
Mikrophon, kleiner Mixer, CD-Recorder, direkt! Auf der Disc kann ich nicht zurückspulen und löschen. Das ist beim Spielen ein ganz anderes Gefühl.
War die Entscheidung gegen das Tonband bewußt?
Mein Dat-Recorder ging kaputt, ich konnte mir keinen neuen kaufen. Die Folgen sind mir erst später klar geworden.
Welche Rolle spielt Zufall in deiner Musik?
Ich versuche, die Musik weder vom Willen zu steuern noch vom Zufall; das ist das, was mich interessiert.
Wenn sie nicht vom Willen gesteuert wird und nicht vom Zufall, wovon dann?
Da gibt es im Deutschen kein Wort für.

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