FMP/FREE MUSIC PRODUCTION - An Edition of Improvised Music 1989-2004

FMP CD 105

Peter Kowald

 

In Order to Survive

Kleine Hommage an große Töne: William Parker und sein Bass. Und seine Gruppe(n).

Ob ich mich an all das richtig erinnere, wird sich herausstellen. Jedenfalls haben wir uns in Judy Sneed's Haus am Thomkins Square kennen gelernt (in dem ganz früher sein Namensvetter Charlie Parker gewohnt hat), bei einer Probe des Marilyn Crispell Quartetts, mit Kalaparusha Maurice McIntyre und dem kürzlich verstorbenen Denis Charles, oh ja, Denis. William lud mich dann nach Hause zum Essen ein, in die Wohnung auf der 1st Avenue an der 9.Straße, direkt über dem Fischladen, dessen Braterei-Abzug vor dem Wohnzimmerfenster der Parkers endete, Patricia, die damals alle Patsy nannten, und Miriam, die muss etwa 5 gewesen sein. Dann gab es ein Konzert des Quartetts in der Carnegie Recital Hall, da habe ich William zum ersten Mal spielen hören.

Nicht allzu lange später, Anlass war seine Ausstellung bei Sonnabend, da hatten wir mit seinem Klavier und Billy Bangs Geige im Trio gespielt, lud Penck, - er hatte bei Sonnabend gut verkauft und die Taschen voller Geld, sozusagen - zwei Handvoll Musikerinnen zu einer Privatsession um Mitternacht ein: gemietet wurde das Studio von "Air" auf der 10. Straße, Henry Threadgill und Fred Hopkins versorgten uns mit Getränken. Frank Wright, Denis Charles, Billy Bang, Jeanne Lee, die Sängerin Marty Mabin, die kam mit David Schnitter, und eben William waren dabei, da haben wir an einer Stelle das erste Bassduo miteinander gespielt. Derek Bailey war auch in der Stadt, doch als ich ihn für die späte Session anrief, sagte er: mach das doch früher, können wir das nicht morgen früh machen? Es ging dann ja auch bis morgens um 6, und es waren vielleicht 10 Leute im Publikum, Franz Erhard Walther war da, ich glaube auch ter Hell und Sibylle Kretschmer und Djuong Yun.

1983 dann eine lange gemeinsame Autofahrt mit William von Berlin zum Flughafen Amsterdam, und der wunderbar verrückte Penck hatte uns gerade 50.000,-- DM zugesagt als Finanzierung eines Musikereignisses unserer Wahl in New York: da überlegten William und ich, was man wohl damit anstellen könnte. Schließlich wurde im Mai 84 das Sound Unity Festival daraus, wo in einer kleinen Basketball Halle - die Körbe wurden kurzerhand abgeschraubt - auf der 2nd Avenue in 5 Tagen 119 Musiker spielten, die ganze Szene der Lower East Side und noch ein paar andere mehr. Ebba Jahn hat diese Zeit in ihrem Film "Rising Tones Cross" dokumentiert. Ich hatte ein New York Stipendium für einige Monate, bin dann fast ein Jahr geblieben, meine kleine Wohnung über den Parkers (also auch über der Fischküche) wurde Teil des Festivalbüros genauso wie Williams und Patsys Küche, wo in diesen Wochen auch Sana mit ihren 4 Kindern lebte, eine Wohnung ist in New York nicht leicht zu finden, besonders wenn nicht viel Geld da ist. So klebten bei jeder Festivalbesprechung die Papiere bald von Honig und Ahornsirup, aber das störte die gute Stimmung bei den Vorbereitungen keineswegs, oft konnte man William mit einer Traube von Kindern auf Knie, Arm und Schulter in einem Sessel telefonieren sehen.

In diesen Jahren gab es dann auch ab und zu Besuche in Wuppertal, ich erinnere mich an ein schönes Konzert mit 2 Bässen und Patricias Tanz bei einem Fest in der Lüntenbeck, oder Williams freie Tage zwischen 2 Europatourneen in der Luisenstraße unterm Dach, wo ihn keiner störte und er stapelweise Platten hörte: "dies ist das Paradies", ab und zu kam er ins Café du Congo auf einen Kräutertee.

Doch zurück nach New York (William ist ein wirklicher New Yorker, dort geboren und aufgewachsen): der Umzug in die 6. Straße in die eigene Wohnung, über eine Art Altbausanierungsprogramm in der Stadt, wo mehrere Familien gemeinsam ein verfallenes Haus wieder aufbauten. Im Falle der Parkers stand da nur noch eine Fassadenwand, durch deren Fensteröffnungen man den Himmel sah: Rückwand und die Stockwerke fehlten einfach ganz, und ich sehe William noch auf einer langen Leiter mit Hammer und Meißel, durchaus nicht schlecht gelaunt. Jetzt gibt es da wirklich eine Wohnung mit einem großen Zimmer mit Holzböden (für Patricias Tanz) und ein Kinderzimmer für den 12jährigen Sohn Isaiah und eine vom Bassisten zum Organisationsbüro umgebaute Kleiderkammer.

Hier an der Wand - unter anderen - Fotos von Wilbur Ware und Jimmy Garrison, William Parkers Bass (besonders der alte) ist das am schwersten zu spielende Instrument, das ich je in der Hand hatte: der Abstand zum Griffbrett erforderte beim Niederdrücken der Saiten einen Kraftaufwand - und einiges bin ich ja auch gewöhnt -, dass ich anfangs nur mit Mühe Töne herausbekam, von Läufen o.ä. gar nicht zu reden. Vielleicht sind Wilbur Wares großer Ton, seine Art das untere zuoberst zu kehren, und Jimmy Garrisons Fluss in Williams Parkers jungen Jahren wichtige Ausgangspunkte für seine Spielweise gewesen. William ist jedenfalls der lauteste Bassist, den ich kenne, und er steht damit in der Tradition der Musik, die Jazz genannt wird, in diesem Jahrhundert: Pops Foster erzählt in seiner Autobiografie (damals in New Orleans, am Anfang des Jahrhunderts), dass ein Bassist natürlich für den durchlaufenden Rhythmus zuständig zu sein hatte, auch für das harmonische Grundgerüst, aber das wichtigste war, dass man laut spielte! Aber William steht auch bei allen Freiheiten, die seine Musik ausmacht mit Partnern wie Cecil Taylor, Rashied Ali oder Peter Brötzmann, um nur einige wenige zu nennen, insofern in der Tradition, dass sein Bass die Basis für alles ist und Gruppe um ihn herum im wörtlichen Sinne "konzentriert". Kürzlich hörte ich ein Trio mit dem Saxophonisten Charles Gayle und dem Schlagzeuger Milford Graves, wo im Laufe des sehr lebendigen, langen Spielprozesses beide vierhändig am Klavier improvisierten, bis sie nach geraumer Weile zu ihren Instrumenten zurückkehrten. Williams Bass hatte alles zusammengehalten: eine kontinuierliche Kraft, die in ihrer Vielfalt alle möglichen Weiten assoziieren lässt und gleichzeitig an Afrika erinnert, ja das ist es.

"In Order to Survive" ist New York. Eine Reihe von Aktivitäten macht sich über die Jahre in der Lower East Side stark, um die Musik am Leben zu erhalten, wie das Shuttle Theatre in den Achtzigern mit Sandro ("In order to Survive we have to…"), ein Keller in der 6. Straße mit steiler Treppe unter einer großen Eisenklappe, ja und Felice, Martin und Doug kümmerten sich um die Kasse, das waren Zeiten….Oder das Vision Festival in den Neunzigern, für das Patricia den Aufwand des Organisatorischen übernommen hat, ein Festival, das so "richtig" ist in dieser Stadt, da es nicht zuerst, wie sonst üblich, vom Dollar spricht und den Musikern dann trotzdem mehr zahlt als viele andere. Das sind auch all die verschiedenen Gruppen, mit denen William über die Jahre immer wieder ganze Szenen von Musikern mit verschiedensten Hintergründen zusammenfasst, wie im "Little Huey Orchestra" (in dem ich vor einigen Monaten das Basspart übernehmen durfte, weil William zu dirigieren hatte), oder wie hier bei "In Order to Survive", der erfinderische Cooper Moore, der vor vielen Jahren auf einem Bürgersteig des Broadway mit seinem selbstgebauten, etwa 2 m langen Monochord zu hören war, dem er ein reichhaltiges Spektrum von Obertönen entlockte. Und Susie Ibarra, die sich in kurzer Zeit mit delikater Kraft in die Herzen ihrer inzwischen zahlreichen Fans getrommelt hat. Und Assif Tsahar und Rob Brown, die als zwei der jüngeren Saxophonisten Traditionslinien weiterführen, die Coltrane und Dolphy uns hinterlassen haben (um es so einfach auszudrücken).

Zu den weiteren Überlebensaktivitäten gehörten kleine Publikationen im Selbstverlag, Texte über Musik wie das geplante Buch über/von Kontrabassisten, Gedichte, Beiträge, für die sich zur Zeit kein Verlag finden lässt. Damit diese Musik überleben kann in einem Umfeld, das sie immer noch nicht richtig als die große kulturelle Tat Amerikas in diesem Jahrhundert zu würdigen weiß (oder jetzt allenfalls die neuen Konservativen). Aber: "The music called Jazz is less than a hundred years old - to young to repeat itself", sagt William Parker "In order to survive - into the next century", sage ich.

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