FMP/FREE MUSIC PRODUCTION - An Edition of Improvised Music 1989-2004

FMP CD 101

Steve Lake

 

Wie schon gesagt, das Projekt begann als ein Tribut an Albert Ayler von dem einzigen Mann, der jemals größere Luftmassen durch sein Horn jagte. Die Protagonisten von Die Like A Dog versammelten sich um Peter Brötzmann als wollten sie Modell stehen für einstige Ayler-Adepten. Aus dieser Perspektive konnte man, wenn man wollte, Kondo als Don Ayler neben Peters Albert hören, auch wenn die Feedback-Gewitter und das Wah-Wah-Pedal aus der Special-Effects-Kiste des Trompeters eher an Henry „Last Album“ Vestine erinnerten. Und wer anführt, William Parker sei der Henry Grimes seiner Generation, wie jener unterschätzter Dreh- und Angelpunkt der New Yorker Avantgarde, hat auch nicht übertrieben. Hamid Drake schließlich wäre als wunderbar subtiler Drummer, dessen Spiel inspiriert ist vom intimen Kontakt zwischen Hand und Trommel, ein passendes Double für Milford Graves auf „Love Cry“.

Die Like A Dog betraten die Szene zu einer Zeit, als Ayler-Projekte plötzlich populär wurden – nicht das erste Mal, dass Brötzmann einen neuen Trend erahnte. Wenig später machte Mars Williams in Chicago seine Band Witches & Devils startklar, an deren energischen, immer noch undokumentierten Hommagen auch Hamid beteiligt war. David Murray trat mit „Flowers for Albert“ in Moers auf. Piano-Maestro Giorgio Gaslini erschuf einen blumigen Rokoko-Albert für sein Soloprogramm „Ayler's Wings“. Ebenfalls aus Italien – wo Aylers Mut zur Sentimentalität auf verwandte Regungen stieß – kamen Nexus mit „The Preacher and the Ghost“, einer Suite von Kompositionen, die Aylers Leben und Werk gewidmet ist.

Brötzmanns Männer jedoch schlugen schon bald neue Wege ein und erzählten wieder eigene Geschichten, auch wenn Aylers Beherztheit ein Prüfstein blieb. Ich hatte das Glück, in den letzten Jahren einige dieser Geschichten auf Zwischenstopps von Tampere bis Berlin zu hören. Die Musik mag „sich selbst erschaffen“, wie Hamid sagt, doch sie hat nichts Schablonenhaftes an sich, ihre narrative Kraft überrascht immer wieder.

Auch auf diesen neuen Tapes aus Berlin staune ich über die Aktualität von Brötzmanns Musik, die kluge Wahl ihrer Mittel. Könnte man, wie ein Architekt, einen Vertikalschnitt durch diese Improvisationen machen, würden ganz oben die elektroakustischen Klangverwandlungen stehen, die aus Kondos über allem schwebender Trompete strömen. Und unten: die im kaleidoskopischen Fluss von Hamids Trommeln eingefangenen world rhythms. Diese beiden Elemente – Elektronik und Beats, die atmosphärisch jenseits des „Jazz“ liegen – rahmen die Musik ein und werden die improvisierte Musik in kommenden Jahren stark verändern. Peters Instinkt lässt ihn immer wieder an die vorderste Front zurückkehren, trotz aller Tagträume über Kid Ory, Bechet, Billie Holiday und natürlich Albert, der bei seinen Vorstößen ins Unbekannte ähnliche Ambivalenz an den Tag legte. Die beiden haben nicht nur den mächtigen Ton gemeinsam, sondern auch das Bedürfnis, sich die „Kunst“ vom Leibe zu halten und ein Liebeslied zu singen, so klar es nur geht – ohne dabei den Forscherdrang unterdrücken zu können.

Irgendwie denke ich, Peter suchte unbewusst schon nach einem "Kondo", bevor Kondo, so wie wir ihn kennen, überhaupt existierte. Dreh die Uhr 25 Jahre zurück und du findest das Trio Brötzmann/Van Hove/Bennink verstärkt durch zwei ungewöhnliche Gäste: Don Cherry und Elektronik-Komponist/Improvisator Hugh Davies. Hätte man diese extremen Persönlichkeiten zu einem einzigen Musik-Mutanten verschmelzen können, läge dessen Output wahrscheinlich fast ebenso abseits des kreativen Mainstreams wie das Werk des kleinen großen Mannes aus Japan, der tatsächlich beides ist –improvisierendes Genie mit viel Seele und verrückter Erfinder.

Fast hätte ich geschrieben, daß dies mittlerweile ebenso Kondos Gruppe wie Peters ist, aber das stimmt nur, wenn man solistische Ausflüge mit der Stoppuhr misst: Ein Kondo-Quartett wäre ziemlich sicher eine spinnertere Angelegenheit. Als Improvisator reagiert er auf die Umgebung, in der er sich befindet. Die emotional fesselnden Klanglandschaften, die er für Brötzmann entwirft, werden erst möglich durch den mitreißenden Sog, den William Parker und Hamid Drake darunter erzeugen. Ihr Einfallsreichtum ist wirklich erstaunlich.

Typisches Szenario: Brötzmann in voller Fahrt, heranrollende Saxophon-Brecher, die nach blitzschnellen rhythmischen Reaktionen verlangen. Auftritt Kondo, der seinen Sound während des Spiels mit elektronischen Mitteln modifiziert und immer wieder Delay-Systeme startet, deren irrlichternde Pulse mit dem eigentlichen Beat der Improvisation nur am Rande zu tun haben. Parker und Drake nehmen die neue Information auf, integrieren sie, geben sie zurück und strukturieren das musikalische Material von Grund auf.

Es gibt Momente, da droht die Musik angesichts der sich auftürmenden Klänge fast symphonische Wucht anzunehmen: stereophonischer Widerhall und elektronische Hagelstürme aus der Trompetenabteilung, Tonfetzen und fliegende Bruchstücke, die aus Peters überblasenen Hörnern quellen... William Parkers langjährige Erfahrung mit eigenen Ensembles wird ihm bei der Kanalisierung und Komprimierung dieser mitunter dicht gedrängten Klangmassen gute Dienste leisten. Er und Hamid halten die Sache am Laufen, mit allen erforderlichen Mitteln.

Das Quartett hätte in den letzten fünf Jahren öfter spielen müssen. Es müssten mehr Platten auf dem Markt sein. Der Mangel an Angeboten ist nicht nur, wie Peter dem Journalisten Mike Heffley erklärte, die Folge gekürzter Jazz-Subventionen in Europa. Wer diese Gruppe auf Tour bringen will, muss logistisch einiges draufhaben. Bandleader offiziell in Wuppertal, wahrscheinlich aber irgendwo auf der Welt aus dem Koffer lebend. Schlagzeuger mit Heimatbasis Chicago, Bassist New York. Trompeter vielleicht in Amsterdam, wenn nicht gerade in Tokio, vermutlich aber ganz woanders (im Moment gerade mit dem Dalai Lama in Indien). Und jeder von ihnen mit diversen Projekten in der Pipeline. Hamid arbeitet mit Fred Anderson, Ken Vandermark, Mars Williams, Mats Gustaffson, Irène Schweizer, Adam Rudolph, Joseph Jarman und vielen anderen. Williams führt sein siebzehnköpfiges Little Huey Orchestra und sein Quintett In Order To Survive und spielt mit in den Bands von Roscoe Mitchell, David S. Ware, Matthew Shipp, Charles Gayle, Joe Morris etc. Der unergründliche Kondo macht sich nach Gastauftritten mit Bill Laswell und John Zorn daran, uns etwas vorzustellen, was er "Cyberjazz for turntables and trumpet" nennt, seine neueste Kollaboration mit Mixmaster DJ Krush.

Die Musiker von Die Like A Dog werden sich hüten, die raren Möglichkeiten der Zusammenarbeit zu verschwenden. Den Drang zu spielen, die Leidenschaft, spürt man bei dieser Musik aus Berlin in jedem Augenblick. Selbst in den ruhigen.

Übersetzung: Caroline Lake

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