FMP/FREE MUSIC PRODUCTION - An Edition of Improvised Music 1989-2004

FMP CD 87

Bert Noglik

 

Klänge gebündelt zu kollektiver Kraft, und individuelle Bläserlinien, die ausscheren, um dann schließlich doch wieder zu den anderen in Korrespondenz zu treten; Prozesse der Verdichtung und Entflechtung bis an die Grenzen der Stille; klare Töne und alle nur denkbaren Übergänge hin zu den Gebieten des Geräuschhaften; einfache Grundmodelle, die komplexe Überlagerungen von Komposition und Improvisation ermöglichen - die Aufnahmen aus den Jahren 1985/86 offenbaren das ganze Spektrum der Musik Manfred Schulzes für Bläserquintett . Die Besetzung der Gruppe erwies sich, trotz nicht eben häufig zu nennender Spielmöglichkeiten, als konstant, das musikalische Klima in der Gruppe als tragfähig. Das erste Bläserquintett stellte Manfred Schulze bereits 1969 zusammen. Vor den Proben, erinnerte er sich, legte er manchmal eine Platte mit der Aufnahme einer Komposition Arnold Schönbergs für Bläserquintett auf, um die Kollegen einzustimmen. Die frühen Versuche, Verständnis zu gewinnen, erwiesen sich als weitgehend vergeblich.

Manfred Schulze geriet zwischen die Lager, war in seinem Willen zur Improvisation und in seinem expressiven Gestus viel zu stark vom Jazz geprägt, um sich der Neuen Musik anzunähern, und entfernte sich doch zugleich von der Nachahmung des amerikanischen Jazz., bereits lange vor der Free-Jazz-Emanzipation. Doppelt tragisch: Auch später, in den Zeiten des aufbrechenden Free Jazz wurde er missverstanden, denn Schulzes Konzept war viel zu stark kompositorisch geprägt, um sich vorbehaltlos mit der gänzlich freien Improvisation assoziieren zu können.

Dass andere seine Musik als kompromisslos interpretierten, ließ Manfred Schulze unberührt. Er war nie der Bilderstürmer, für den ihn manche hielten oder zu dem sie ihn zu stilisieren glaubten. Er hat einfach anders gehört, und er hat nicht abgelassen von dem, was ihm seine innere Stimme sagte.

Manfred Schulze empfand eine starke Bindung an die mitteleuropäische Kulturtradition. Hindemith, Schönberg oder Webern, aber auch Bach und die deutsche Choraltradition haben ihn ebenso geprägt wie der Eindruck des Spiels von Coleman Hawkins oder Sonny Rollins. Seine ganz persönliche Synthese aus all diesen Einflüssen hat ihn harte Arbeit gekostet, schien ihm aber so plausibel, dass ihm das Unverständnis von Zeitgenossen, auch das von Musikern und insbesondere das von Veranstaltern, innere Qualen bereitete. Man ist versucht, an Charlie Parker zu denken, der wiederholt beklagte, dass keiner seine Musik verstand. Nach Konzerten ist Manfred Schulze oft stundenlang allein durch nächtliche Stadtlandschaften gelaufen. Anders als Ornette Coleman, der mit den Jahren doch noch beträchtliche Anerkennung erfahren hat, wurde Manfred Schulze nie in dem Maße gehört und gewürdigt, wie er es verdient hätte. Die DDR-Zeit, das war seine Zeit. Danach traurige Koinzidenz von Geschehnissen, ist er, der langsam und dann zunehmend Erkrankte, verstummt. Bei einer seiner nicht eben häufig gewährten Konzertreisen nach dem Westen hatte Manfred Schulze seine Jacke mit dem DDR-Reisepass irgendwo hin- oder gar aus dem Zug geworfen. Das war seine Art normalen Reagierens auf schizophrene Verhältnisse. Die Mitglieder des ROVA Saxophone Quartet feierten in völlig zu Recht und für ihn überraschend als Wegbereiter und Pionier. Man muss es wohl wiederholen, um klar zu machen, dass es sich nicht um einen Druckfehler handelt: das erste Manfred Schulze Bläser Quintett entstand 1969.

Bei aller Unterschiedlichkeit der hier versammelten Stücke frappiert die Kraft, die Transparenz, die Klarheit der musikalischen Gedanken - eine Direktheit und Zugänglichkeit, die Werke Neuer Musik häufig vermissen lassen.

Die Klagsprache bewegt sich auf der Höhe der Zeit, lässt aber zugleich Traditionslinien aufscheinen, die bis zu Renaissance und Mittelalter zurückreichen. Viele haben versucht, Jazzmusik mit europäischer Identität zu spielen. Manfred Schulze ließ solche Intention nicht vordergründig laut werden, sträubte sich ohnehin stets gegen alle Kategorisierungen und entfernte sich schließlich vom Jazz ebenso weit wie von den Zirkeln der Neuen Musik, in denen er nie Aufnahme fand. Dennoch gelang es ihm wie nur wenigen, die Tugenden des Jazz, vor allem die der Improvisation, mit denen der europäischen Musiktradition in ein spannungsreiches Verhältnis zu setzen. Als Komponist wirkte er immer zugleich in der Personalunion eines Mitspielenden. Die hier aufgezeichneten Kompositionen geben eine authentische Vorstellung von ihrer Realisierung unter Beteiligung und Anleitung Manfred Schulzes. Dass seine Musik über seine physische Präsenz als Spieler weiterwirkt, mag entdecken, wer Konzerte mit jenen Musikern besucht bzw. jene Aufnahmen hört, die ein noch unmittelbar von Manfred Schulze geprägtes Quintett eingespielt hat. (Vgl. Manfred Schulze Bläser Quintett: Konzertino, FMP CD 70).

Mit zeitlichem Abstand offenbaren "Nummer 12", "Viertens" und "B-A-C-H" so etwas wie einen Manifestcharakter: gleichzeitig kompliziert und wunderbar einfach, herausfordernd und erfüllt von einer unüberhörbaren Spielfreude, mit klar strukturierendem Verstand gesetzt und mit Hingabe zum Klingen gebracht.

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