FMP/FREE MUSIC PRODUCTION - An Edition of Improvised Music 1989-2004

FMP CD 83

Bert Noglik

 

In Zwischenwelten kann man sich nicht festklammern. Zwischen den Welten schwebt man. Standpunkte erweisen sich als flüchtig, alles ist fließend. "Accroche Note" findet seine Behausung in der Bewegung, im lebendigen Kreislauf der Klänge. Die "anderen" Welten, die der Musik in der Folge von Webern und die des Jazz reflektierend, folgt "Accroche Note" keinem Methodenzwang, keinem Stil, keiner Schulweisheit. Faszinierend, dass dennoch ein unverwechselbarer Gruppenklang entsteht. Das gelingt, weil die Beteiligten die arbeitsteiligen Funktionen des Komponisten und des Interpreten transzendieren und sich unmittelbar selbst einbringen. "Accroche Note" ist ein Kompositum der im Siel zusammenfindenden Charaktere.

Die Improvisation erweist sich bei diesem Konzert, bei diesen Aufnahmen als essentiell, ohne kompositorische Setzungen auszuschließen. Doch die Übergänge und Unterschiede können hörend nicht mehr nachvollzogen werden. Das fließend gemalte Bild erscheint wie aus einem Guss. Die Musik tritt aus der Beengtheit des Geschriebenen wie auch aus dem Dogma des Spontanen heraus und entfaltet sich als sinnliches Erlebnis. In einer Klangsprache des ausgehenden zwanzigsten Jahrhunderts kehrt "Accroche Note" zu etwas Ursprünglichem zurück, das im Zuge der Verfeinerung der Methoden und Mittel mitunter in Vergessenheit geriet. Dabei macht sich die Gruppe ganz unterschiedliche Tugenden zu eigen: die des subtilen Ausleuchtens von Klängen ebenso wie die der elementaren, expressiven Mitteilung.

Das Ensemble "Accroche Note" entstand 1981 um die Sängerin Françoise Kubler und dem Klarinettisten Armand Angster in Strasbourg. Anliegen war und ist es, die Musik lebendig zu halten und das Spektrum von der Aneignung der Moderne bis zur Neuen Musik, von der Zusammenarbeit mit zeitgenössischen Komponisten bis zur freien Improvisation, von der unkonventionell konzertanten Aufführung bis zur szenischen Umsetzung des Klanggeschehens auszuschreiben. "Accroche Note" kommt in wechselnden Besetzungen zusammen, um die Kommunikation in der Gruppe immer wieder neu herauszufordern und den unterschiedlichen musikalischen Kontexten gerecht zu werden.

"Live in Berlin" lässt uns Françoise Kubler und Armand Angster mit Musikern erleben, die jene klangrhythmische Dimensionen ausgestalten, die bereits in der Duo-Beziehung angelegt sind: die Ausweitung hin zum Perkussiven (am deutlichsten im eigenen Umgang der Sängerin mit Perkussion ablesbar, aber zuweilen auch in ihrem Gesang angelegt) sowie die Entgegensetzung bzw. Verschränkung von hoch-tief, von Sopran und Bass, von schwindelerregendem Höhenflug und tieflagiger Grundierung. Als kammermusikalisch Erfahrene wissen die Mitglieder dieses Ensembles unterschiedliche Spielkonstellationen vom Solo über wechselnde Dialoge bis zu gruppendynamischen Verdichtungen im Interesse eines spannenden Klanggeschehens zu nutzen.

Auch wenn einige Momente stärker zur Neuen Musik , andere zur Gestik des Jazz tendieren, kommt es nie zum Bruch, ist stets auch die physische Qualität des Spiels, der Prozess des Pulsschlags und des Atmens zu spüren. Die auf Vertrauen und Überraschung basierenden Kommunikationsprozesse haben nicht selten etwas Sprachähnliches - auch und mitunter sogar weil kaum einem der Laute ein Wortsinn beikommt. Die Ebene der Unterhaltungen erscheint abstrakter und zugleich elementarer als die der Alltagssprache -- hochartifiziell und körperlich direkt. Sowohl dem Gesang als auch dem Spiel auf den Klarinetten wohnt eine Intensität des Schreis inne, die gelegentlich so weit zurück genommen wird, dass man nur noch ein Flüstern zu hören vermeint. Oft wird erzählt, mit einer ansprechenden Haltung, einer musikalischen Gestik, die sich jenseits des Szenischen auch auf der Ebene des reinen Hörens wahrnehmen lässt.

Beeindruckend, dass uns "Accroche Note" die eigenen Kompositionen, Improvisationen und Prozesse des "instant composing" auf gleicher Ebene wie die Interpretation von Werken zeitgenössischer Komponisten erleben lässt. Das kann nur gelingen, weil sich das Ensemble deren Sprache zu Eigen gemacht hat, nicht in die Rolle des entfremdeten Mittlers zu treten braucht. Die Integration eines Stückes von Pascal Dusapin beispielsweise liegt nahe, weil das Ensemble mit ihm des Öfteren eng zusammengearbeitet hat. Stockhausens "Tierkreis" entstand im Umkreis von dessen Beschäftigung mit intuitiver Musik, die zwar mit Improvisation nicht identisch ist, jedoch in einem weit gespannten Zusammenhang Berührungspunkte erkennen lässt. "Fontana Mix" von John Cage, eine 1958 entstandene Partitur, die bei unterschiedlicher Überlagerung zu jeweils anders ausfallenden Realisationen anregen, bringen schließlich noch den Aspekt des Zufälligen ins Spiel. Ist das Zufällige auch nicht deckungsgleich mit dem Improvisierten, so spielt doch in jede Ausübung von Musik, insbesondere in die Improvisation, der Aspekt des Zufalls hinein. So gibt uns "Accroche Note" unterschiedliche Bilder einer Beschäftigung mit dem Fluss der Musik. Noch beeindruckender als die Tatsache, dass sich Kompositionen öffnen und Improvisationen zur Form fügen, erscheint die Selbstverständlichkeit mit der "Accroche Note" all das zuwege bringt. Reflexion und Sinnlichkeit ganz nah beieinander. Ein beunruhigendes und anregendes, ein selten schönes Erlebnis.

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