FMP/FREE MUSIC PRODUCTION - An Edition of Improvised Music 1989-2004

FMP CD 76

Tristan Honsinger

 

In den Siebzigern entstand bei mir das Bedürfnis, die Grenzen meines Territoriums abzustecken, und zwar eingedenk der fortwährenden Dekonstruktion meines Hintergrundes als. Beobachter europäischer Musik und meines stets bewussten Aufbaus eines entdeckten Ethos auf diesem Wege. Ich weiß nicht, ob ich mir klar darüber war, was ich tat, aber es resultierte aus einem natürlichen Tod der Metamorphose eines Interpreten zum Spieler.

In den Achtzigern fand ich es unbefriedigend, nur im Hintergarten jemandes andern herumzuschnuppern, und so beschloss ich, zur Abwechslung einmal keine Nachbarn zu haben. Das führte mich zu einem sehr wichtigen Problem. Was machte ich mit all diesem Freiraum? Ich begann also zu schreiben, was ich gern hörte, und das was von dort aus, wo ich war, als ich floh, an einem sehr unästhetischen Ort; Ich verliebte mich in das, wovon ich mich dekonstruiert hatte und versuchte Improvisationen von diesen Songs mit ins Spiel zu bringen. Gewöhnlich bat ich Leute, die eine enorme Intuition hatten, sich an meiner Suche zu beteiligen, die Vergangenheit mit der stets notwendigen Absicht zu kombinieren, dem Weg zu folgen. Anfangs war das für mich und meine Kollegen eine Offenbarung, aber eine Lösung war es für uns nicht; doch was war eine? Es gibt in der Improvisation natürlich glänzende Momente, die weiter getragen werden können oder nicht, aber es ist der Prozess, der unnachgiebig ist. Während ich also mit Songs und Improvisation arbeitete, entdeckte ich, dass, wenn wir diese Songs in den improvisatorischen Prozess so integrieren könnten, dass es den Ablauf nicht stört, die zwei Elemente dann kompatibel sein könnten.

In diesem Moment der Historie machte ich ein Stück Theatermusik, in dem wir versuchten, eine Cut-up-Erzählung mittels eines Stichwortsystems so zu bringen, dass wir den Erzählstrang aufbrechen konnten, um die Linearität der Erzählung an jeder Stelle durch ein Stichwort stoppen zu können, das sie zu einem anderen Punkt früher oder später in der Geschichte führen würde. Jedenfalls führte das zu einem gebauten Chaos, das zu einem erhöhten Sinn für Kommunikation zwischen den Beteiligten inspirierte. Diese Erfahrung brachte mich auf dieses Gruppenkonzept.

Das Streichquartett steht meinem Hintergrund sehr nahe und würde meine Art vom Cello her zu schreiben, ergänzen, und meine Art ist nicht eigentlich, der Kontrapunkt, sondern eine Erweiterung meiner Improvisationsweise und dessen, was ich manchmal hören möchte, wenn ich improvisiere. Ich bat Louis dazu weil er aus einer Tradition der Unabhängigkeit von der Linie kommt, die, finde ich, europäischem Improvisieren nottut.

Die Stücke dieser Aufnahme stammen aus einer Kollektion von Arbeiten für Tanz- und Theateraufführungen, wurden also von unterschiedlichen Stimmungen inspiriert, was mit dem Ergebnis der Musik nichts zu tun hat. Sie sind eingefügt und werden im Ablauf wiederholt. Ich habe versucht, eine komplette Partitur mit allen Stücken auf einer sichtbaren Karte zu machen, so dass jeder der Musiker jedes der Stücke jederzeit in die Improvisation einbringen kann, Ja, und manchmal werden zwei Stücke gleichzeitig eingebracht. Nun, auch in reiner Improvisation kommen zwei konkrete Initiativen gleichzeitig vor. Beim Anhören unseres in Berlin gegebenen Konzerts hatte ich das Gefühl, dass das, was ich versucht habe, irgendwie repräsentativ ist für die Hindernisse, die ich vor die Gruppe stelle. Und meine Schlussfolgerung ist, dass die Songs die Improvisation beeinflussen, und dass die Improvisation immer eine besondere Version des aus der Karte ausgewählten Songs gibt - aber sie wird auch Zweifel schaffen und hoffentlich Assoziationen.

Stephano Lunardi habe ich in seiner Geburtsstadt Livorno, Italien kennen gelernt. Seine Wärme und sein Sinn für Humor haben mich fast sofort verführt. Sein Hintergrund, wenn ich's recht bedenke, ist dem meinen sehr ähnlich, und also sind, auf intuitiver Ebene, seine Improvisationen sehr ergänzend.

Aleks Kolkowski gab uns dann die Gelegenheit zu dritt, als Teil eines größeren Ensembles, zusammenzuspielen, und so wurde ich hingezogen zu dem besonderen Verhältnis, das zwischen den beiden Violinisten entstand. Aleks kommt aus London, aber sein Hintergrund ist insofern einzigartig, als seine Wurzeln in Russland und Spanien liegen und er ähnliche Interessen wie ich in der Theater- und Tanzwelt hat. Außerdem gehörte er der schon erwähnten Theatermusikgruppe an die für meine Ideen zu dieser Gruppe so einflussreich war.

Ernst Glerum ist ganz einfach ein Bassist mit umfassender musikalischer Tiefe und außerdem nimmt er den Platz des Bratschisten im klassischen Streichquartett ein. Ich wählte ihn wegen seiner Verbindung zur Perkussion und der Vielfalt seiner musikalischen Kenntnisse,

Louis Moholo bat ich dazu, weil ich Perkussion in die Welt des Streichquartetts oder des Kammermusik-Konzepts bringen wollte. Für mich ist Louis einzigartig als eigenständiger Trommler und zudem einer der wenigen, der eine solche Gruppe ergänzen, den Klang verführen und von ihm verführt werden kann. Sein Gewicht als Südafrikaner für die europäische improvisierte Musik ist in ihrer Architektur von Anfang an fühlbar.

Ich denke, Europa und Afrika müssen etwas gemein haben. Immerhin drehen sich beide gleichzeitig mit der Welt. Viel Freude!!

Übersetzung Wulf Teichmann

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