FMP/FREE MUSIC PRODUCTION - An Edition of Improvised Music 1989-2004

FMP CD 75

Peter Thomé

 

Alexander von Schlippenbach, Free-Jazzer der ersten Stunde und im Jahre 1966 Mitinitiator der prominentesten europäischen Big Band der freien Improvisation, des Globe Unity Orchestra, reizen schon immer die großen Formationen und besonders die Möglichkeiten der Improvisation im Kontext des Orchesters.

Ständig auf der Suche nach neuen Improvisationsmodellen, schätzt er dennoch den Impuls einer Komposition: "Eine gute Jazz-Komposition schafft einen Rahmen für die Improvisation. Die Themen können kraft ihres rhythmischen Impulses den Improvisator katapultieren."

"Backgrounds For Improvisors" titelt Sam Rivers die CD, und weist damit seinen Kompositionen eine ähnlich grundlegende, wenn auch statischere Bedeutung zu: "Sie sind wie für den Maler die Leinwand, der Hintergrund, auf den er die Improvisation aufträgt".

Schlippenbach und Rivers, der in den Sechziger Jahren u.a. mit Miles Davis und Cecil Taylor arbeitete, kannten sich bis zu Beginn der Proben nicht persönlich. Und doch teilen sie neben der Auffassung vom Verhältnis der Komposition zur Improvisation auch die Berufung zum Musikpädagogen. Während Rivers Anfang der Siebziger Jahre in New York sein Loft-Studio für experimentelle Musik zum Mekka der jungen Improvisatoren machte, begann Schlippenbach in Berlin zu unterrichten. Im Jahre 1992 erhält er den Lehrauftrag für Ensemblespiel an der Hochschule der Künste. Die Abschlussklasse der HDK besteht zu diesem Zeitpunkt aus hoch motivierten jungen Musikern, die nicht nur Interesse an Schlippenbachs Jazz-Arrangements entwickeln, sonder auch als Improvisors Pool gemeinsam mit ihm auftreten. Auf Initiative des Schlagzeuges Johannes Bockholt-Dams, lädt der Improvisors Pool Rivers zum Workshop ein.

Lange vor den ersten Proben trifft der Einundsiebzigjährige in Berlin ein, spielt mit jedem Musiker, der das möchte und beeindruckt alle mit seinen Energie geladenen Auftritten. So auch Felix Wahnschaffe, der zunächst Schwierigkeiten im Verständnis der Feinstruktur von Rivers "Leinwänden" einräumt, sich dann aber von seinem schieren Willen zum Ausdruck anstecken lässt und zur Formulierung angeregt fühlt. Der Altsaxophonist und der Bassist Horst Nonnemacher, beide schon aufgefallen im Quartett Association Urbanétique, einer Jazz Combo von überregionaler Bedeutung, sind schreibende Instrumentalisten wie auch die anderen jungen Talente des Improvisors Pool, allesamt prägend in verschiedenen Bands aktiv.

Nach einer kurzen, harten Zeit der Proben schließen sie den Workshop mit einer Präsentation ab, die ein großartiges Zeugnis von der Free-Jazz bezogenen Orchesterarbeit Schlippenbachs mit dem Improvisors Pool ablegt und gleichzeitig durchdrungen ist von der spirituellen Kraft des unbändigen Solisten Sam Rivers. Besonders deutlich wird dies in den beiden frei improvisierten Stücken, in denen er seine Partner ungemein beflügelt, so dass sie quasi über sich hinaus wachsen. Doch auch Rivers fühlt sich gerade in der Improvisation zu zweit an den gleichen Instrumenten von der rhythmischen Kraft und der technischen Perfektion einer Tina Wrase oder eines Tilmann Dehnhard spürbar angerührt. Die launige Folie à deux am Sopransax in "Frame" oder der verspielte Formationsflug der beiden Querflöten in "Encounter" sind mehr als ein Intermezzo zwischen den komplexen Stücken von Rivers und Schlippenbach.

Doch selbst diese langen Titel vergehen wie im Fluge zwischen No Time und Ragtime, dem gekonnten Pulse von Bass und Schlagzeug und der Idiomatik der jeweiligen Improvisationsgruppen. "Die jungen Talente des Improvisors Pool sind ausnahmslos sehr kreativ und es hat mir viel Spaß gemacht, mit ihnen zu spielen!

Mal sehen, ob sie, sagen wir in den nächsten 25 Jahren, ihren originellen Beitrag zur Improvisierten Musik geleistet haben", lacht Rivers altväterlich und verweist damit indirekt auf Schlippenbach und sein verdienstvolles Werk, das wieder um eine bunte Facette reicher wurde.

zurück / back