FMP/FREE MUSIC PRODUCTION - An Edition of Improvised Music 1989-2004

FMP CD 68

Andreas Müller

 

Mitunter scheint das Terrain der Freien Musik abgesteckt und erkundet. Namen und Konzerte klingen bekannt, weiße Flecken auf der Landkarte lassen sich kaum mehr entdecken. Manche Musiker versuchen dem Stillstand zu entkommen, indem sie stetig allerlei unselige Projekte präsentieren, die am Ende den Ideenverlust eher offenbaren, denn kaschieren. Andere wiederum glauben spannende Entwicklungen in der fortwährenden Bearbeitung von Standards ausmachen zu können. Schließlich existiert da noch jener Haufen Verwegener, der sich nach wie vor des Abenteuers Improvisation bewusst ist und die mühselige Forschungsarbeit abseits der sicheren, ausgetretenen Pfade wagt.

Die Namen Michel Doneda, Paul Rogers und Lê Quan Ninh stehen mit Sicherheit für die zuletzt genannte Haltung. Lê Quan Ninh, der ungeheuerliche Schlagwerker aus Toulouse, fand Mitte der Achtziger den Weg von der Neuen Musik zur Improvisation und gelangte so irgendwann auch auf die Festivals der FMP. Erstaunt erlebte ich dort wie er, geschult an den Werken Vareses, Nonos und Kagels, aufzeigte, dass ein improvisierender Schlagzeuger durchaus an den von Meistern wie Han Bennink oder Paul Lovens vorgegebenen Klangwelten vorbei kommt. Lê Quan Ninh verwendet neben traditionellen asiatischen Elementen - Gongs, Holzblöcke, archaische Trommeln - ebenso westliche Materialien - Becken, Bleche, Schrotteile. Die große Autorität seines Spiels, sowie eine scheinbar unerschöpfliche Kreativität, haben ihn längst zu einem der gefragtesten Perkussionisten der Szene werden lassen. Seit Mitte der Achtziger arbeitet Lê Quan Ninh bereits mit Michel Doneda zusammen.

Doneda, in Toulouse beheimatet, gilt als einer der wesentlichen Miterfinder der so genannten "folklore imaginaire". Dieser mittlerweile unscharf gewordene Begriff verdeckt, dass Doneda ein Jazz-Musiker ist. So sind auf seinen Schallplatten mitunter Kompositionen von Albert Ayler oder Lee Konitz zu hören und auf einem der Musik Sidney Bechets gewidmetem Sampler des "nato" Labels liefert er sich ein packendes Duell mit Elvin Jones. Auch Michel Doneda hat längst seine eigene Sprache entwickelt, seine eigenen Räume entdeckt. Vergleiche mit den Halbgöttern des Sopransaxophones - Coltrane, Lacy, Parker, Coxhill - erübrigen sich; Doneda gehört in diese Reihe.

Paul Rogers dürfte für manche ein neuer Name sein. Das mag daran liegen, dass dieser unbesungene Held des Basses ein Jahrzehnt lang mehr oder weniger verschwunden war. Irgendwann hatte sich Rogers ge- und entnervt aus dem frustrierenden, schlecht bezahlten Musikzirkus zurückgezogen, um auf einem Bauernhof, irgendwo in Frankreich, Ruhe zu finden. Doneda war es, der die bäuerliche Idylle störte, um Rogers in seine Band zu holen. So entstand eine Gruppe, die im April 1994 beim "Workshop Freie Musik" noch "SOC" hieß, sich aber mittlerweile für die kollektiv-gleichberechtigte Bezeichnung "Doneda, Rogers, Lê Quan" entschieden hat. Die beiden Berliner Konzerte des Trios gerieten euphorisierend; maßlos schien die Kreativität, die musikalische Kraft an diesen Abenden (dass Paul Rogers' Bass-Pickup beim ersten Auftritt nicht richtig funktionierte, hatte kaum jemand bemerkt so gewaltig erklang sein Ton).

"Doneda, Rogers, Lê Quan" ist kein Projekt. Standards wird man auf dieser CD nicht finden. Hier spielt eine Band, die improvisiert und dabei zeigt, dass das Terrain der freien Musik noch immer weiße Flecken aufweist, die es zu entdecken und zu erkunden gilt.

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