FMP/FREE MUSIC PRODUCTION - An Edition of Improvised Music 1989-2004

FMP CD 66

Andreas Müller

 

Eigentlich eine einfache Sache. Nichts dramatisches, nichts sensationelles, leicht in Worte zu fassen: da treffen zwei Männer zusammen - beide gelten als Meistermusiker - um ein Konzert zu spielen. Wir meinen, sie zu kennen.

Louis Sclavis, der Franzose - diverse Klarinetten: er gehört zu den meist beschäftigsten Improvisatoren überhaupt. In den 70er Jahren brillierte er, für die meisten Nicht-Franzosen erst spät vernehmbar, im "Workshop de Lyon" (sofort schießt einem der schon zu oft benutzte Begriff von der "folklore imaginaire" durch den Kopf), die internationale Kritik bescheinigt ihm unbestrittene Autorität auf seinem Instrument, zudem gilt er als bedeutender Innovator. Das britische "Wire Magazine" - eine durchaus unbestechliche Institution - schließlich nennt ihn schlichtweg den "faszinierendsten Klarinettisten unserer Zeit".

Ernst Reijseger - Cello: schnell ist man versucht, ihn unter die "skurrilen Holländer" zu subsumieren (nun vornehmlich der Optik wegen). Seit mehr als zwei Jahrzehnten finden wir ihn bei den Improvisatoren - mit Derek Bailey hat er gespielt, sein Cello erklingt unter anderem beim "ICP Orchestra" von Meister Mengelberg, in den Gruppen von Gerry Hemingway und im "Trio Clusone".

Beide verweben immer wieder folkloristische Elemente in ihr Spiel. Seit Mitte der 80er Jahre existiert das Duo, nur wenige wissen davon, Konzerte sind selten, von einer "working group" kann sicherlich nicht die Rede sein. Louis Sclavis und Ernst Reijseger fanden sich also in Berlin zu einem ihrer raren Treffen ein.

Am 30. und 31. Juli 1994 beim "Fall in Jazz - Summer Music", einer feinen Konzertreihe, die sich den kleinen Besetzungen widmet. Der Rahmen für die Veranstaltungen ist gut gewählt - das "Haus am Waldsee" - eine altehrwürdige Villa - eignet sich bestens für kammermusikalische Aufführungen. Die Bedingungen sollten sich diesmal dennoch als recht problematisch erweisen. Das "Haus am Waldsee" war zwar bis auf den letzten Stuhl gefüllt, aber eine seit Wochen anhaltende Hitze machte einen Konzertbesuch nicht eben zum Vergnügen.

So erinnere ich mich im Wesentlichen an ein völlig durchnässtes Publikum, an zwei tapfer aufspielende Musiker und an den Ausruf Ernst Reijsegers "…und wir reden nicht von das Wetter!".

Von der Musik er beiden - da muss ich gestehen - vernahm ich damals wenig, zu sehr kreisten meine Gedanken um das Wetter und die Aussicht auf kühle Getränke… Erst beim Hören der Vorabkassette dieser CD sollten mir die Ohren aufgehen. Da hatte ich doch eine kleine Sensation verpasst, ein großes musikalisches Ereignis geradezu "verschwitzt". Ernst Reijseger und Louis Sclavis gelang es wieder einmal, das wunderbare der Improvisation zu beschwören. Entgegen allen Widrigkeiten vermochten sie ihre ganz eigene Musik zu erschaffen - konzentriert, konsequent, autonom, losgelöst (diese Musik hätte wahrscheinlich auch in einem wohl temperierten Studio entstehen können).

Hier spielen zwei, die sich kennen, schon sehr lange kennen.

Kammermusik? "Folklore imaginaire"? Free Jazz? Wer eine Kategorie braucht, möge sich eine aussuchen. Was diese Musik ausmacht, das ist eben nicht so leicht in Worte zu fassen - die Vokabeln sind einfach zu verbraucht.

Louis Sclavis und Ernst Reijseger sind zusammen gekommen, um ein Konzert zu spielen. Sie haben der großen Geschichte von der improvisierten Musik ein kleines Stückchen hinzugefügt.

Nicht mehr - und nicht weniger.

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