FMP/FREE MUSIC PRODUCTION - An Edition of Improvised Music 1989-2004

FMP CD 58

Hans Rempel

 

Man kennt diesen großen Bogen, den die hier vorliegende Musik beschreibt - dieses relativ kurze Anlauf-Nehmen, Sich -Aufschaukeln und -Einpendeln und den nachfolgenden, mitunter Stunden andauernden "Tanz auf dem Vulkan", der Klavieristisches und Musikalisches derart hochgespannt verdichtet, dass "nichts mehr geht", besser: nichts mehr zu gehen scheint, denn: Cecil Taylor weiß, diese vermeintlich höchst komprimierte Daseinsform von Musik immer noch durch ein bestimmtes, nicht geglaubtes Maß an Intensität zu steigern. Das ist zwar nicht die einzige, wohl aber die zentrale Methode, nach der er seine Stücke anlegt bzw. nach der sich seine Stücke gleichsam "ergeben", und zwar nicht erst seit heute, sondern bekanntlich bereits seit reichlich einem Drittel-Jahrhundert. Das soll Anlass sein, seine Musik in einen etwas abgehobeneren Zusammenhang zu stellen, eingebunden in Koordinaten, die über eine bloß tages-aktuelle Sicht von Jazz-Musik hinausgehen.

Am Anfang einer neueren Entwicklung innerhalb des Jazz - gemeint sind die Jahre unmittelbar um 1960 - gab es einen gravierenden Einschnitt, welcher zunächst nur von einigen wenigen Musikern verursacht wurde. Sie brachen auf sehr verschiedene Weise mit der unmittelbaren Vergangenheit (und Gegenwart), meist jedoch nur partiell, auf einige Teilbereiche bezogen, während andere Komponenten des alten Denkens (zunächst) erhalten blieben. Das betrifft sogar Ornette Coleman, den Inbegriff des Innovatorischen jener Jahre, der in seinem tatsächlichen Epoche machenden Stück ,,Free Jazz" die traditionelle Herrschaft des Taktes kaum einmal attackiert, ja, sie sogar bestätigt, vor allem aber Rhythmik und Phrasierung in konventionellen Bahnen belässt. Daran gemessen erweist sich Cecil Taylor als der wahre Neuerer, der schon 1960 weitgehend mit der traditionellen Jazz Gebärde gebrochen hatte. Man höre sein Stück ,,E. B." vom Oktober 1960 (welches circa zwei Monate vor Coleman's ,,Free Jazz" aufgenommen wurde), in welchem er sich innerhalb weiter Passagen über jede der damaligen Jazz-Konventionen hinwegsetzt, das parallel "dazugeschaltete" Spiel von Kontrabass und Schlagzeug (das im Sinne des Taktschlagens funktioniert) völlig ignoriert und damit ad absurdum führt.

Das sind mehr als bloß technische Details - in diesem So-Handeln, So-Spielen durch Taylor offenbart sich eine neue Art von (musikalischem) Denken, welches er an die Stelle der (Jazz)Konvention setzt - kontinuierlich übergeleitet von einem späten Hard Bop zu einem frühen Free Jazz hat er kaum. Neues erscheint bei ihm gleich dem Ergebnis eines Dammbruches, plötzlich und unerwartet mit allen nur möglichen Konsequenzen für Kollegen und Publikum. Doch während er mit fast allen damals etablierten Komponenten von Jazz-Musik bricht, verbindet ihn vieles mit Tradition, jedoch nicht auf eine hörbare direkte, sondern stets auf eine vermittelt abstrakte Art und Weise. So klingt seine Musik niemals wie afrikanische Trommel-Musik, afrikanisches Parlando, niemals wie afro-amerikanischer Blues, afro-amerikanischer Boogie Woogie; und doch sind die allgemeineren Prinzipien afrikanischer Perkussion, afrikanischen Sprechgesangs, sind die Ausdrucksintensität des Blues, die Klavieristik des Boogie Woogie als Wurzeln und Quellen zu seiner Musik (neben zahlreichen anderen, hier nicht erwähnten) unverzichtbar. Der Bruch, der vor allem von Cecil Taylor in den Jahren um 1960 im Jazz vollzogen wurde, ist vergleichbar dem zwischen afro-amerikanischer Volksmusik und bewusst gestaltetem Jazz, und dem, der sich mit dem Entstehen eines neuen Improvisations- und Struktur-Denkens um Mitte der zwanziger Jahre einstellte und von der Teamwork lmprovisation des klassischen Jazz zum solistisch orientierten und kompositorisch gestützen Modell der folgenden Jahrzehnte führte - mehr noch: Taylor hob den (Free) Jazz auf eine Ebene, vergleichbar den Kunstmusik-Traditionen, die sich bereits Jahrhunderte, auch schon Jahrtausende zuvor in einigen asiatischen Ländern und in Europa entwickelt hatten. Jazz Musik hatte bis dahin, wenn auch nur punktuell und peripher, die kompositorische Avantgarde angeregt und beeinflusst. Trotz einiger mehr oder weniger avantgardistischer Züge war Jazz selbst keine avantgardistische Musik; seine relativ eng bemessenen Strukturen verboten ein Ausufern zwar nicht total, beließen es jedoch in einem recht gering bemessenen Rahmen. Erst mit dem Auftreten Taylors und seiner Generation wurde Jazzmusik selbst, im Kern, auch Avantgarde-Musik, getragen von einem neuen musikalischen Denken, einem neuen intellektuellen Selbstverständnis, das sich nicht durch konventionelle Gepflogenheiten lenken ließ, sondern seine Spielregeln selbst entwickelt, hin zu neuen Gestaltungsweisen und Ausdrucksformen, fern aller regelhaften und schematischen Vorbestimmtheit durch Konvention.

Nach einer kurzen Anlaufphase während der zweiten Hälfte der fünfziger Jahre hatte Taylor seinen Personalstil zwar nicht in allen, aber in einigen wesentlichen Grundzügen entwickelt und gegen Mitte der sechziger Jahre zur Reife gebracht. Seither hat er seine Musik geradlinig und kompromisslos in einer gefährlichen Grat-Wanderung auf einsamer Höhe gehalten - vergleichbar dem "Tanz auf dem Vulkan", dem großen Bogen, den der konkrete Gang seiner Stücke nimmt, womit wir auf den Beginn der Anmerkungen, vor allem aber auf die hier vorliegende Musik zurückkommen.

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