FMP/FREE MUSIC PRODUCTION - An Edition of Improvised Music 1989-2004

FMP CD 55

Bert Noglik

 

Cecil Taylor: Music & Poetry

Der Körper und die Stimme. Das Instrument als Extension des Körpers und die Stimme als unmittelbarer Ausdruck der Befindlichkeit. Die permanente Herausforderung, den Gegenstand zu beleben, zu individualisieren. Konkret gesprochen: ein schwarzer Kasten, der in Vibrationen versetzt wird. Dem Anschein nach haben es Bläser in dieser Hinsicht leichter als Pianisten. Und doch ist Cecil Taylor an Hand weniger Anschläge zu erkennen: seien es furiose Clusterschläge oder nuancierte Single Notes.

Cecil Taylor hat vom "vokalen Sound" des Pianos gesprochen. Im gemeinsamen Spiel, "die Gruppe singen zu lassen", sei etwas, das er einst von Duke Ellington gelernt habe. Für den Solisten Taylor bedeutet Spiel stets totales Engagement, das ihm die Energie des Körpers und den Einsatz der Stimme abfordert. Mit den Aufnahmen dieses Konzertes erleben instrumentale und vokale Qualitäten eine verdichtete Form, eine potenzierte Wirkung.

Durch die zugespielten Bänder mit Taylors Stimme und sparsamen Perkussionsklängen entsteht eine neue Dimension. Mehr als alles andere, sagte Cecil Taylor einmal, habe er immer versucht, ein Poet zu sein - ein Poet am Piano und ein Poet im Denken, Fühlen, Sprechen. Obwohl es Aufzeichnungen von Taylors Poesie gibt, die er als "music in print" auffasst, scheint sein eigentliches Medium die situative, die orale Mitteilung. In dieser Hinsicht steht er in der afrikanisch-indianisch-amerikanischen Tradition. Auch wenn Taylors Klänge äußerst verfeinert wirken und im Kontext der zeitgenössischen Avantgarde gehört werden, lässt sich nicht verleugnen, dass in seiner Musik vom Erbe oraler Kulturen mitschwingt, das afrikanischen Griots oder indianischen Erzählern verwandt erscheint.

Obwohl die Stimme wesentlich für die Atmosphäre des Spiels sorgt - auf anderer Ebene so, wie der Text eines Songs, den jemand interpretiert -, verblüfft Cecil Taylor auch hier in besonderem Maße durch die Transparenz und Dynamik seines Klavierspiels: mit immer sanfteren und doch nie sentimentalen Klängen, immer rasanteren und doch nie blindwütig wirkenden Steigerungen. Er erreicht eine Komplexität spontaner, formaler Gestaltungskraft, die man als Plateau-Ebene eines Lebens- und Werklaufes bezeichnen könnte.

Die hin gehauchten Worte, die beschwörenden, oft mit krächzender Stimme gesprochenen Wendungen wirken wie ein Kontrast zum Klangvolumen des Klaviers. Doch wie Cecil Taylor Sprache und Musik miteinander verbindet, wie er seine eigenen vokalen Äußerungen umspielt und kommentiert, erweckt das Gefühl von Ganzheit und emotionaler Hingabe. Es ist das Physische der Stimme und das Metaphysische der Poesie, was berührt.

Die Wortfolgen offenbaren eine individuelle Mythologie, eine wache Traumwelt, eine sinnliche Philosophie. Erinnerungen und Reflexionen, magische Formeln, Referenzen an Orte der Kindheit, des Wachstums und der Reife. Wer da "verstehen" will wie man einen Aufsatz versteht, wird nichts mitnehmen. Sich auf Taylors Musik und Poesie einzulassen bedeutet, sich vom Zwang zu Interpretation und Diskurs zu befreien, ganzheitlich zu erleben. In Taylors Klangpoesie werden Töne zu Bedeutungen und Worte zu Sounds. Die Grenzen zwischen Sinnlichem und Intellektuellem verwischen. In der oralen Kultur, schreibt der Soziologe Ben Sidran, sind die Kommunikationsprozesse unmittelbar körperlich organisiert. Der Angehörige einer oralen Kultur steht niemals in intellektueller Distanz zu seiner Umgebung, sondern ist stets emotional in ihr aufgehoben. Der Weg von Instrument und Stimme, könnte man folgern, führt bei Cecil Taylor zur Bewegung bzw. zur Imagination von Bewegung, zum Tanz. Wer sich in diese Musik einfühlt, wird das nach- oder miterleben können.

Mit Musik und Poesie entwirft Taylor enorme Spannungsbögen, wobei er mit sicherem Gefühl und Instinkt bis an Grenzen geht, das Zerreißen jedoch zu verhindern weiß. Vieles spielt sich zwischen gegensätzlichen Bereichen ab: zwischen schweren, erdigen Klängen und luftigen, schwebenden Tonfolgen, zwischen ausgesprochen Iyrischen Passagen und solchen voller Dramatik, bei denen man glaubt, in eine kollektive Auseinandersetzung einbezogen zu sein. Mitunter wirkt Taylors Spiel wie auch seine Sprache sehr direkt, dann wieder scheu und introvertiert. Und all das spannt sich zwischen Liebe und Angst. Die Bedrohungen sind ebenso zu spüren wie die Verletzlichkeit und die Zärtlichkeit.

In mein Notizbuch notierte ich nach dem Konzert im Berliner Bechstein-Haus: Noch während des Beifalls läuft er raus, fast geduckt. Er hat viel länger gespielt als geplant. Planen kann man mit Cecil Taylor ohnehin kaum etwas. Mit federndem Schritt schleicht sich Taylor davon. Er hat sich nicht nur völlig ausgegeben, sondern geradezu verschenkt. Ein Überlebender der musikalischen Materialschlachten, der weiß, dass die Essenz nicht in den Akkord-Verbindungen, sondern im Labyrinth der Leidenschaften zu suchen ist. Taylor kommt nicht noch einmal. Es ist doch alles gesagt. Das Publikum für Minuten sprachlos. Danach immer wieder die Hilflosigkeit, etwas zu wollen, das Gefühl, berührt zu sein.

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