FMP/FREE MUSIC PRODUCTION - An Edition of Improvised Music 1989-2004

FMP CD 51

Bert Noglik

 

Günter Sommer - Sylvain Kassap - Didier Levallet

Gemeinsame Wege durch unterschiedliche Landschaften. Fahrten zu Konzerthallen und kleinen Kulturzentren. Bühnen, die zum Podium für weitverzweigte, musikalische Unterhaltungen werden. Kammermusik mit tänzerischer Leichtigkeit. Glückliche Fügung: europäischer Jazz. Unverkennbar verankert in kulturellen Erfahrungen der Alten Welt, abgenabelt von den amerikanischen Heldengestalten und doch noch immer von diesen inspiriert wie von lieben, entfernten Verwandten. Die seit den siebziger Jahren gewonnene Souveränität freien Improvisierens fließt ebenso hinein wie jene Freude an der Gesanglichkeit des Folkloristischen, die sich schwerlich an konkreten Volkstönen festmachen läßt und die man in Ermangelung genauer Quellenangaben gar nicht so unzutreffend imaginär genannt hat.

Ein Fest der Sinne. Günter Sommer im freien Fluß des Spiels mit den französischen Freunden. Sommers French Connection mit Sylvain Kassap begann bereits Anfang der achtziger Jahre. Jean Rochard, der damalige Produzent des Labels nato lud europäische Improvisatoren aus allen Himmelsrichtungen in das Wallfahrtsörtchen Chantenay-Villedieu ein. Dort auch hat Günter Sommer 1983 seine Platte „Hörmusik Zwei“ eingespielt, mit der er in Fortsetzung der auf FMP veröffentlichten und auch in Live-Konzerten präsentierten ersten „Hörmusik“ den Klangkosmos von Schlagzeug und Percussion individuell ausgestaltete. In das Duo mit Sylvain Kassap, das schon in den Anfangsjahren durch Didier Levallet zum Trio erweitert wurde, integriert Günter Sommer folgerichtig seine im Solospiel gewonnen Erfahrungen: die Erweiterung des Klangspektrums und die Konzentration auf die Qualitäten des Klingenden. Die Solo-Hörmusik, ursprünglich so genannt, weil sich Sommer, hinter Tüchern spielend, dem Sichtfeld der Zuhörer entzog, um sie auf das Hören zu lenken, wird hier umgewandelt und einbezogen in eine dichte Trio-Interaktion.

In dem rund zehn Jahre jüngeren Sylvain Kassap fand Günter Sommer einen musikalischen Partner, der auf seine Weise nach Wegen sucht, sich mit einem eigenen Klang in das Geschehen einzubringen. Dabei weiß er jedes seiner Instrumente sehr spezifisch einzusetzen. Und auch wenn er mit den Klarinetten an Michel Portal oder Louis Sclavis, mit den Saxophonen gelegentlich an Evan Parker denken läßt, so steht er hier doch musikalisch schon gänzlich auf eigenen Füßen. Wenn er zwei Reed-Instrumente gleichzeitig spielt, erinnert er nicht nur an Rahsaan Roland Kirk, dem eines der Stücke gewidmet ist, sondern auch an die Doppelrohrblatt-Traditionen der Mittelmeerregionen. Glückliche Fügung: europäischer Jazz. Der erfahrene Didier Levallet weißt den Baß auf jene Weise solistisch und kollektivbildend einzusetzen, die dem Spiel Günter Sommers sehr verwandt erscheint. Günter Sommer bringt das ganze Arsenal seines Perkussionsinstrumentariums zum Klingen, schafft vielschichtige Rhythmusgeflechte und weiß zugleich Melodien einzuflechten.

Die Drei erzählen einander Geschichten, und sie verstehen sich nicht nur auf das musikalische Fabulieren, sondern auch auf das Zuhören. „Es gibt viele Gründe, nach Frankreich zu reisen“, schrieb Günter Sommer schon vor längerer Zeit. Und er fügte hinzu: „Mit meinem Beruf verbinden sich einige der guten Gründe.“ Als da wären: das Treffen mit Freunden im Medium der Musik und die Fahrten durch unterschiedliche Landschaften, auch durch Landschaften der Kunst, der Kultur und der Kochkunst. Savoir-vivre bleibt für uns Deutsche wohl noch immer ein Zauberwort, das sich in Frankreich jenseits der Klischees mit Sinn erfüllen läßt. Man muß sich das vorstellen: In den achtziger Jahren reiste Günter Sommer mit dem Paß eines Staatswesen, das nicht gerade als Hort des unbeschwerten Seins in die Geschichte eingegangen ist. Aber nicht nur bei den Konzerten in Frankreich, sondern auch bei denen in der DDR zelebrierten Günter Sommer, Sylvain Kassap und Didier Levallet die Freude am gemeinsamen, am freien, am sinnenfrohen Improvisieren. So gleichen die Stücke zugleich Lebensgeschichten. Sie verbinden sich mit Erinnerungen an Spielorte, an die Kultur des Spielens und des Zuhörens und mit Widmungen an Nahestehende wie den Jazzorganisator Peter Metag.

Rund zehn Jahre nach den Anfängen des Trios entstanden die Aufnahmen beim „Workshop Freie Musik“ der FMP in Berlin. Rund zehn Jahre nach diesen Aufnahmen gibt es das Trio noch immer und mit unveränderter Vitalität.

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