FMP/FREE MUSIC PRODUCTION - An Edition of Improvised Music 1989-2004

FMP CD 41

Bert Noglik

 

Beim Spielen wirkt er beinahe selbstvergessen, ganz und gar konzentriert auf den Prozess der Klangproduktion. Eine Symbiose aus Mensch und Instrument, durchzogen von elektrischen Strömungen, belebt von pulsierendem Blut, beseelt von einer wilden, doch auch disziplinierten Phantasie. Joe Sachse solo - das ist ein Synonym für unablässigen Drive, spannende Dynamik und spieltechnische Brillanz. Was Sachse da unter den Fingern gerät, offenbart solche KompIexität, dass man mitunter den Eindruck gewinnt, er wolle sich vervieIfachen. Er bezeugt gleichzeitig den Glanz eines Solisten und die Gediegenheit eines Begleitenden, tritt sich gelegentlich als Alterego gegenüber, dialogisiert mit sich selbst und legt orchestrale Klangteppiche aus. Wenn der Gitarrist Sachse dann klopfend, mit einer Tüte raschelnd und mit dem Fuß wippend, auch noch die Funktionen eines Schlagzeugers übernimmt, so erinnert das entfernt an die Versatilität von One Man Bands. Was Joe Sachse von der Tradition des Jazz abhebt und zugleich mit dieser verbindet, ist seine musikalische Sprache - gebildet aus Partikeln der Überlieferung und eigenen Einfällen. Historisch gewachsenes Material hat er gefiltert und umgeformt, sich zu eigen gemacht. Im Flug der Finger über Saiten und Korpus gelingen Sachse schier unglaubliche Kunststücke. Doch die Qualität seines SpieIs überschreitet die Ebene technischer Perfektion und in erstaunen versetzender Tricks. Was ihn mit den Blues- Barden und den Jazz-Klassikern verbindet, ist der Wille zur Mitteilung. Das musikalische Gebäude, das Joe Sachse vor unseren Ohren aufbaut, verrät die Stärke eines empfindsamen Gemüts. Sachse entwirft mobile Klangarchitektur, bewegt von heftigen Emotionen und feinsten Schwingungen.

Wer diesen Gitarristen kennt, weiß, dass er ein kritischer Geist ist, ein Mann mit spitzer Zunge und einem treffsicheren Humor. Das Europäische Haus, viel zitiert und oft beschworen, ist für ihn keine euphorische Vision, sondern eher eine VorsteIlung von konfliktreichen Bau- und Umbauprozessen. Sachse fürchtet die Rache der See und die Rache der Luft, die Revanche der Natur und die Spätfolgen sozialer Fehlleistungen und Unterlassungssünden. Bieten solcherart Reflexionen auch die Basis der Befindlichkeit, so ist Sachses Spiel doch zu eigenwüchsig, um sich auf irgendeine Art programmatisch festmachen der einengen zu lassen. Europäisch ist gewiss die Haltung, mit der er spielt. Sein Verhältnis zu Standards des Jazz ist nicht ungebrochen, aber dennoch beinahe liebevoll zu nennen. Er übersetzt die zu Fixpunkten der Jazzgeschichte geronnenen Materialien in einen individuellen Spielprozess, in ein Idiom eigener Prägung. So blickt er durch die Standards wie durch ein Fenster: zurück in die Historie und zugleich über diese hinaus auf eine in Bewegung begriffene improvisierte Musik. Er blickt durch das glanzvolle Erbe amerikanischer Musik auf Europa weder demütig noch mit dem Gefühl des Gewinners. Eher zweifelnd, nachdenklich: Ach Europa. . .

Was zu hören ist, wurde live eingespieIt, ohne Overdubs und ohne Effektgeräte. Im Wechsel von rhythmisch-perkussiven, harmonischen und melodischen Bauelementen, oft auch in enger Verknüpfung und Überlagerung unterschiedlicher Methoden und Spielweisen scheint Sachses Persönlichkeit durch. Leichtigkeit und Geläufigkeit, ja eine beinahe artistische Beweglichkeit verbinden sich mit Hintersinn und Formbewusstsein. Spiegelt sich in den zu eigen gemachten Standards immer auch das selbst entwickeIte SpieImaterial, so lassen die Eigenkompositionen doch zugleich die Auseinandersetzung mit der Tradition - der des Jazz und der des Instruments - auf eine Weise spürbar werden, die Geschichtsbewusstsein und Mut zur Innovation erkennen lässt. Beinahe nahtIos fügt sich in die Suite des Gitarristen sein eigenwilliges Flötensolo singend und blasend, zirkularatmend, um Atem ringend. Die Rache der Luft. Ein Gitarrenspieler mit der Expressivität eines Saxophonisten - erprobt beispieIsweise im Duo mit Peter Brötzmann. Doch das ist schon wieder eine andere Geschichte. Da gäbe es weitere zu erzählen: von musikalischen Begegnungen mit David Moss, George Lewis oder Jon Rose, von den Gruppen DoppelMoppel und Joint Adventure, von der Arbeit im Schnittbereich zur Performance, gemeinsam mit Tadashi Endo, von einer Produktion mit Jack Bruce und von Sachses eigenen Gruppen. Im Solo fließen die unterschiedlichsten Erfahrungen zusammen, auch die unterschiedlichsten Eindrücke, wie die Zitaten strotzende Last Battle ohrenfällig macht. Fast scheint es, als ob die meisten Materialschlachten schon geschlagen sind. Bei einer Tour, die Joe Sachse vor einiger Zeit gemeinsam mit Hans Reichel und John Russell unternahm, wurden Ähnlichkeiten und Unterschiede im Umgang mit dem neu entwickeIten Gitarrenvokabular besonders deutlich. Es handelt sich um einen kollektiven Prozess, zu dem Joe Sachse einen persönlich geprägten Beitrag leistet. Im Laufe der Jahre sind die Konturen immer schärfer geworden, während die Binnenstrukturen seines Spiels an KompIexität gewonnen haben. So eröffnet das European House einen faszinierenden Einblick in Sachses Klangwerkstatt.

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