FMP/FREE MUSIC PRODUCTION - An Edition of Improvised Music 1989-2004

FMP CD 40

G. Fritze Margull

 

Der Hund bIeibt der Hund

Es war der siebente 'Workshop Freie Musik' in Berlin (Schwerpunkt: Posaune und große Ensembles, wie dem Willem Breuker Kollektief, Vinko Globokar & Brass Group), auf dem sich einmalig "Globe Unity Special" präsentierte. Der überstrapazierte Etat - in den fünf Tagen des Workshops spieIten 34 Musiker in unterschiedlichen Kombinationen und Gruppierungen - erzwang diese 'kleine Form' des Globe Unity Orchesters. Mit dem Auftritt in der großen AussteIlungshalle der Akademie der Künste, am 31. März 1975, wurde konsequent einer Form Vorrang gegeben, die m. E., bestimmend für das Orchester bIeiben solIte, die 'volkstümliche Lieder' (E. Jost) - Phase (FMP 0160, S 4, S 6) war beendet. Ironischerweise begann das Konzert mit Mengelbergs "Alexanders Marschbefehl", dessen Eingangsthema ein witziger, stolpriger, sich selbst karikierender Marsch ist. Was 1966 mit einer Auftragskomposition des RlAS Berlin an Alexander von Schlippenbach ("Globe Unity") begann und zur Gründung des Orchesters führte, "Männerulk in der Philharmonie", titelte ein Kritiker, hatte jetzt einen, für die weitere Entwicklung entscheidenden Moment erreicht. Die Musiker begriffen, dass ihr musikalisches Potential in der freien Improvisation liegt, die von möglichst wenig struktureIlen Vorgaben begrenzt sein solIte.

Es ist nicht nur der hohe Grad von musikalisch-technischem Niveau auf dem sich ausnahmslos alle Musiker befinden, was diese Aufzeichnung herausragend macht, sondern auch die Flexibilität des Aufeinanderreagierens, die bemerkenswerten Soli und die Dynamik des Gruppensounds.

Die drei von der FMP vergebenen Auftragskompositionen an Misha Mengelberg, Steve Lacy und Evan Parker unterscheiden sich in ihren kompositorischen Vorgaben recht deutlich. Bei Mengelbergs "Alexanders Marschbefehl" ist das Thema sehr genau notiert und dient als AusIöser für die Improvisation (speziell bei Parker und Schlippenbach). In "Rumbling" von Steve Lacy sind drei unterschiedlich strukturierte freie Teile von grob fixierten Orchester-Motiven umrahmt. Evan Parkers DoppeI-Stück "Into The Valley…..Of Dogs, Dreams And Death" sind so bezeichnete 'Fahrplanstücke'. Nur der Ablauf des Stückes ist durch Vorgaben festgelegt: WeIcher Musiker wem nachfolgt oder wer mit wem zusammen spieIt, wann das ganze Orchester aufgerufen wird etc. Dem Interpreten ist es weitestgehend selbst überlassen wie und in weIcher Länge er seinen Beitrag einbringt. Wie Monk auch klingen kann, zeigt Schlippenbachs Arrangement von "Evidence".

Eine spätere Einspielung des GUO ("Pearls", vom November 1975, FMP 0380), nun in großer Besetzung, verdeutlicht nochmals die stilistische Breite, die ab dieser Zeit zur Verfügung steht. Im Rückblick ist die konsequente Entwicklung des GUO an Hand der Plattenaufnahmen feststellbar, doch vor einem Viertel Jahrhundert war jedes Konzert ein Ereignis. 'Globe Unity' war damals Programm. Unter diesem Signum traf sich die holländische-, britische-, deutsche Free-Jazz-Szene wie in einem Labor zum freien Experimentieren. Die flexible Struktur des Orchesters erlaubte Konstellationen, die, vorher nicht wägbar, oft zu hinreißenden musikalischen Diskursen führten. Von den Auftritten des GUO verstört, blieben auf Jahre viele Kritiker. Einigen gelangen bemerkenswerte Titulierungen ihrer Höreindrücke: "Repertoire des Schreckens", "Intolerable Kakophonie", "Wenig für wenige". Recht behieIt derjenige dem einfiel: "Mit Verspätung zum Erfolg".

Zwanzig Jahre war das GUO aktiv und ist bis heute offiziell nicht aufgelöst. Große Tourneen durch Asien und die USA und ca. 10 LP's gehören zur Orchestergeschichte. Die Wiederveröffentlichung dieses Konzertes (bisher auf FMP 0220 und 0270), nun in richtiger Folge, bietet endlich auch eine adäquate akustische Wiedergabe. Was bislang vor allem beim vollen Orchestersound, entgegen des Konzerthöreindrucks in den Rillen der Schallplatte verloren ging, ist jetzt differenziert und präsent hörbar, wie auch der Hund 'laut' wurde. Um diese Zeit herum muss sich das 'W. C. Fields-Syndrom' bei Jost Gebers entwickelt haben.

Vorbei (hoffentlich) die Zeit in der Besuchern des Workshops beinahe alles erlaubt schien. Unverschämt viele Instrumentenkofferträger glaubten vom 'frei' verlockt, jederzeit mitspielen zu müssen, besonders die 'hausgemachte Flöte' hatte Konjunktur. Die Anzahl der mitgeschleppten Kleinkinder widerlegte den Satz vom Aussterben. Die frühkindliche Gehörbildung brachte jedoch keine nennenswerte Steigerung der Zuhörerzahl in späteren Jahren. Der Boden der Halle war Picknick- und Schlafplatz zugleich. Die Bestuhlung wieder drin, oder schon wieder draußen? ("Im Stehen hört man besser!") Der Workshop "um Ostern herum" auf Jahre fest gebucht. Der diesjährige 22. mitten im Sommer! Wo soll das hinführen?

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