FMP/FREE MUSIC PRODUCTION - An Edition of Improvised Music 1989-2004

FMP CD 30

Caroline Mähl

 

Weibliche Intuition

"Ich bearbeitete das Piano so laut und hart,
dass sich alle umdrehten und mich anstarrten"
Lil Hardin Armstrong

Cecil Taylor mit Friedrich Gulda oder Mary Lou Williams, Keith Tippett mit Stan Tracey oder Howard Riley, Alex Schlippenbach mit Martin Theurer oder Aki Takase, Bernd Köppen und Karoly Binder - die Liste der improvisierenden Klavier-Duos (soweit überhaupt dokumentiert) ist noch nicht sehr lang. Möglicherweise auch deshalb, weil es, wie Paul Bley sagt, für einen Jazzmusiker schon schwer genug ist, einen guten Flügel zu finden - von zweien ganz zu schweigen. Andererseits ist das Klavier auch eines der am meisten "autarken" Instrumente. Für die Begleitung haben Pianisten/ innen die linke Hand, sie sind nicht unbedingt auf Hilfe von außen angewiesen und müssen weder einer Band noch irgendeiner Clique angehören. Die durch das Klavier mögliche Unabhängigkeit ist vielleicht einer der Gründe, warum sich im Verlauf der Jazzgeschichte so viele Frauen diesem Instrument verschrieben haben. Wenn man will, kann man es allein spielen, mit oder ohne Billigung der männlichen Kollegen, während es eine Tubaistin zum Beispiel! solistisch eindeutig schwerer hat. In der Vergangenheit sind wichtige Beiträge weiblicher Musiker in der Männer dominierten Jazzwelt fast immer bagatellisiert worden, und die Jazzforschung hat gerade erst begonnen, das Bild gerade zu rücken. Linda Dahls Buch Stormy Weather ist ein Schritt in die richtige Richtung. Es sind auch nicht nur Feministinnen, die in der Pianistin Lil Hardin Armstrong die gestaltende Kraft hinter "Satchmos" Hot Five sehen. Wenn man darüber eine Zeitlang nachdenkt, beginnen die Ursprünge des Jazz ein anderes Gesicht anzunehmen.

Im männlichen Jazz-Journalismus dagegen findet man immer noch zu oft Beispiele ausgesprochener Borniertheit (so etwas sexistisch zu nennen, würde es interessanter machen als es ist? Roy Carr, Brian Case und Fred Dellar beispielsweise betiteln in ihrem hoch gelobten Buch The Hip (1986) ein Kapitel über weibliche Keyboarder "Kittens On The Keys" und können sich das reiche Angebot an ausgezeichneten Pianistinnen nur so erklären: "Vielleicht hatte die Vorstellung von einem Mädel aus gutem Hause, das in einer zwielichtigen Absteige ordentlich aufdrehte, für die Männerwelt etwas Erregendes".

Vor nicht allzu langer Zeit wunderte sich ein Journalist in Jazzthetik, dass Marilyn Crispell so harte Musik spielen und dabei doch "sehr feminin" bleiben könnte. In Äußerungen wie dieser wird eine Auffassung vom Wesen des neuen Jazz sichtbar, die in einigen Punkten zumindest fragwürdig ist.

Journalisten argumentieren im allgemeinen, Marilyn Crispell und Irène Schweizer seien beide von Cecil Taylor beeinflusst (dem würden sie sicherlich jederzeit zustimmen) und daher weibliche Vertreter einer "maskulinen" Ästhetik. Männlichkeit aber lässt sich, da keine absolute Qualität, nicht eindeutig definieren, und Taylor, der "die Sprünge von Tänzern im Raum" imitiert, ist ein Klang-Poet, "furiously singing in delicate tongues" (wie Marilyn Crispell ihn in einem Gedicht beschreibt), und kein Wein-Weib-und-Gesang-Jazzer der alten Schule. Und wenn man Musik schon unbedingt geschlechtliche Merkmale zuschreiben muss, was ich für eine ziemlich hirnverbrannte Beschäftigung halte, aber tun wir es um des Themas willen einfach mal - könnte man da nicht ebenso gut schlussfolgern, dass von allen Jazzrichtungen der Free Jazz mit seinen unberechenbaren und immer knapp unter der Oberfläche brodelnden Emotionen, den sich häufig wiederholenden Höhepunkten, eigentlich die am meisten weibliche Form ist? Oder, wenn man statt der intuitiv/ekstatischen eher die diskursive Variante der Improvisation bevorzugt - ist ihre Gesprächigkeit, ihr "Ich hab' ja soviel zu erzählen" nicht auch im wesentlichen weiblich?

Die Sängerin Maggie Nichols, die viel mit Irène Schweizer zusammen gearbeitet hat, meint: "Mich faszinieren die unterschiedlichen Stimmungen, die blitzschnellen, sprunghaften Änderungen, die Frauen durchmachen. Frauen sind mehrdimensional angelegt, sie können auf mehreren sich widersprechenden Ebenen gleichzeitig leben." Gute Referenzen für eine Improvisatorin - wenn sie spielen kann. Diejenigen, die wir zu hören bekommen, können das, weil die Initiationsriten und der Kampf um Akzeptanz für eine Frau einfach härter sind. Sie muss immer ein bisschen kompetenter, der Herausforderung noch ein bisschen besser gewachsen sein. Irène Schweizer und Marilyn Crispell haben das unzählige Male bewiesen Entsprechend gewürdigt wurde es nicht immer. So war es zumindest ermutigend zu hören, dass das London Jazz Composer's Orchestra Irène Schweizer anlässlich ihres 50. Geburtstags Anerkennung gezollt hat, denn in den Annalen des europäischen Jazz taucht sie viel zu wenig auf. Als Frau und als eingefleischte Individualistin hat sie nie so recht in die bestehenden "Klubs" passen wollen ...

Und wenn man zurückblickt - waren die »polemischen Reden von der "Emanzipation" des europäischen Jazz nicht zum großen Teil nur territoriale Spielereien kleiner Jungs? Während viele (nicht alle) ihrer männlichen Kollegen herumstolzierten und behaupteten, aller Fesseln ledig zu sein, die sie mit Amerika verbanden (wobei das, was man von ihnen zu hören bekam, fast immer auf das Gegenteil hindeutete) hat Irène Schweizer immer offen zu ihren afro-amerikanischen Inspirationsquellen gestanden. Monk, McCoy, Cecil, Dollar Brand - das sind die vier Eckpfeiler ihrer stilistischen Basis. Sie ist vor allem eine stark rhythmisch orientierte Spielerin, und die sichere Beherrschung des Rhythmus ist eine in ihrem Spiel immer spürbare Kraft. "Frei" bedeutet für sie niemals "abstrakt" oder "blutleer".

In einem Interview mit Graham Lock (The Wire) meinte Marilyn Crispell: "Ich liebe es, gegen Rhythmen zu spielen, meine eigenen Rhythmen mit einem anderen starken Rhythmus zu kontrastieren." In Irène Schweizer hat sie dafür eine adäquate Partnerin gefunden. Auf diesen Aufnahmen ist die rhythmische Interaktion so ausgeprägt, dass man an vielen Stellen fast an ein Schlagzeug-Duett erinnert wird.

Diese Musik ist ausgelassen und immer in Bewegung, voller pulsierender, flirrender, körperlich -sinnlicher Rhythmen und wilder Synkopierung - ein Tanz.

Was nicht heißen soll, dass ihr die intellektueIle Komponente fehlt. Hier ist auch eine Menge Überlegung und EinfalIsreichtum im SpieI. Schweizer und Crispell umkreisen einander, weichen aus und treffen sich im nächsten Moment in schier unmöglich scheinendem Unisono, bauen wunderbare Gegensätze auf, malen zusammen pointillistische Klangbilder. Besonders interessant ist das ideenreiche Spiel im Flügel, ein Bereich, mit dem sich Marilyn Crispell bei Anthony Braxton seIten beschäftigen kann, "weil obendrauf immer eine Tonne Musik sitzt". Irène durchsetzt die Improvisation mit Verweisen auf die gesamte Jazztradition, und Ragtime und Boogie-Woogie, die hier mehr als nur flüchtig zitiert werden, verleihen dem chromatischen Spiel Marilyn CrispeIls mitunter einen surrealen Beigeschmack. Die Klarheit der Musik gehört zu den herausragendsten Eigenschaften dieses Duos. Im allgemeinen produzieren Klavier-Duos - und dies gilt besonders, wenn Energie stärker im Vordergrund steht als Lyrik- eine gehörige Portion Schwammigkeit, was sich bei vier fieberhaft hämmernden Händen auch nur schwer vermeiden lässt. Hier dagegen wird mit geradezu unheimlicher Präzision zusammengespielt, und es verblüfft immer wieder, in weichem Maße beide in der Lage sind, die Aktionen der anderen selbst bei rasender Geschwindigkeit vorauszuahnen.

Weibliche Intuition? Ein nützliches Hilfsmittel bei der Improvisation - nur eines von vielen hier, sicherlich, aber unterschätzen solIte man es nicht.

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