FMP/FREE MUSIC PRODUCTION - An Edition of Improvised Music 1989-2004

FMP CD 28

Hanno Rempel

 

Cecil Taylor spielt Klavier solo - das geschieht, abgelesen an den mehr oder weniger zufällig entstandenen Schallplattenaufnahmen, seit der zweiten Hälfte der sechziger Jahre, häufiger dann in den Siebzigern. Dieser Trend halt an, bis heute. Parallel zu dieser, mehr äußeren und quantitativen Eingrenzung seiner Aktivitäten vom Ensemble- auf das Solo-Spiel zeigt sich dabei ein neuer Zug in seiner Musik, in seinem Spiel, der bis dato nur als Element, mehr am Rande erschienen war. Es handelt sich um einen kontemplativen Charakter, um einen gewissen Lyrismus, der mit der traditionellen Jazz-Ballade, an die man bei der Nennung dieser Vokabeln denken mag, nichts zu tun hat. Hier scheinen Anklänge an Claude. Debussy, an Maurice Ravel, besonders an Alexander Skrjabin eine Rolle zu spielen, die von Taylor in sehr persönlicher Weise umgeformt werden, mehr letzterem eigen sind als eventuellen fernen oder ferneren Vorbildern.

Dieser kontemplativ-lyrische Zug kommt in seinen Solo-Aufnahmen besonders zum Tragen - nicht, dass er ihn in seiner Ensemble-Musik nicht durchsetzen würde bzw. könnte (Taylor ist aufgrund seiner persönlichen Ausstrahlung, seiner unglaublich intensiven psycho-physischen Energie beim Spiel in der Gruppe immer dominant), - nein, es scheint, Taylor fühle sich beim Ensemble-Spiel stets dazu provoziert, andere Mittel zu benutzen, Mittel, die geeignet scheinen, seine Mitspieler vor sich herzutreiben bzw. hinter sich herzuziehen, wie man das immer benennen will.

Dabei greift er vorrangig zu den seit den endfünfziger Jahren entwickelten anderen, kräftigeren, manchmal fast ,,gewalttätigen" Mitteln, zu geballten Klängen, zu komplexen Rhythmen, die die Basis für sein hochenergetisches Spiel bilden. Seine Mitspieler sind dem, man könnte fast sagen, ,,auf Gedeih und Verderb" ausgeliefert.

Und damit' ist auch der Hauptzug seiner Musik angesprochen, der expansive, eruptive, expressive, ekstatische, den er (gleichzeitig neben den neueren, mehr lyrischen Elementen) bis heute mit stets zentraler Bedeutung für seine Musik beibehalten hat. Das bedeutet: seit den späten sechziger Jahren hat eine grundsätzliche Erweiterung seiner Musiksprache stattgefunden, nicht jedoch ein grundlegender Wandel. Dahinter steht das Festhalten an den um 1960 entwickelten Qualitäten; dieses Festhalten bedeutet eine ungeheure Konsequenz in Stil und Methode. Dabei handelt es sich nicht um ein konservatives oder sogar reaktionäres Verharren auf einmal errungenen Positionen. Denn: Taylor hat vor circa dreißig Jahren einen derart enormen Schritt nach vorn getan, der es ihm erlaubt, mit jenen (statistisch-rechnerisch) etwa drei Jahrzehnte ,,alten" Mitteln heute noch eine ,,junge" Musik zu machen.

Seit Mitte der fünfziger Jahre betrieb er eine konsequent avancierte Jazzmusik, deren Anfänge sich ziemlich genau 1960 zu einem sehr eigenständigen und unverwechselbaren, für die Jazzgeschichte qualitativ neuartigen Klavier- und Musikstil verdichteten. Seinen Ideen zu eng geworden, warf er das traditionelle Chorusprinzip über Bord, setzte die bis dahin allgewaltige Dominanz von Harmonie und Takt außer Kraft. Erstmalig vollgültig dokumentiert ist dieser neue Stil, diese neue Musik auf der LP "The World of Cecil Taylor" von 1960, auf welcher die traditionell agierende Rhythmus-Gruppe mehr stört als stützt.

Diesen Grundprinzipien, ohne periodische Chorusbindung, ohne metrische und tonale Korsettstangen Musik zu machen, ist Taylor bis heute konsequent treu geblieben. Er hat sich trotz ökonomischer Notlagen, trotz nicht selbst verschuldeter künstlerischer ,,Abseitsstellungen" nie einer attraktiv scheinenden Mode hingegeben, nie eine lukrative Rückwendung zu traditionellen, in sich historisch bereits abgeschlossenen Stilrichtungen betrieben, wie es zahllose seiner Kollegen, darunter auch viele ehemalige Avantgarde Musiker, aus welchen Gründen auch immer, getan haben.

Der Vorwurf, der Taylor gemacht wurde, sich seit den sechziger Jahren nicht oder nur unwesentlich verändert zu haben, wird zum Kompliment. Taylor war in den sechziger Jahren seinen Kollegen, vor allen den Klavierspielern, so weit voraus, dass er im ersten Jahrzehnt seines Wirkens kaum Nachahmer gefunden hatte, von einer ,,Taylor-Schule" ganz zu schweigen. Von diesem Vorsprung konnte er lange zehren. Er kann es bis heute immer noch, wenn auch in einem gewissen Maße eingeschränkt, da sich mittlerweile, besonders in Europa, neue Spiel- und Improvisationsweisen und -Modelle entwickelt haben. Das soll Taylors Verdienste in keiner Weise schmälern; vielmehr hat sein Beispiel wesentlich zum Anstoß einer eigenen europäischen Entwicklung beigetragen. Dieser Anstoß ist in den letzten Jahren durch persönliche Anwesenheit (besonders in Berlin) noch einmal bestätigt und intensiviert worden.

Von amerikanischer und gleichzeitig auch von europäischen Warte aus gesehen: Taylor ist nicht zu übertreffen. Man kann seiner Musik lediglich Alternatives, ganz Andersartiges zur Seite stellen, um bestehen zu können, sich aus der Faszination seiner Musik zu lösen.

Um auf den angesprochenen Vorwurf zurückzukommen: vieles, was Taylor in den sechziger Jahren entwickelt hat und heute noch betreibt, ist avancierter und zukunftsträchtiger als das, was sich später (vor allem in den siebziger und in den achtziger Jahren) als ,,neu" und ,,modern" ausgab, in Wirklichkeit jedoch nur tages-aktuell und modisch gewesen ist. Und: verändert hat sich Taylor trotzdem, allerdings innerhalb der Grenzen, die er sich bewusst selbst gesetzt und eingehalten hat.

So sehr Taylor ,,nach vorn gewandt" Musik gemacht hat und macht, ist er doch daneben auch an Traditionen gebunden. Er taucht dabei in bestimmte Traditionen ,,ein", jedoch niemals taucht er in ihnen ,,unter". Ohne den Blues, ohne den Boogie-Woogie wäre sein Spiel in der konkret vorliegenden Form nicht denkbar, ohne dass seine Musik jemals auf eine direkte Weise wie ,,Blues" oder ,,Boogie-Woogie" klingen wurde. Er arbeitet Tradition nicht im Sinne von Stil-Zitaten oder -Imitationen auf, er bezieht sich vielmehr auf eine sehr vermittelte Weise auf Traditionelles - ähnlich etwa Arnold Schönberg oder Anton Webern, deren Musik der der europäischen Klassiker äußerlich kaum ähnlich klingt, mit ihr aber in einem tieferen geistigen Sinne mehr gemeinsam hat als die derjenigen ihrer unmittelbaren Zeitgenossen, die in Form von Stil-Zitaten Anleihen bei Bach/Haydn/Mozart/Beethoven/Schubert vorgenommen haben. Zu den konkreteren Quellen, die Taylor verarbeitet hat, zählt Klaviermusik vor allem von Bela Bartok, ferner von Igor Strawinski, vor allem aber hat er im engeren Bereich des Jazz an Art Tatum und an Thelonious Monk angeschlossen, deren extrem gegensätzliche Spielweisen er zu einem neuen Ganzen zu verbinden wusste - die technische Brillanz und Sicherheit Tatums mit den ,,Ecken" und ,,Kanten" aus Monks Spiel verknüpfend.

Viele der Elemente in Taylors Spiel sind von anderen erstmalig verwendet und entwickelt worden, vielfach außerhalb des Jazz. Doch hat er diese verschiedenen Elemente in einen neuen Kontext gefügt. Damit schuf er nicht nur eine neue Art von Klavierspiel, die weit über die stilistischen und historischen Grenzen des Jazz hinausgeht, sondern auch einen neuen Typus von Jazz - zwar nicht allein, doch weitaus gewichtiger und maßgeblicher, als es zahlreiche Musikhistoriker wissen wollen.

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