FMP/FREE MUSIC PRODUCTION - An Edition of Improvised Music 1989-2004

FMP CD 25

Bert Noglik

 

Noch in Erinnerung: die mehrwöchige Arbeitsphase Cecil Taylors im Sommer 1988. Die illuminierten Nächte. Die sanfte Gewalt der Musik. Berlin. Spaziergänge durch den Tiergarten. Der Nachklang der Musik im Ambiente und in uns. Als letztes Konzert einer Folge von Ereignissen: das Duo Cecil Taylor & Tony Oxley. Furioser Ausklang und Hinweise auf Weiterungen, Folgerungen.

Schnitt. Ein anderes Jahr, eine andere Jahreszeit, November '89. Total Music Meeting, eine Triade von Ereignissen: Cecil Taylor solo, The Feel Trio und das Quintett Corona. Mitnichten ein Machtspiel; ein work in progress. Eine Woche vor Öffnung der Mauer (was zu diesem Zeitpunkt keiner ahnen kann) kommen auf der Bühne des schon verfallenden Quartier Latin drei Hohepriester der neuen Musik zusammen. Doch es ist dies keine zufällige Kreuzung ihrer Wege, The Feel Trio ist das, was man eine arbeitende Gruppe nennt. Das Wissen um die gemeinsamen Möglichkeiten schließt den Einbruch des Unerwarteten, den Aufschwung in das nicht Voraussagbare ein. Es geht spielerisch zu: ein Blick ein Lächeln, ein Grinsen, ein Runzeln der Stirn. Feinste Andeutungen genügen - als Feedback oder Steuerung des Prozesses. Es geht ernsthaft zu: jeder Schlag, jeder Klang, jede Pause ist Hinweis auf musikalische Folgerungen. Schlussfolgerungen. Endspiel. Nichts kann und soll zurückgenommen werden. Jeder Ton gilt. Das hier ist es und nichts anderes. So wie Liebende, die spielerisch begannen und plötzlich erkennen: das ist kein Spiel mehr. Erschrocken und überwältigend. Verzaubert und doch ganz und gar in die Realität versetzt. Plötzlichkeit als eine zentrale Erfahrung improvisierter Musik.

Schnitt. Im Frühjahr '90 ist Cecil Taylor wieder in Berlin, um mit Jost Gebers Projekte zu besprechen. Er ist begierig, die Bänder zu hören. Es geht ja nicht darum, sagt Taylor sinngemäß, dass einer ein schönes Solo spielt und dann gut begleitet. Taylor benennt das Naheliegende, das Offenkundige, das Unüberhörbare. Es geht um einen gemeinsam gestalteten Prozess, um Kontinuität. Gemeinsame Steigerungen, Potenzierungen. Zugleich bleibt die stellenweise überwältigende Dichte durchaus durchhörbar. William Parker mit seinen arco-Finessen. Tony Oxley mit seiner klangsensiblen, Raum schaffenden Spielweise. Cecil Taylor mit seinen aus Motiven gewobenen Großformen. Eine organisch wachsende Musik, die die Sinne herausfordert und den Intellekt in Vibrationen versetzt.

Schnitt. Gespräch mit Cecil Taylor. Eine Kneipentour durch Berlin ohne Endstation. Einzelne Sätze, die sich in der Erinnerung festgekrallt haben. Cecil Taylor über William Parker: Einer der am meisten unterbewerteten Bassisten. Lakonisch dahin gesprochen und doch einer Ernennung in den Adelsstand gleichkommend. Und über Tony Oxley zitiert Cecil Taylor seinerseits William Parker, der gesagt hat: Wir sollten ihn kidnappen. Aus allem spricht das Bewusstsein für die Einmaligkeit dieser Konstellation. Festgehalten zum Atemanhalten. Spielerisch und doch wie das entsetzte Gewahrwerden von Liebenden: das ist kein Spiel mehr. Ein Beitrag zur Klangsprache der Gegenwart, aber vor allem doch Mut zum Fühlen. Mithin eine Verschwörung. Nichts anderem verpflichtet als der Plötzlichkeit.

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