FMP/FREE MUSIC PRODUCTION - An Edition of Improvised Music 1989-2004

FMP CD 19/20

Richard Cook

 

Es gibt nicht viel, was man auf einem Saxophon nicht machen kann; oder auch auf einer Klarinette. Während diejenigen, die sich über derlei Dinge den Kopf zerbrechen und besorgt fragen, welche Richtung der Jazz als nächste einschlagen wird; ob das Improvisieren am Ende sei; oder ob es etwas ,Neues' zu sagen gäbe, sind die Praktiker auf den Instrumenten der Saxophonfamilie unbeirrt dabei, frische Zungenschläge zu entwickeln, in denen sie miteinander reden können. Das Saxophon hat schon immer eine besonders vokalistische Rolle zu spielen gehabt. Bereits die Hornspieler der zwanziger Jahre haben mit ihren übertriebenen Schlagzungen-Methoden ihre Instrumente knacklautender, stimmritziger, menschlicher klingen lassen als die Kollegen in der Band die ihrigen. Man konnte hören, wie der Ton durch den Korpus des Instruments moduliert wurde, indes die Kiefer und Lippen und die Zunge die Phrasen formten. Die Musiker waren bereits Expressionisten.

Albert Ayler, der große amerikanische Saxophonist der sechziger Jahre, ließ die übliche Saxophontechnik links liegen und erarbeitete dem Instrument ein dichtes, neues Vokabular: gespaltene Töne, Schreie, aus einer einzigen herausplatzenden Linie gebildete Phrasen, die er spielte, bis die Lungen leer waren. In Wuppertal folgte Peter Brötzmann weitgehend demselben Kurs, wenn auch in weniger tragische Extreme von Pathos und Melancholie. Man könnte sagen, dass nach Jahren glatter Bebop-Virtuosität die Saxophonisten dem Horn die menschlichen Züge zurückgewannen, seine irrationale, seine Schweiß- und- Tränen- Seite. Die Extreme, wie Albert und Peter sie berührten, hat seither vielleicht kein anderer Spieler wieder so durchstöbert. Doch die meisten Forschungsreisenden unter den Improvisatoren haben ihre Entdeckungen soweit verfeinert, umgestaltet und erweitert, dass sie ihren eigenen Ansprüchen genügen, und bei diesem Prozess haben sie ihre eigenen Sprachen gefunden.

Die Musik der Duette könnte in irgendeiner gebräuchlichen Saxophonsprache als Elementarschule gelten. Tenor, Soprano und Sopranino auf der einen, hohen Seite; Bassklarinette und die prachtvoll gewichtige Kontrabassklarinette auf der anderen. Und doch klingen Instrumente, die scheinbar weit voneinander entfernt sind, manchmal entwaffnend gleichleibig. Man lausche etwa den Linien von ,Ducking And Diving', wo Tenor und Sopranino so eng schatten boxen, dass die Instrumente in Timbre und Bewegung wie eines klingen. So fern das Sopranino von der Kontrabassklarinette auch steht, die Holzblasinstrumente finden immer noch einen gemeinsamen Boden, eine Art Familienidiom. Bei Blattbläsern ist es heute Brauch, auf andere Instrumente zurückzugreifen. Der auf ein Instrument sich beschränkende Improvisator, wie etwa Steve Lacy, ist eine seltene Erscheinung. Ein Spieler, der Fertigkeiten auf einem Angehörigen der Familie erlangt, verspürt fast immer den Drang, noch ein anderes Horn auszuprobieren. Manche, wie Anthony Braxton, Roscoe Mitchell oder Vinny Golia, wechseln die Instrumente fast wie besessen. Doch das Selbst über die Tonhöhenumfänge der Saxophonfamilie hinweg nicht einzubüßen, ist schwieriger, als das Beherrschen der Fingertechnik. In diesem Dutzend von Duetten, deren jedes einen verblüffenden Grad an Virtuosität erreicht, provozieren und parieren vier Charaktere sich ihren Weg durch Wortwechsel, die nicht weniger wütend und schlagfertig sind als alles, was seit jenen ersten Sprachlektionen von Ayler und Brötzmann gesagt worden ist. Es gibt einzelne Beiträge von außerordentlicher Kraft. Wolfgang Fuchs macht aus der bislang unmöglichen Kontrabassklarinette eine gefügige Bestie, indem er in den unterirdischen Tiefen des Instruments Bereiche von Tanz und Filigranwerk erschließt, die nicht einmal Braxton entdeckte. Hans Koch entlockt dem Soprano einen gereizten, aufgestörten Ton, als würden Funken aus urzeitlichen Feuersteinen geschlagen, und seine Zwiesprache mit Evan Parker in ,Birds Of Prey' hat für den aufmerksamen Hörer eine schwindelerregende Vielgestaltigkeit. Parker selber, der angesehenste unter den zeitgenössischen Saxophonvirtuosen, ist ein Grundpfeiler in dieser Musik. Die von ihm entwickelten Techniken haben viele Saxophonisten zu gipfelstürmerischem Nachsteigen angespornt, und alles Improvisieren auf diesen Aufnahmen klingt geprägt durch seine Entdeckungen. Louis Sclavis ist jemand, der zuhause ist in beidem: Improvisation und Komposition oder deren Verschmelzung. Sein Interesse an der Klarinettenfamilie ist erfrischend. Er ist Parker im Eröffnungsduett, dem längsten von allen, Schlag auf Schlag gewachsen, und mit seiner labyrinthischen Struktur und quirligen Entwicklung ist dieses Stück tonangebend für die ganze Session. Die meisten dieser Stücke sind lang. Die drei Nachrichtenansagen von ,Strongly Weather' sind wie eine einzige Drehbühne, die weiterrückt, wenn Sclavis und Koch die Instrumente wechseln, indes die anderen Improvisationen die Möglichkeit des Dialogs in oftmals zungenbrecherischem Tempo erkunden. Es gibt wenige ruhige Aussagen und noch weniger, wo langen Noten und Tönen nachgegangen wird, bevor springende, erregte Bewegungen einsetzen. Die wirbelnden Moleküle von, Helmholz' sind typisch. Gelegentlich kommt es zu scharfem Kontrast, so zwischen Sclavis und Fuchs in Teilen von ,Schwalbe', aber häufiger flitzen die Spieler umeinander, ineinander und voneinander fort.

Es ist eine Menge Musik, ein langes und anspruchsvolles Programm, doch alles, was ihr als dritte Partei mitbringen müsst, sind offene Ohren für diese Reden in Zungen.

Übersetzung: Wulf Teichmann

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