FMP/FREE MUSIC PRODUCTION - An Edition of Improvised Music 1989-2004

FMP CD 16

Steve Lake

 

GUT BEIEINANDER
9. JULI '88

"lch glaube, wir sind wie Vögel. Jeder singt
wirklich sein eigenes Lied, egal in welchem
Medium, und immer singt er irgendwie das
gleiche Lied."
Paul Bowles

Cecil Taylor, der sein Lied mit größerer Sicherheit kennt als die meisten von uns, hat in den letzten Jahren begonnen, es auf die Probe zu stellen; ein Geist der Neugier treibt ihn, neue Kontexte ausfindig zu machen, zu prüfen, wie er in ihnen überleben und gedeihen könnte, was er lernen könnte.

Von den sechs Duo-Konzerten, die Taylor im Sommer '88 in Berlin spielte, war diese Begegnung mit Derek Bailey das gewagteste Unternehmen. Mit den verschiedenen Trommlern, deren Partner er in der Konzertreihe war, war ein gewisses Maß gemeinsamen Bodens ihm so gut wie sicher: Bei den perkussiven Fähigkeiten des Pianisten stand zu vermuten, dass die Kombinationen sich zumindest auf rhythmischer Ebene als kongruent erweisen würden. Aber welche Eigenschaften teilte dieser emotional so intensive Spieler mit Derek Bailey, diesem trockenen, ulkigen Mann aus Yorkshire, dem Anstifter des "abstrakten ", "freien " Gitarren-"Stils"? Hartnäckigkeit? Ja - auch Bailey kennt sein Lied -, doch das war zunächst wohl noch keine ausreichende Basis für musikalische Verständigung. Trotzdem, das Konzert war Cecil Taylors Idee. "lch hatte Derek Bailey spielen gesehen", sollte er am Tag nach der Veranstaltung nachdenklich sagen, so als sei er noch immer verblüfft über die Resultate, "und ich wusste, dass da was drin war, womit ich würde arbeiten können."

Zu Beginn der Aufnahme spielt Bailey ein paar ungewöhnlich schöne Figuren, er lässt die Töne klingen, lässt Oberschwingungen zusammen in der Luft singen. Taylor antwortet mit knurrendem vokalen Brummen und ersticktem Gurgeln. Eine geraume Zeit vergeht, bevor er sich dem Flügel auch nur nähert. Mit gekreuzten Beinen auf einer Seite der Bühne sitzend, breitet er vor sich im Halbkreis poetische Texte aus, liest ein paar Bruchstücke vor, fast wie für sich, so als nähme er sie aus der Sicht verschiedener Darstellerstimmen wahr. Sein Ton ist nacheinander nörgelnd, erbittert, entrüstet, komisch-pompös, überrascht. Er hat eine kleine Zitterstimme, die klingt wie Ezra Pound in Spoleto, und eine andere, die wie eine Parodie auf John Cage klingt, wenn er "Empty Words" vorträgt (aber das ist sicher keine Absicht). Er nuschelt, kollert, zwitschert, summt, meckert und brummt. All dem gegenüber bleibt Bailey höchst gleichgültig. Der Gitarrist scheint weiter in seine eigene musikalische Sprache hineinzugehen, in jene saitenverschlungene, nach all den Jahren noch immer unergründliche Welt, so als gäbe es genügend Probleme zu lösen, bevor man sich mit "Theater" einlässt. (Mein Eindruck, aber vielleicht irre ich.) Taylors onomatopöische Geräusche - onomatopoetische nennt sie entweder Spencer A. Richards oder ein Druckfehler in den Liner notes für "Live in Vienna" - bewirken ansteckendes Husten im Publikum, und Bailey spaziert auf der Bühne umher: lässt den Klang seiner akustischen Gitarre von den Rückwänden widerhallen, probiert verschiedene Attacken, hart hämmernd, zurückweichend, abgewürgte Cluster spielend. Er schiebt sein Plektron ein paar mal längs über die Saiten, ein Geräusch, das Taylor langsam auf die Beine zieht. Cecil geht zum Flügel, greift in dessen Innereien, zupft und kratzt...

Hier, mit Taylors Entscheidung, Baileys Terrain zu betreten, fängt der Ernst des Duetts eigentlich erst an. Taylor, was erstaunlich ist, übernimmt die Rolle des Begleiters. Die Improvisation wird ein längeres Stück für Gitarren (Bailey steigt unterwegs auf die elektrische um), erweitert um das Innere des Flügels. Anfangs lässt Taylors Spiel an verschiedene Vorposten der Weltfolklore denken: flamenco-artiges Drummeln (das Bailey später ausführlicher behandeln wird), spitzes Zirpen wie von der Koto, die er während seines jüngsten Aufenthalts in Japan gehört haben muss. Mit großer Präzision spielt Taylor mit der Rechten ein paar sehr schnelle Triller, während er jeden Ton mit der Linken auf den Saiten dämpft, solchermaßen für wenige Sekunden ein paar "Klavichord" Farben in die Musik werfend. Nach einer Weile beginnt der Pianist, noch immer hingebungsvoll zupfend, sich Baileys gebrochenen Gitarren Rhythmen anzunähern, bis er ihnen so nahe kommt, dass Unterscheidung schwierig wird; er dringt ein in deren Netz und Gewebe. (Es scheint lange her zu sein, seit jemand so überzeugend mit Bailey gespielt hat: man müsste wohl zurückgehen zu den Tagen, als Evan Parkers Soprano der häufige Gefährte seiner Feedback-Linien war...)

Während Bailey sich in der elektrischen Gitarre breit macht - das Summen seines Verstärkers erinnert uns daran, dass es so etwas wie Stille nicht gibt, nicht einmal in der neuen, verbesserten, noch unbetretenen CD-Welt-, kehrt Taylor zurück zu dem Lied, das er am besten kennt, und die Energie gewinnt an Kraft, als er auf der Tastatur ist. Hier kommt mir vor, dass das "Etwas", das Cecil Taylor in Baileys Spiel hörte, ein Zusammenhang gewesen sein mag, den er zwischen des Gitarristen Art, rhythmische Akzente zu verlagern, und seiner eigenen Beziehung zu Monks Musik und deren teppichzerrenden rhythmischen Verschiebungen empfand. Das ist vielleicht weit hergeholt, doch als die Musik sich zur Heimreise aufmacht, spielt Taylor ein paar schöne, schiefe Melodien, sehr monkmäßig in ihrem übermütigen Schritt, und Baileys Begleitung (von hier an sind die Rollen vertauscht), stolpernde Stakkato-Diskorde, passen perfekt dazu.

Die abschließenden Momente umschweben einen Regenbogen der Verheißung. Das ist Improvisation feinsten Tuches, luzid und verletzlich. Die Musiker, angespannt lauschend, drehen sie hierhin, wenden sie dorthin, Anflüge kurzer Böen, verhauchenden Wehens. Bis ganz zum Schluss wissen wir nicht, wie diese Musik aufgelöst werden wird.

Die Schlusssequenz gerät zum Schönsten, was es gibt in Neuer Musik: Gitarrenobertöne explodieren in Wellchen von Klavier-Arpeggios, ein Knistern so frisch wie kleine, glockenanschlagende Hagelkörner.

Dennoch scheint es nicht unangemessen, dass die Musik mit einem letzten Ratscher eines Plektrons auf Stahlsaiten endet, mit dem Bailey sein Griffbrett abkratzt. Auch in diesem Klang liegt rohe Schönheit; eine Schönheit, wie nur ein Improvisator sie uns zeigen konnte.

Übersetzung: Wulf Teichmann

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