FMP/FREE MUSIC PRODUCTION - An Edition of Improvised Music 1989-2004

FMP CD 7

Steve Lake

 

MISHA MENGELBERG

Wörter poltern der Musik plump hinterdrein (wie ich gleich beweisen werde, keine Sorge). Die Jazzkritik, ein stumpfsinniger Rohling von besonderer Güte, schüttelt baff den Kopf, wenn so witzige Improvisation wie die der holländischen Machart die Straße hochkommt und vorbeihüpft. Holländische Machart, das ist bereits irreführend. Ich denke dabei an eine Handvoll Musiker, nicht genug, um eine „Szene" zu konstituieren, und eigentlich meine ich Mengelberg und Bennink (auch Breuker, wenn man will, obwohl ich nicht so sicher bin, dass ich seine Slapstick-Possen „witzig" nennen würde. Ist eine Torte im Gesicht witzig? Klingt wie ein Zen-Rätsel). Vor allem meine ich Mengelberg, Misha. Mengelberg, der einst der Jazzkritik Gefühl für Anstand dadurch verletzte, dass er seine Duett- lmprovisationen mit Eeko, einem rotschwänzigen grauen Papagei, auf die Rückseite von Eric Dolphys letzter Aufnahme setzte (veröffentlicht auf ICP). Doch Eric Dolphy, dessen Liebe zu Vogelgesang aktenkundig ist, hätte daraus wahrscheinlich eine Trio-Session gemacht, wenn er zu der Zeit nicht tot gewesen wäre. Nicht viel von Mengelbergs widerborstigem Sinn für Humor neigt zu simplen Gags. Ein zu gewetzter Sinn für Ironie ist da am Werk, fast die ganze Zeit, oft auf sich selbst zielend und auf die „Beschränktheit" seiner Klaviertechnik. Auch das verwirrt die Kritiker. Wo platziert man einen Musiker, einen einflussreichen Musiker, der einem versichert: „Damit keine Missverständnisse aufkommen: Ich bin ein miserabler Klavierspieler" ?

Ich habe Mengelberg im Lauf der letzten fünfzehn Jahre so oft an der Arbeit gesehen (oder beim Spielen, wie er behaupten würde), dass ich dieser angeblichen Beschränktheit misstraue. Seine Technik ist eher in der Weise beschränkt wie Monks Technik es war; also überhaupt nicht. Ich neige mehr zu der Ansicht, dass er herkömmliche Begriffe von Virtuosität, von „licks", die so lange geübt sind, bis sie einen blenden, absurd findet. Ich denke, dass ihn das nie sonderlich interessiert hat, nicht einmal in den schwierigen Jahren auf dem Konservatorium.

Wenn, wie Mengelberg behauptet hat, Improvisation ihrem Wesen nach ein „autobiographisches" Idiom ist, was könnten wir durch die Musik auf „lmpromptus" aus seiner Vergangenheit erfahren? Monk wurde bereits erwähnt, aber dessen Einfluss ist noch immer vernehmbar. (Steve Lacy, vor langer Zeit: „Wenn Technik darin besteht, keine Töne zu verschwenden, dann hat Monk mehr Technik als jeder andere." Ersetzt man Monk durch Mengelberg, ergibt das Zitat noch immer Sinn.) Auch Monks Musik klang stets wie ein vergnügter Selbstkommentar. Während aber der Bezugsrahmen des großen Thelonious gänzlich vom Jazz sich herleitete, hat Mengelberg aus allen ihm zugänglichen Quellen getrunken, allen möglichen, von Webern bis zur holländischen Leierkastenmusik.

„Für mich, und ich glaube auch für Bennink, ist Stil nicht etwas an sich, sondern im Grunde ein Argument", sagte er voriges Jahr zu Mark Sinker vom Wire. „Wir springen also musikalisch sehr schnell von unterschiedlichen Standpunkten zu anderen Standpunkten. Für Improvisatoren ist das auch eine Art mehr oder weniger schwierige geistige Gymnastik. Ich glaube nämlich, dass Improvisator zu werden, (herkömmlicher weise) nichts anderes ist als die Suche nach seinem eigenen Klang oder Stil….

In der Öffentlichkeit muss man doch immer dieselben Dinge sagen, nicht? Vielleicht sollte sich das alles von jetzt an ändern. Beschließen wir das mal. Wenn alles sich um Ehre dreht, um eine in sich stimmige Persönlichkeit, dann lass uns diese Stimmigkeit anders definieren: die Verantwortlichkeit, jeden Tag anders zu sein."

Das ist ein reizvoller Spontan-Entwurf für ein Manifest oder eine Art Aufruf zu den Waffen, doch selbst in dessen Forderung nach Abwesenheit von Stil ist Stil enthalten, und wenn wir Mengelbergs Klavier hören, erkennen wir es (in ähnlicher Weise war Kurt Schwitters als Antikünstler nie besonders überzeugend - er konnte seinem guten Geschmack nicht entkommen).

Wenn ein Musiker bei John Cage studiert und die Nichtlektionen der Indeterminiertheit intus hat - wie Mengelberg - und weiter dann mit David Tudor und der Fluxusgruppe in Amsterdam und Den Haag gearbeitet hat, ließe sich überdies argumentieren, dass er in der Entschlossenheit, „anders" zu sein, seinen Wurzeln gewissermaßen tatsächlich treu ist. In dieser Unberechenbarkeit liegt eigentlich ein (nicht unerwünschter) Sinn für Wiederholung. In einem Beitrag für das Buch zum 10jährigen Bestehen der FMP deutet er das bereits an. Ihr erinnert euch?: „Feiern dieser Art sind vielleicht ein wenig gefährlich - man denkt wohl, es sei etwas geschehen in diesen 10 Jahren -, nicht unmöglich, was aber feststeht, ist, dass wir dem Grab etwas näher sind."

Wenn bewiesen werden könnte, dass die Geschichte der freien Improvisation (oder des „instant composing", kein Unterschied) nichts weiter war als Wassertreten - was ich nicht glaube -, dann haben nur wenige unterhaltsamer getreten als Misha Mengelberg.

„ Impromptus" ist eine komische, bezaubernde, verrückt machende, bedachtsame Platte, von Rand zu Rand voller Ideen und Spuren, denen man folgen kann oder nicht. Misha Mengelberg am Klavier. Geschäft wie üblich.

Übersetzung: Wulf Teichmann

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