FMP/FREE MUSIC PRODUCTION - An Edition of Improvised Music 1989-2004

FMP CD 4

Steve Lake

 

3. JULI '88 AUSSERHALB, VON AFRIKA

Louis Moholo und Cecil Taylor hatten vor ihrer Begegnung in Berlin nur einmal zusammen gespielt, aber Taylor hatte schon lange auf eine Gelegenheit gewartet, ihre Zusammenarbeit auszubauen. Bei seinem Interesse für Trommeln und für Afrika war dieser Schritt nur logisch. Der Trommler aus dem Township Langa von Kapstadt schien wie geschaffen, um Taylors Musik einer wichtigen Quelle der Inspiration näher zu bringen.

„Cecil spielt das Klavier wie eine Trommel", schrieb Archie Shepp einmal vor langer Zeit, eine Feststellung, die heute wie eine Binsenwahrheit klingt, „...auf eine Weise, die mehr von einer Rückblende hat als von einer Vorausschau in irgendeine unheimliche Zukunft. Eine Rückblende in die Richtung der afrikanischen Einflüsse auf diese Musik."

Afrikanisch inspirierte Vorstellungen von Ruf-und-Antwort sind für Taylors Spiel fast von Anfang an ein zentrales Mittel gewesen, um das motivische Material innerhalb seines dicht geschichteten Klanges zu ordnen. In seinen Gruppen, seit den mächtigen Sessions 1962 in Kopenhagen, ist es immer wieder eine Sache der Kraft gewesen, die nach Kraft ruft; des Klaviers, das sein Echo von den anderen Instrumenten verlangt . . .

Neben seinen anderen Verpflichtungen in Berlin hatte Louis Moholo einen Workshop für afrikanischen Rhythmus zu leiten. Wie ich hörte, ist er ein guter Lehrer. Als Improvisator jedoch ist die Summe seines Spiels zu komplex, als dass jemand anderer sie als ethnisches Hilfsmittel sich nutzbar machen könnte. Moholo: „Die Leute deuten die Kraft in meiner Musik gern als reine Aggression. Offenbar spiegelt meine Musik mein Leben und die Zeit, in der wir leben - ganz zu schweigen von dem prächtigen Höllenloch Südafrika-, und also hat Aggression eine wichtige Rolle zu spielen. Aber es gibt noch viele andere Dinge, die ich sage und die gehört werden wollen. Ebenso wie das ,frei' nicht nur Aggression ist, ist ,Freiheit' nicht nur Anarchie. "

Seitdem haben seine Trommeln längst alle möglichen Methoden in sich vereinigt, einschließlich der viel gerichteten Rhythmen von solch zukunftsträchtigen Taylor-Trommlern wie Sunny Murray und Andrew Cyrille (die ihrerseits nach Afrika geblickt haben . . . der kulturelle Verkehr ist einander entgegenkommend). Immer wieder wird er als ein extrovertiert mitreißender Spieler angesehen, und jeder, der Zeuge war, wie er auf dem Kutscherbock von Ensembles wie Brötzmanns Trio oder McGregors Bigbands saß, weiß etwas von der Power seiner Peitschenhand, von dem krachenden Kantenschlag, der den eigensinnigsten Instrumentalisten wieder auf Vordermann bringen kann. Von seiner Begegnung mit Taylor erwartete man sich ein Geweihhakeln von Zwölfendern, ein dynamisches Ringen von Energien.

An diesem Punkt in der Berliner Konzertreihe war es vielleicht überheblich, noch bestimmte Erwartungen zu hegen. Cecil Taylor hatte seine Kreativität ständig auf andere Wege geschickt und dabei mit diesem jüngsten Reigen von Partnern neue Spielweisen entdeckt. In diesem Konzert war es nun Moholo, der überraschte. Durchgehend widerstand Louis den einfachen Lösungen. Nie begegnete er der Gewalt des Klaviers mit gesenktem Kopf. Stattdessen entschied er sich, den Klang des Klaviers zu detaillieren, ihm Farbtupfer und Temposchübe zu geben. Das Ergebnis war eine Musik, die sich von allem anderen in Taylors Diskographie subtil unterschied. Außer einem lakonischen Zwischenspiel mit den Besen, veranlasst durch ein paar schräge Nichols-mäßige Akkorde, spielte Moholo kaum betonte Rhythmen, sondern behielt eine Richtung durchgängiger Bewegung bei, mit vorantreibenden gebrochenen Impulsen, die das Klavier beschatteten, es um labyrinthische Ecken jagten und die stolzen glatten Trichter seiner Strudel hinab. Die Emphase der Trommeln wechselte rieselnd von der Snare zu den Becken, oftmals sehr delikat, leichtesten Druck ausübend. Wenn heftige Intensität verlangt war, wurde sie geliefert, doch von Moholos Seite nie forciert. Durch den Trommelklang, den sich sammelnden Wirbel der Akzente hindurch, hielten die kleinen Teller von Moholos Hi-hat ein murmelndes Schnurren des Behagens aufrecht. Wie schnell Taylor sich auch bewegte, wie rasant er seine „ungleichzeitigen Garben" auch abfeuerte, Moholo blieb bei ihm, den Klang eindeichend.

Altes und gutes Taylor-Zitat: „Ein Teil dessen, worum es in dieser Musik geht, lässt sich nicht qenau umreißen. Es geht um Zauber und um das Einfangen von Geistern." Hat man die Trommeln deswegen eine Fallgrube genannt? In dieser Nacht wurden die Geister jedenfalls von dem brillanten Pianisten und seinem kunstfertigen Begleiter zu Fall gebracht und aufgespießt. So klar die Rollen auch definiert waren, nie war die Formel konservativ. Cecil Taylor ist immer „frei" in seinem Spiel; Moholos mitfühlende Unterstützung schien sein Freisein zu verdoppeln. (Ein anderes Taylor-Zitat fällt mir ein: „Beim Hervorbringen von Musik geht es nicht mehr darum, sie schwierig zu machen, sondern vielmehr darum, sie leicht spielbar zu machen". Louis hat sie leicht gemacht.)

Was gibt es noch zu sagen? Nach der Pause kamen die zwei Musiker zurück, jeder mit einer anderen Kopfbedeckung. Das war alles, was an Schaustellerei gezeigt wurde.

Die kleine an diese Platte angehängte Zugabe war eine von mehreren, alles Miniaturen. Louis Moholo gab sie, indem er aufstand und sich über seinen Kübel beugte, um das Trommelfell mit Tom-Tom-Schlägen abzurubbeln, ein sanftes Bubbern wie das Echo von Malombo-Trommeln, das durch die hohen Gräser des Transvaal kommt. Eine spontane Hinzufügung zu diesem formalen, geschriebenen („was immer das bedeutet") Stück. Wo immer wir jetzt waren, es schien weit fort von dem Konservatorium in New England, der Institution, wo Taylor sein Handwerk lernte.

Aber der Klang war richtig, um uns besinnlich, nachdenklich in die Berliner Nacht zu schicken.

Übersetzung: Wulf Teichmann

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