FMP/FREE MUSIC PRODUCTION - An Edition of Improvised Music 1989-2004

OWN 90013

Felix Klopotek

 

Augst/Carl/Korn
1.
Es ist wirklich absurd: man redet sich über Improvisation und Improvisierte Musik den Mund fusselig, obwohl es doch eigentlich nichts zu Reden gibt. Nähme man den Anspruch ernst, der immer wieder an Improvisierte Musik herangetragen wird, dass es bei der Musik um die Untersuchung eine Momentes resp. einer Möglichkeit gehe und zwar ohne die Untersuchung vorher fixiert zu haben - dann wäre bereits alles gesagt. Dann gäbe es ein großes non-lineares Kontinuum, ohne Geschichte, ohne Entwicklung. Die Musik wäre stets neu und anders, weil sie ja nur dem Jetzt, dem Augenblick und dem aktuellen Gegenüber verpflichtet wäre.
Wir wissen, dass das Gegenteil stimmt, dass all die Spontaneität, die Versessenheit auf das Hier und Jetzt, auf die eine große Geste und den einen, alles entscheidenden Augenblick fixierte, im schlechten Fall fetischisierte Abschnitte von Progressionen sind, die andere Entwicklungen beschreiben: Musikgeschichte, Jazzgeschichte, biografische Geschichte und die damit unweigerlich einhergehenden, tradierten Formen, Gewohnheiten und Konzeptualisierungen zur Bewältigung des Alltages.
Diese Dichotomie von Spontaneität/Unmittelbarkeit und Geschichte/Vermittlung stellt sich bereits ein, wenn man mehr als einen Tonträger mit Improvisierter Musik (und ganz besonders, wenn man mehr als einen von den gleichen Künstlern) gehört hat, weil man bereits anfängt, zu vergleichen und Verbindungen z konstruieren. Je mehr man hört und, sicher!, je mehr man sie spielt, desto weniger ist Improvisierte Musik improvisiert (in dem oben skizzierten Sinne), sondern konstituiert sich in einem von Hör- und Spielgewohnheiten und der Macht der Geschichte begrenzten Feld. Die Frage ist: Fühlt sich jemand dadurch in seinem Hörgenuss beeinträchtigt?
2.
Wenn man also das Kontinuum der Improvisierten Musik dekonstruiert und sie wieder dahin befördert, wo sie hingehört, nämlich zwischen normale Menschen, dann ist es überhaupt kein Problem, mit einem Trio wie dem von Oliver Augst, Rüdiger Carl und Christoph Korn umzugehen.
Da ist zum einen Rüdiger Carl, auf den sich die meisten stützen werden, wenn es darum geht, ihre Musik zu beschreiben. Carl bringt die meisten Erfahrungen mit, weil er schon Platten veröffentlichte als seine Mitstreiter noch zur Schule gingen. Er ist eines der besten Beispiele dafür, wie Improvisierte Musik sich und uns immer wieder überraschen kann (und zwar in einer emphatischen Art und Weise), wenn sie sich nur selber in den Arsch tritt.
Carl fängt Ende der 60er als Mitbegründer der Free Music Production an, ist als Tenorist natürlich Powerbläser. Ab Mitte der 70er kommt das Akkordeon (genauer: Instrumente, die der Laie als Akkordeon identifiziert und die korrekt Concertina oder Bandoneon heißen) hinzu, spätestens hier ist der Powerbläser passé. In seinen Duetten mit Irène Schweizer, Hans Reichel und Sven-Åke Johansson taucht immer stärker ein Bewusstsein für Formen auf, für klar herausgearbeitete Abläufe und Prozesse, die selbst dem Abwegigen und Verstiegenen Halt und Richtung geben. Es wird klar - auch die Ekstase ist kontrolliert, auch der Kitsch ist nicht auf Gefühlssubstrate zurückzuführen sondern gesellschaftlich konstituiert. Bei seinen späteren Projekten, Night & Day, September Band, COWWS, Jailhouse (um die bekanntesten zu nennen) destilliert er noch dieses Formbewusstsein: Populärmusikzitate, Jazzstandards, Barmusik. Musiken, die nur von der Form und ihrer Nachbildung (=Klischee) leben, werden das Medium. Anfang der 90er legt Carl das Tenor zur Seite, konzentriert sich auf die Klarinette. Ende der 90er gesellen sich zur Klarinette und dem Akkordeon Spielzeuge, ein billiges Keyboard und die Klaviola, vom Klangbild her der Melodica ähnlich.
Wie es sich für einen guten Improvisatoren in der Tradition (sic!) der FMP gehört, dominiert er die Gruppe nicht. Das Trio ist egalitär organisiert.
Die musikalische Tätigkeit Oliver Augsts und Christoph Korns umfasst nicht musikalisches: Performances, dramaturgische Elemente, Organisation von Veranstaltungen, Textarbeit. Oliver Augst und Christoph Korn spielen z.B. gegeneinander Schach, nur dass das Schachbrett mit Mixingboards vertauscht ist und sie keine Figuren verschieben sondern Regler und das "Schach matt" kakophonisch zu erleben ist. Beide arbeiten mit Marcel Daemgen und Michaela Ehinger in dem Produktionskollektiv TextXTND an zeitgemäßen Hanns Eisler-Adaptionen ("Arbeit") und treffen in diesem Zusammenhang auf Rüdiger Carl.
Oliver Augst operiert mit Live-Electronics, nichts kompliziertes oder mythen-umwehtes (à la Korg MS 20), das interne Feedback des Mischers, verstärkt, verfremdet und geloopt, reicht völlig. Ab und an deklamiert Augst Texte resp. Textelemente. Christoph Korn spielt Gitarre (auch in Zusammenarbeit mit Alfred Harth oder dem Post-Punk-Trio AQTRZ) und ist kompositorisch tätig. Er ist Dozent für Ästhetik.
Die Musiker kommen aus Frankfurt.
3.
Wenn man sich diese Determinanten anschaut, liegt es fast auf der Hand, was für Musik Augst, Carl und Korn machen, ja wozu sie qua Herkunft geradezu verdonnert sind: zu einem verweis gesättigten Sound, der sich mal munter, mal besserwisserisch ironisch hier und da bedient. Gefangen in der Dominanz der Referenz.
Man kann also auf den ersten Blick die Arbeiten dieser Frankfurter Schule als den Wiedereintritt der Form (als Tradition, Zitat, Intertextualität, Konzept etc.) in die Improvisation bezeichnen. Wiedereintritt insofern, als dass das klassische Musikverständnis bezeichnen. Wiedereintritt insofern, als dass das klassische Musikverständnis Improvisation als einen Ausbruch aus der Form verstand, deshalb die Charakterisierung als "Aus-dem-Stehgreif-Spielen" und "freier Phantasie".
Den Vorwurf, dass gerade wegen der hoch reflektierten Musikpraxis, die die Klischees (=Nachbildungen) wieder an einen konkreten Auseinandersetzungsprozess mit der Form rückkoppelt, es der Musik an authentischem Ausdruck mangele (=Blutleere) (ein Vorwurf der streng genommen die Klischees bestätigt und damit jener Musikpraxis Recht gibt), beantwortet die Gruppe praktisch. Zunächst: sie verzichten auf Gesten der Distanz, die Offenheit und Doppelbödigkeit ihres musikalischen Entwurfes demonstrieren sie nicht in einem Scheitern (ein völlig überstrapazierter Begriff!). Die Verweigerung, typische Improv-Dynamiken zu adaptieren, überführen sie direkt in einen eigenständigen Ausdruck, der die Relation "vorgegebene Struktur/Verweigerung" überwunden hat. Anders gesagt: die Musik ist direkt dynamisch, expressiv, ohne dadurch die abgestorbene Geschichte, die diesen Begriffen innewohnt, ein weiters mal zu perpetuieren. Sie holen nicht nur die Form in ihre Musik hinein, sie verflüssigen sie auch wieder, begreifen das Zitat nicht als Zitat, sondern als Material. Das erinnert z.B. an Thelonious Monk, von dem gesagt wird, dass er fehlerhafte Transkriptionen seiner Stücke zu schätzen wusste und sie sogar in sein Repertoire aufnahm. Es gilt im Eigenen das Fremde zu entdecken und es sich wieder als etwas eigenes, nun ja, anzueignen - Form wird zu Inhalt oder noch genauer: es gilt, sich von der Inhalt/Form - Dichotomie zu verabschieden. Deshalb sind die populärmusikalischen Echos, die durch ihre Musik geistern, heftige Technoattacken, expressives Gitarrenspiel, Kinderliedmelodien, auch keine Attitüde. Sie von dem Kern der Interaktionen trennen zu wollen, wäre unmöglich - sie sind dieser Kern. Und dieser Kern mutiert, provoziert schroffe Kontraste und abrupte Brüche und eine Gleichzeitigkeit von verschiedenen Aktionen, die ständig über sich selber stolpert und so im Verhältnis zu sich selbst ungleichzeitig wird. Man weiß nie, ob die kurzen Stücke noch endlos hätten weitergehen können oder ob tatsächlich drei, vier Minuten (nebenbei: die charakteristische Länge eines guten Popsongs) alles gesagt wurde.
Die Musiker brechen aus der Dominanz der Referenz aus.
Mit exakt deren Mitteln.

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