FMP/FREE MUSIC PRODUCTION - An Edition of Improvised Music 1989-2004

OWN 90012

Felix Klopotek

 

"Do not push sounds around." (Morton Feldman)

Die strukturellen Umwälzungen im Jazz der 60er Jahre, das Aufkommen einer Improvisationsmusik, die nicht mehr nur aus dem Reservoir des Jazz schöpfend die Formensprache der Neuen Musik aufgreift, hat für eine wahre Flut von Soloaufnahmen unterschiedlichster Instrumentierung gesorgt. War das öffentliche, unbegleitete Solo im Jazz auf das Piano beschränkt, die Soloexkursionen Sonny Rollins und Eric Dolphys also die Ausnahme (wiewohl auch Vorschein des Kommenden), so gab es ab, sagen wir: Anthony Braxtons "For Alto" (1969) kein Halten.

Heute sind die Saxophonsoloaufnahmen von Braxton, Lacy, Evan Parker und weitergehend: Wolfgang Fuchs, Roscoe Mitchell, John Zorn, Hans Koch, John Butcher, Peter Brötzmann oder Kaoru Abe selbstverständlicher Bestandteil des Improvisationskanons (von den Kontrabass-, Schlagwerk-, Tuba und Gitarrensoli mal ganz abgesehen). Sie liegen in der Perspektive der Materialerforschung, der Emanzipation des Instrumentalismus von konventionellen Rollen (der Bass ist nicht länger Begleitinstrument, das Sopransax nicht länger Exot) und des Aufbruches der persönlichen Expression: es ist ja ein durchaus egozentrisches Vergnügen, dass eine der ersten Veröffentlichungen eines jungen Chicagoer Altisten ausgerechnet das erste Saxophonsolo (Doppel!)Album überhaupt ist.

Es wäre ein Leichtes, die Solostücke des ebenfalls jungen Holzbläsers Gregor Hotz, geboren 2 Jahre nach der Einspielung von "For Alto", in diese Perspektive einzurücken. Nicht zuletzt weil seine Selbstverständlichkeit im ausschließlichen Umgang mit sich und dem jeweiligen Instrument, davon zeugt, dass das Solospiel eben jene klassische Disziplin, der Improvisation geworden ist. Hinzukommt, das der in Berlin lebende Schweizer mit Wolfgang Fuchs, Steve Lacy oder Hans Koch zusammengearbeitet hat. Austausch über die Generationsgrenzen hinweg ist also gegeben.

Wie gesagt, es wäre ein Leichtes…aber dieses Einrücken verfehlt ein wesentliches Element der Improvisation: dass sie eine Traditionslinie gezogen hat, an die man nicht so ohne weiteres anknüpfen kann sondern vielmehr durch eigene Setzungen etwas anderes hinzusetzen muss. Die Kontinuität der Improvisationsmusik bestimmt sich, so paradox das zunächst klingen mag, aus der Diskontinuität der Entwürfe. In der Praxis ist das ganz einfach: die Solodisziplin ist deshalb so anerkannt, weil Koch nicht wie Braxton und Fuchs ganz anders als Parker klingt.

Jeder macht halt sein Ding, sagt man. Aber auf einer weiteren Reflexionsstufe erweist sich, dass das Einfache das schwierige zu machende ist. Denn Materialforschung und persönliche Expression setzt Reflexion darüber voraus, um was für einen Begriff von Forschung, Expression etc. es sich handelt. Sein Ding machen heißt, zu wissen, was nicht zu dem Ding machen gehört. Liest sich wieder ganz einfach, ist es aber nicht.

Woher weiß Saxophonist xy, dass auf der Bühne stehen und eine Stunde Energieblasen nicht sein Fall ist? Durch Erfahrung.

Und woher weiß er, dass die Erfahrung eine Erfahrung und nicht bloß die schlechte (oder gute) Tagesform ist? Gute Frage. Durch Reduktion z.B., durch konsequentes raus streichen von Ideen, oder besser: von Nebensätzen und Füllwörtern bis, nein: nicht die nackte Essenz, eher das unkompliziert hand zuhabende Tool übrig bleibt, das den raus gestrichenen Rest stringent restrukturiert. Solo zu improvisieren heißt Aufräumen.

Darum passiert in den Solostücken von Gregor Hotz auch nichts Besonderes - ganz in dem Sinne, dass die Besonderheiten, die Extras beim Kauf eines neuen Autos für gewöhnlich die Teile sind, die als erstes kaputt gehen und unverhältnismäßig teuer in der Reparatur sind. Auf die Musik gemünzt heißt das: keine Extravaganzen, keine penetrante Virtuosität, keine Räume, von denen man meint, dass sie mit 20 Sekunden Nachhall doch eigentlich vorzüglich geeignet wären für das Solo.

Nichts von alledem. Statt dessen: das Material solange aus ornamentalen Verklammerungen herauslösen, bis es sich selbst zu spielen scheint. Klare Parameter. Don`t play noodles. Und dann: Improvisieren sans phrase. Ohne übergeordnete Konzepte (außer vielleicht den intimen, banalen, die der Spieler sich in seinem Kopf macht und bitte für sich behalten sollte), ohne einen Gedanken daran zu verschwenden, ein Meisterwerk abliefern zu wollen.

Die Aufnahme ist dann gut, wenn man weiß, dass keiner auf sie gewartet hat (auf Braxton hat auch keiner gewartet). Darum lässt sich Gregor Hotz nicht in die besagte Perspektive einordnen - wobei sein Spiel ohne ihre Kenntnis nicht möglich wäre. Seine Musik passiert, weil sie improvisiert ist, gespielt ohne kanonische Absichten. So simpel, so kompliziert (hatten wir das nicht schon?).

Die straighten Linien der Altklarinette treffen auf gestrichenes Cello. Langsam und Atem stockend zurückhaltend reformulieren sich aus dem Solovokabular, das bezeichnenderweise erst nach den Duetten aufgenommen wurde, die Beziehungen, die ein anderes wesentliches Element der Improvisation ausmachen: Kollektivität - und sei es eine Kollektivität der Zweisamkeit.

Mit dem etwa gleichaltrigen Cellisten Nicholas Bussmann teilt Hotz sein Vokabular. Motive, reduziert auf wenige Klänge, so erhaben daherschwebend, dass selbst ein klingendes Telefon sie nicht zu stören vermag, werden vom anderen aufgegriffen und weitergesponnen. Auch hier gilt in aller heiligen Ernsthaftigkeit: mach nichts Besonders, lass das Komplizierte, versuche nicht, mich zu überraschen. Denn jede geglückte Überraschung wird bei ihrer (durch das Glückende schon drohend sich ankündigenden) Wiederholung zum Lick, zur Nummernrevue.

Man hört, wie unwichtig ihnen abzählbare rhythmische Proportionen oder Melodien (nichts gegen time und schon gar nichts gegen Melodien!) sind. Sie sind in den flüchtig-elegant skizzieren Sounds des Duos bereits impliziert (das reicht). Und man hört, wie wichtig, wichtig im Sinne eines naturalistischen Materialismus, das Streichen des Bogens über die Saiten ist. Es ist das eigenartige Gefühl einer Spannung, die nicht auf ein Ziel hin aufgelöst wird sondern sich selbst genügt.

Und was ist schon wichtig.

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