FMP/FREE MUSIC PRODUCTION - An Edition of Improvised Music 1989-2004

OWN 90001

Bianca Tänzer

 

Ein Musiker, Holzbläser, der nicht nur Alt- und Baritonsaxophon, Klarinette und Flöte spielt, sondern auch Klavier und Zither nutzt, Stimme und Sprache einsetzt, und eine Sängerin, die singt, spricht, pfeift - und schweigt, sowie ein Raum mit Mikrofonen, das ist die Szenerie von "Features Of Usel". Keine weiteren elektroakustischen oder elektronischen Zutaten. Nur diese zwei mit ihren Stimmen, sonst nichts...

Daraus entstand ein 73minütiges Klang-Sprach-Geräuschspiel, ein HÖRSPIEL Dass daraus mehr wird, teilweise ein HÖRSTÜCK, ja HÖRFEST, hat eine längere Geschichte.

Seit anderthalb Jahrzehnten gibt es diese Arbeitsgemeinschaft Brüning/Petrowsky. Deren erstes auf Platte dokumentiertes Resultat war eine heute in ihrer eindringlichen Schlichtheit geradezu klassisch anmutende Zwei-Minuten-Version der Rodgers-Hart-Ballade "My Funny Valentine", gesungen von der damals bereits populären Pop- und Jazzsängerin Uschi Brüning, einfühlsam begleitet von dem in euroamerikanischen Jazzkreisen angesehenen Saxophonisten Ernst-Ludwig Petrowsky. Das ist zehn Jahre her. Inzwischen konzertierten die beiden gemeinsam in zahlreichen Ländern Europas und Asiens, reisten jeweils sie und er als Mitglieder namhafter großer wie kleiner Jazzensembles um die halbe Erde und immer häufiger auch in deutschen Landen herum. Heraus kam ein Besinnen und Konzentrieren beider auf die Stimme als Instrument und die Instrumente als Stimme. Sie (er)fanden und (er)finden kompositorisch-dramaturgische Abläufe, die musikalische Archetypen wie call & response, laut & leise, hoch & tief, schnell & langsam, klassische Modelle wie Thema und Variation, Rondo und Bogenformen und musikgeschichtlich Jüngeres wie das Expressive zwischen Geflüster und Schrei auch in Wortklängen respektieren und nutzen. Zugleich gehen sie damit frisch, frei und frech um, dass es eine ohren- und Gedanken öffnende Freude ist. Dabei ist die Singstimme - also hauptsächlich sie, die Brüning - naturgemäß dem jeweiligen Instrument gegenüber scheinbar untergeordnet, wenn nicht unterlegen. Wie das von ihr durch Parodieren und Persiflieren der Bläserartikulationen und überhaupt durch eine Skala von Mitteln, sich Gehör zu verschaffen, auf unverbissene (weibliche?) Art aufgehoben wird, auf ihn überspringt und von ihm aufgegriffen wird, das ist gleichermaßen köstlich wie unbeschreibbar.

Ihnen im Konzert oder auf der Konserve zuzuhören, heißt, an einem vielschichtigen Arbeits- und Verständigungsprozess von zweien teilzuhaben. Das findet bestenfalls auch bei anderen Duos statt. Was also ist das Besondere an Brüning/Petrowskys-Usel-Hörabenteuer? Ein Musiker und eine Musikerin mit ausgeprägtem Sinn für Clownerien und Wachheit für menschliches Miteinanderumgehen sind hier am Werk: Petrowsky, der sich als Saxophonist von den übermächtigen Parker, Coltrane, Coleman seit den frühen fünfziger Jahren zu einem eigenen Weg inspirieren lässt und zugleich als Unterhaltungsmusiker seinen Lebensunterhalt verdient, und die Brüning, die Mitte der sechziger Jahre ermutigt u. a. von Songs Aretha Franklins ihre Singelust herausfindet und sich durch nahezu alle Gesangsgefilde zwischen Lied und Chanson, Blues und Soul, Standards und Improvisation bewegt und durchbeißt Dabei mussten beide einsehen lernen, dass sie sich in Musiziersphären bewegen, die als Subkultur zwar ihre Anhänger haben, aber offiziell eher mit Skepsis oder Ablehnung als Anerkennung bedacht werden. Diese Erfahrungen und ihrer beider kreative Neugier lässt sie konsequent an einer Musizierweise arbeiten, die nicht nur nahezu ohne Worte auskommt, sondern sich auch deutlich über bedeutungs geladenes Gerede und viel sagendes Wortgeprassel (nicht nur in der Kunst- und Musikszene) lustig macht

Daraus entwickelte zunächst Petrowsky und zunehmend das Duo Brüning/Petrowsky eine Art des komponiert improvisierten Dialogs, der sich anhört wie musiktheatralisch inszenierte short stories, skurrile comic-ähnliche hintersinnige Geschichten, skizziert in akustischen Andeutungen, Geräuschsymbolen, Klanggesten. Aus ihren Beobachtungen und aus ihrer Wut darüber, wie Menschen nicht nur mit Kunst, sondern auch miteinander umgehen, haben sie ihr Eigenes gemacht Kabarettistischer Jazz mit der unbändigen Lust, sich und andere zum Zuhören zu animieren.

Bei ihnen ist Duo zwischen Duell und Duett pur zu erleben. Ihr Usel-Konzept lässt aus dem spielerisch-souveränen Umgang mit Stimme und Instrumenten einen wirklichen, vielschichtigen Dialog, ein echtes Zwiegespräch (mit Pausen zum Denken und Zuhören, mit Hinhören und Antworten) entstehen. Scheinbar jenseits handwerklicher Grenzen lassen sie uns erleben, was zwischen Aufeinandereinschreien und -flüstern und sonstigem Aneinandervorbei bis hin zu den Momenten von Austausch, Verständnis, ja Übereinstimmung zwischen zweien passieren kann. Wie sie das musikalisch ausdrücken und ausleben und uns damit den Spiegel vorhalten, löst Staunen, Nachsinnen, befreiendes Lachen aus.

zurück / back